| # taz.de -- Urteil im Neukölln-Komplex: Maximal unbefriedigend | |
| > Die Neonazis T. und P. sind nicht wegen Brandstiftung verurteilt worden. | |
| > Das ist die Konsequenz aus verkorksten Ermittlungen und Ungereimtheiten. | |
| Bild: Nach dem Urteil ist der Rechtsfrieden nicht wieder hergestellt, die Ansch… | |
| Über 70 rechtsextreme Straftaten rechnen die Behörden dem sogenannten | |
| Neukölln-Komplex seit 2016 zu, davon 23 Brandstiftungen. Der Täterkreis der | |
| Terrorserie, die eigentlich schon Jahre zuvor begann, ist bekannt: die | |
| lokalen Neonazis um Sebastian T., ehemaliger NPD-Vorsitzender in Neukölln | |
| und heute beim rechtsextremen „III. Weg“ aktiv. Sie wollten ein Klima der | |
| Angst in ihrem Viertel verbreiten – bis heute gibt es regelmäßig rechte | |
| Parolen, Drohungen, Hakenkreuze und Sticker im Süden Neuköllns. | |
| Opfer wurden immer wieder diejenigen, deren Daten Neonazis minutiös | |
| zusammenrecherchiert und [1][auf Feindeslisten gespeichert haben]. Die | |
| Betroffenen eint eines: politisches Engagement für eine offene Gesellschaft | |
| für Flüchtlinge und gegen Nazis. Während einige danach umso lauter | |
| aufmerksam machten auf die rechte Terrorserie und gegen Rassismus | |
| mobilisierten, zogen andere weg, nachdem sie Morddrohungen an ihrer | |
| Hauswand vorgefunden hatten. | |
| Zwei Tätern konnten gerichtlich nur geringfügige Taten nachgewiesen werden. | |
| Bei einem Prozess vor dem Amtsgericht Tiergarten, [2][der am vergangenen | |
| Dienstag endete], kamen nur zwei von 23 Brandstiftungen zur Anklage. Die | |
| Generalstaatsanwaltschaft stützte sich aber auch in diesen Fällen nur auf | |
| Indizien, weil die Ermittlungsbehörden über einen schier ewigen Zeitraum | |
| trotz angeblich hohen Aufwands nur wenig Belastendes fanden. | |
| Für eine Verurteilung wegen Brandstiftung und eine lange Haftstrafe für die | |
| Hauptverdächtigen in der Serie reichte das nicht. Verurteilt wurden | |
| Sebastian T. und Tilo P. schlicht wegen Beifang: weil sie observiert | |
| wurden, während sie volksverhetzende Parolen sprühten und | |
| Rudolf-Heß-Aufkleber verteilten, oder zufällig gefilmt wurden, als sie eine | |
| Morddrohung an das Haus eines Antifaschisten sprühten – und das auch nur, | |
| weil dieser als Linksextremist überwacht wurde. Bei T. stellte sich zudem | |
| heraus, dass er beim Bezug von Sozialleistungen und Corona-Hilfen betrogen | |
| hatte. | |
| ## Neonazis sind glimpflich davongekommen | |
| P., ehemals Kreisvorstand der AfD Neukölln, [3][kam schon im Dezember mit | |
| einer Geldstrafe davon], T. erhielt nun wegen seines überlangen | |
| Vorstrafenregisters nach mehreren neonazistischen Gewalttaten eine | |
| Freiheitsstrafe von [4][einem Jahr und 6 Monaten]. Dazu kommen noch eine | |
| Strafzahlung von 16.000 Euro und die Verfahrenskosten. | |
| Unterm Strich lässt sich aber sagen: Die Neonazis sind glimpflich | |
| davongekommen. Nicht umsonst hat die Generalstaatsanwaltschaft in beiden | |
| Fällen Revision eingelegt: Sie hält es noch immer für erwiesen, dass die | |
| beiden Männer auch als Brandstifter verurteilt gehören. | |
| Für die Opfer ist das eine „Katastrophe“, wie etwa der Buchhändler Heinz | |
| Ostermann sagte und wie auch [5][Linken-Politiker Ferat Koçak] nach dem | |
| Urteil letzten Dienstag erneut ausführte. Der Großteil der Taten bleibt | |
| juristisch unaufgeklärt, der Rechtsfrieden ist nach mangelhaften | |
| Ermittlungen nicht wieder hergestellt. Ganz zu schweigen davon, dass bis | |
| heute Neonazis versuchen, die Gegend zu terrorisieren. | |
| Vor Gericht ließ sich natürlich nicht aufklären, was vorher schon von | |
| Ermittlungsgruppen mit zahlreichen Ungereimtheiten versäumt wurde. So sind | |
| die Fragen nach einem rechten Netzwerk – möglicherweise sogar mit | |
| Beteiligten in den Sicherheitsbehörden – weiter offen. | |
| Mehr Aufklärung erwarten darf man vom [6][Untersuchungsausschuss des | |
| Abgeordnetenhauses zum Neukölln-Komplex]: Nach der Wiederholungswahl sollen | |
| dort auch endlich Behördenvertreter befragt werden. Zwar muss sich der | |
| Ausschuss nach der Wahl eventuell neu konstituieren, die Abgeordneten | |
| hätten aber eine Weiterführung verabredet, wie es etwa von Niklas Schrader | |
| (Linke) hieß. | |
| ## Viele Fragen offen | |
| Die Fragen zum Versagen der Sicherheitsbehörden bleiben nach dem Prozess | |
| gegen T. und P. jedenfalls dieselben: Warum wurde [7][Ferat Koçak vor dem | |
| Brandanschlag auf sein Auto nicht gewarnt], obwohl der Verfassungsschutz | |
| wusste, dass die Neonazis ihn ausspähten, und das auch der Polizei | |
| mitteilte? Welche Rolle spielte Detlef M., [8][Polizist, AfD-Mitglied und | |
| Anwohner], der sich mit einem Hauptverdächtigen per Mail und | |
| Telegram-Gruppe austauschte und [9][mit weiteren Polizist*innen in | |
| einer rechten Chatgruppe] unter anderem rassistische Inhalte teilte? | |
| Was ist mit dem ehemals mit dem [10][Neukölln-Komplex befassten Ermittler | |
| Stefan K.], der mit zwei Neonazis aus rassistischen Motiven einen Afghanen | |
| in Karlshorst zusammenschlug und früher „Ansprechpartner“ für Betroffene … | |
| der Soko Rechtsextremismus war? Was haben eigentlich [11][Oberstaatsanwalt | |
| F. und Staatsanwalt S.] die ganze Zeit getrieben, bevor sie wegen Verdachts | |
| auf [12][AfD-Nähe vom Fall abgezogen] und in andere Abteilungen versetzt | |
| wurden? Und was ist aus dem [13][LKA-Beamten Pit W. geworden], der sich mit | |
| T. in einer rechtsoffenen Kneipe getroffen haben soll? | |
| Ebenso unaufgeklärt bleibt seit über 10 Jahren der Mord am [14][22-jährigen | |
| Neuköllner Burak Bektaş], der in der Nacht des 5. April 2012 auf offener | |
| Straße ohne Vorwarnung von einem Unbekannten erschossen wurde. Das Denkmal | |
| einer Aufklärungsinitiative im Süden Neuköllns, das an den Mord erinnert, | |
| wurde mehrfach beschmiert, unter anderem mit einem Hakenkreuz und dem | |
| Schriftzug „AFD“. | |
| 11 Feb 2023 | |
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| [11] /Rechte-Anschlagsserie-in-Neukoelln/!5702107 | |
| [12] /Rechte-Anschlagsserie-in-Neukoelln/!5705701 | |
| [13] https://www.tagesschau.de/investigativ/kontraste/berlin-lka-kontakte-101.h… | |
| [14] /Tatmotiv-Rassismus/!5843092 | |
| ## AUTOREN | |
| Gareth Joswig | |
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