| # taz.de -- Nach Wiederholungswahl in Berlin: Die SPD gibt klein bei | |
| > Franziska Giffey will die SPD in eine Koalition mit der CDU führen – als | |
| > Juniorpartnerin. Dabei wäre Rot-Grün-Rot möglich. Warum verzichtet sie | |
| > auf Macht? | |
| Bild: Will sich demnächst mit einem Senatorinnenposten begnügen: Franziska Gi… | |
| Wenn Politik das Streben nach Macht ist, wie der deutsche Soziologe Max | |
| Weber schrieb – was macht Franziska Giffey dann beruflich? Berlins | |
| Noch-Regierende Bürgermeisterin hat ihre SPD nach den Sondierungsgesprächen | |
| mit Linken und Grünen auf der einen Seite und mit der CDU auf der anderen | |
| in dieser Woche in Richtung einer Koalition mit der Union gelenkt. Anders | |
| als bei einer möglichen Fortsetzung von Rot-Grün-Rot wird die SPD dabei | |
| lediglich Juniorpartnerin. [1][CDU-Landeschef Kai Wegner] dürfte also | |
| Regierender Bürgermeister werden – der erste seiner Partei seit 22 Jahren. | |
| Die [2][Sozialdemokraten verzichten also bereitwillig auf die Macht] im | |
| Land, obwohl nach Einschätzung von Grünen und [3][Linken] alle inhaltlichen | |
| Hürden in den Sondierungen überwunden werden konnten. Das hat viele | |
| Konsequenzen, in Berlin und auch im Bund. So verschieben sich die | |
| Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat durch eine große Koalition ein wenig | |
| weiter zuungunsten der Ampelregierung. | |
| Drastische Folgen hat der Schritt – sofern die Parteibasis am Ende einem | |
| schwarz-roten Koalitionsvertrag zustimmt – nicht zuletzt für Giffey selbst. | |
| Statt Regierungschefin will sie künftig nur noch Senatorin sein. „Ich habe | |
| mich entschieden, meinen persönlichen Beitrag zu leisten“, sagte sie am | |
| Mittwochabend nach der Entscheidung des Berliner SPD-Parteivorstands. „Ich | |
| mache das für Berlin, und ich mache es für die SPD.“ | |
| Darf man ihr das abnehmen? Ist das gar ein Machtkalkül? | |
| ## Wenig nachvollziehbar | |
| Die Entscheidung irritiert. Erst ein Mal in der Geschichte der | |
| Bundesrepublik ist ein Ministerpräsident zurückgetreten, aber im Kabinett | |
| verblieben: Hubert Ney, der von 1956 bis 1957 das Saarland regierte und | |
| dann bis 1959 noch Justizminister dort war. | |
| Andererseits kann man sagen, dass Giffey auch die erste und bisher einzige | |
| Bundespolitikerin ist, die die Aberkennung ihres Doktortitels politisch | |
| überlebt hat. Sie hat Erfahrung, mit krassen Rückschlägen erfolgreich | |
| umzugehen. | |
| Wenig nachvollziehbar ist der Schritt der SPD aber vor allem, weil Giffey | |
| ihn damit begründet, ihre Partei vor weiteren Stimmverlusten retten zu | |
| wollen. Sie möchte nicht in drei Jahren eine SPD sehen, „der es schlechter | |
| geht als jetzt“, hat sie erklärt. | |
| Dahinter steckt der Gedanke, dass allein ihre Partei von den | |
| Wähler*innen abgestraft wurde für Fehler und nicht eingelöste | |
| Versprechen, während die Regierungspartner Grüne und Linke bei der | |
| Wiederholungswahl am 12. Februar nur akzeptabel wenige Stimmen verloren. | |
| Giffeys Sorge ist offenbar, dass weitere drei Jahre in dieser Koalition die | |
| Grünen zur stärksten linken Kraft machen könnten. | |
| Ob diese Furcht begründet ist, ist fraglich: Den Grünen unter | |
| [4][Spitzenkandidatin Bettina Jarasch] ist es auch bei deren zweitem Anlauf | |
| nicht gelungen, mehr als ihre Kernklientel zu mobilisieren. Dabei gehört | |
| Jarasch, bekennende Katholikin und Reala, zum weniger polarisierenden | |
| Spitzenpersonal der Partei. Der Stimmenverlust der SPD ist nicht der | |
| Konkurrenz von links geschuldet, sondern jener von rechts: Giffey hat ihre | |
| Beliebtheit überschätzt und es anders als 2021 nicht geschafft, | |
| CDU-Wähler*innen zur SPD zu ziehen. | |
| Nun ausgerechnet in den Schoß einer „großen Koalition“ – die zahlenmä�… | |
| längst keine mehr ist – mit der CDU zu kriechen, widerspricht auch allen | |
| SPD-Analysen der vergangenen zwei Jahrzehnte, zumindest auf Bundesebene. | |
| Dort verblassten die Sozialdemokraten, obwohl sie zahlreiche | |
| sozialpolitische Projekte durchsetzen konnten, neben Angela Merkel fast zur | |
| Nischentruppe. Giffey hingegen glaubt an die Profilierung: „In dieser | |
| Position kann die SPD ihr soziales Profil schärfen. So kann und soll sie zu | |
| neuer Kraft kommen.“ | |
| Auch das sozialdemokratische Verhandlungsteam hat es geschafft, der CDU | |
| viele inhaltliche Zugeständnisse abzuhandeln bei Integration, Verkehr sowie | |
| Arbeit und Soziales. So wird das von der SPD geliebte [5][29-Euroticket] | |
| für Berlin bleiben, auch wenn das „[6][Deutschlandticket]“ im ÖPNV kommt. | |
| In vielen anderen Bereichen hatten Giffey und Wegner bereits im Wahlkampf | |
| 2021 fast wortgleich nahezu identische Ideen vertreten. | |
| Zuletzt hatte der CDU-Chef seine Partei mit mieter*innenfreundlichen | |
| Positionen zart nach links gezogen. Spannend wird daher, ob die Positionen | |
| von CDU und SPD in den nächsten Jahren zu unterscheiden sein werden. Und | |
| wer davon profitiert. | |
| Giffeys Schwenk nach rechts ist jedoch nicht nur CDU-Verhandlungsgeschick | |
| geschuldet, sondern vor allem ihrem wachsenden Misstrauen gegenüber den | |
| Grünen. Im Ergebnispapier der Sondierungskommission [7][wird mit dem | |
| Nochkoalitionspartner abgerechnet]. Den Grünen, immerhin seit 2016 mit SPD | |
| und Linken in einer Regierung, werden da „stark überwiegende | |
| Eigeninteressen“ und „Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihrer | |
| Verabredungsfähigkeit“ attestiert. | |
| Giffey sei zuletzt anzumerken gewesen, dass sie „mit der Fortsetzung dieser | |
| Koalition nicht glücklich werden würde“, beschreibt es ein Mitglied des | |
| grünen Sondierungsteams. So gesehen ist der Schritt in die Arme der CDU | |
| auch eine Flucht aus einer für Giffey offenbar fast traumatischen | |
| politischen Beziehung zu den Grünen. | |
| Doch da die Positionen von Giffey und ihrem linken Berliner Landesverband | |
| vielfach nicht übereinstimmen, gerät die Parteichefin unter | |
| Erklärungsdruck. Man habe die Chance vertan, ein durchaus erfolgreiches | |
| linkes Bündnis fortzuführen, [8][heißt es vielfach aus den eigenen Reihen]. | |
| Ben Schneider etwa, Vorsitzender der SPD Marzahn-Hellersdorf, nannte die | |
| Entscheidung für die konservativste Koalition, die in Berlin möglich ist, | |
| eine „Sackgasse“. Tatsächlich beraubt sich zumindest Giffey mit der | |
| Brüskierung von Grünen und Linken der Option für eine linke Koalition nach | |
| der nächsten Berlin-Wahl, die bereits 2026 ansteht. | |
| Vielleicht ist die einstige Bundesfamilienministerin dann ja schon | |
| weitergezogen: Schließlich wird bereits 2025 im Bund gewählt. In Berlin | |
| würde Giffey dann als jene in Erinnerung bleiben, die nicht den Mut hatte, | |
| eine bestehende linke Mehrheit zu verteidigen. Ein fatales Zeichen für die | |
| SPD insgesamt, wo doch jeder weiß, dass die Linke in Deutschland Mehrheiten | |
| nie geschenkt bekommt, sondern hart erkämpfen muss. | |
| 3 Mar 2023 | |
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| Bert Schulz | |
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