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# taz.de -- Buch über Sozialphilosoph Max Horkheimer: In der historischen Erfa…
> Die Literaturwissenschaftlerin Yael Kupferberg rekonstruiert die Rolle
> des Judentums als Erfahrung und Idee im Denken von Max Horkheimer.
Bild: Spiritus Rector der Kritischen Theorie: Max Horkheimer 1960
Die Kritische Theorie der Frankfurter Schule gilt gemeinhin als eine Art
Hegel-Marxismus. Der Denkweg ihres [1][Spiritus Rector Max Horkheimer] wird
meist so beschrieben, dass der Unternehmersohn sich von einem
Rätekommunisten infolge der Erfahrung von Flucht nach Amerika und der
Vernichtung der Juden in Europa zu einem eher konservativen
Sozialphilosophen gewandelt habe, erst recht in seinen letzten 15
Lebensjahren, die er im Tessin verbrachte.
Nach der Wiedereröffnung des [2][Instituts für Sozialforschung] 1951 habe
er die linksradikalen Ursprünge der Kritischen Theorie unter dem Deckel
gehalten und im Kalten Krieg sich dem antisowjetkommunistischen Lager
angeschlossen. Als Ausdruck dieses konservativen Pessimismus gilt auch
Horkheimers Bekenntnis zum Judentum.
Yael Kupferberg, Literaturwissenschaftlerin aus Berlin, beleuchtet nun den
„späten“ Horkheimer als einen jüdischen Philosophen der Moderne, außerdem
als einen Übersetzer jüdischer Paradigmen in deutsche Philosophie. Und sie
überrascht mit der These: Schon für den jungen Horkheimer spielte das
Judentum eine große Rolle, ja, die Kritische Theorie ist überhaupt eine
philosophische Übersetzung jüdischer Motive, nämlich die „Sehnsucht nach
dem ganz Anderen“ in Kombination mit dem „Bilderverbot“. Die Autorin gibt
zu bedenken: Gerade weil Kritische Theorie auch Religionsphilosophie sei,
enthalte sie das Moment und das Ethos der Kritik.
## Idealistischer Moralphilosoph
Kupferbergs Studie besteht selbst aus Hin- und Herübersetzungen zwischen
jüdischer Theologie und Horkheimers Vernunftphilosophie. Für sie ist die
Kritische Theorie eine kantische Säkularisierung des Judentums, Horkheimer
somit eher ein idealistischer Moralphilosoph.
Nicht zufällig kommt immer wieder Hermann Cohen als Vermittlungsinstanz zu
Wort. Horkheimers zentrale Ideen wurzeln demnach in der monotheistischen
jüdischen Ethik. Kupferberg präsentiert eine Vielzahl an Belegen aus dem
deutsch-jüdischen Schrifttum, die die Wahlverwandtschaft bezeugen sollen –
dem Buch liegt eine Habilitationsschrift zugrunde.
Der zentrale Begriff der Beweisführung ist das „Bilderverbot“, das die
konkretisierte und falsche Synthese, mithin „Ideologie“, verhindere. „Du
sollst dir kein Bild von Gott machen“, heißt bei Horkheimer: Du kannst über
das Absolute nichts aussagen.
Kritische Theorie bedeutet demnach eine Annäherung an die Wahrheit,
insofern sie ausdrücken kann, was nicht wahr ist, was wiederum implizit
Wahrheit ermöglicht. Viel wichtiger erscheint mir aber Kupferbergs
untheologischer Punkt, nämlich: Horkheimers theoretische Hinwendung zum
Judentum als philosophisch-politischen Kommentar zu seiner Zeiterfahrung
zu lesen.
## Die Zerstörung der Vernunft
Die Zerstörung der Vernunft von innen wie von außen ist die
allgemein-philosophisch ausgedrückte jüdische Erfahrung des 20.
Jahrhunderts. Leider sagt Kupferberg nichts über die
Kommunismus-Konservatismus-Konstellation des jüdischen Horkheimer und
dessen politische Entwicklung. Klar ist aber, dass man von einer
reaktionär-religiösen Wende, wie das die 1968er-Generation beschrieben hat,
nicht sprechen kann, ohne die Bedingungen jüdischer Existenz im
postnationalsozialistischen Deutschland zu ignorieren.
Erst jüngst hat eine andere wissenschaftliche Qualifikationsarbeit – „In
der Dämmerung“ von Christian Voller (Matthes & Seitz 2022) – die
historisch-materialistischen und auch die synkretistischen
geistesgeschichtlichen Quellen in der Vor- und Frühgeschichte der
Kritischen Theorie rekonstruiert. Es scheint ein bisschen wie beim Streit
um Walter Benjamin zuzugehen: Wie jüdisch oder marxistisch ist der
Vordenker der Kritischen Theorie?
Hier nur in Alternativen zu denken – „materialistisch oder jüdisch“ –
verfehlt die historischen Erfahrungen Max Horkheimers, der Sätze schrieb
wie: „Sehr traurig bin ich über die Situation der Welt. Die Zukunft ist
dunkel, wahrscheinlich noch erschreckender als die Menschen ahnen, die
ohnehin, bewusst und unbewusst, sich bedrückt fühlen.“
Auch Schopenhauers pessimistische Metaphysik wäre übrigens nicht zu
vergessen!
1 Mar 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Jörg Später
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