Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Urteil im Neukölln Komplex: 18 Monate Haft für Neonazi
> Sebastian T. wurde vom Vorwurf der Brandstiftung freigesprochen.
> Verurteilt wurde er dennoch für Morddrohungen, Sachbeschädigungen und
> Sozialbetrug.
Bild: Neonazis beim Prozessauftakt: die Verfahren wurden getrennt, am Ende blie…
Berlin taz | Für die Opfer ist es ein Schlag ins Gesicht: Der Neuköllner
Neonazi Sebastian T. ist von der Anklage der Brandstiftung an den Autos des
Linken-Politikers Ferat Kocak und des Buchhändlers Heinz Ostermann
freigesprochen worden. Weil die Anklage sich in diesen Punkten nur auf
Indizien wie Ausspähungen und Chat-Protokolle stützte, reichte es am Ende
nicht zu einem Urteil im Hauptanklagepunkt.
Verurteilt wurde T. dennoch vom Amtsgericht Tiergarten am Dienstag für
andere Straftaten wie Morddrohungen, Sachbeschädigungen und Sozialbetrug.
Am Ende wurde der Neuköllner Neonazi zu einer Freiheitsstrafe von einem
Jahr und sechs Monaten verurteilt. Die Strafe wurde nicht zur Bewährung
ausgesetzt, weil T. ein langes Vorstrafenregister hat und noch immer in der
rechtsextremen Szene beim „III. Weg“ organisiert ist – Sozialprognose
negativ. Von T. werden zudem noch rund 16.000 Euro eingezogen, die er
fälschlich als Sozialleistungen und Corona-Hilfen bezog.
Die Generalstaatsanwaltschaft kündigte an, gegen das Urteil in Berufung zu
gehen. Dafür haben sowohl Ankläger als auch Verteidiger eine Woche Zeit.
Eines der Opfer der Brandanschläge, Ferat Kocak, kritisierte das Urteil
nach der Verhandlung: „Ironischerweise konnte diese Tat nur deswegen
bewiesen werden, weil ihr Opfer als ‚Linksextremist‘ von den
Sicherheitsbehörden beobachtet wurde“, hieß es in einer danach verschickten
Mitteilung, die sich auf die Mordrohungen gegen Antifaschisten bezog.
Nur behördliche Überwachungsmaßnahmen gegen eines der Opfer hatten dazu
geführt, dass T. und ein Komplize dabei gefilmt wurden, wie sie
Morddrohungen an dessen Wohnhaus gesprüht hatten. Kocak warf den
Strafverfolgungsbehörden Versäumnisse vor, „die daran zweifeln ließen, ob
eine Aufklärung der Taten überhaupt gewünscht ist“. Es sei unerträglich,
dass fünf Jahre nach dem Anschlag niemand zur Verantwortung gezogen worden
ist – „mein Vertrauen in Staat und Justiz ist schwer geschädigt“, so Koc…
## Staatsanwaltschaft hatte vier Jahre gefordert
Die Staatsanwaltschaft hatte vor dem Urteil vier Jahre Freiheitsstrafe ohne
Bewährung gefordert. In einem rund zweistündigen Plädoyer zählten zwei
anwesende Staatsanwältinnen noch einmal sämtliche T. zur Last gelegten
Straftaten auf: die Brandstiftungen, Sachbeschädigungen durch
NS-verherrlichende Aufkleber und Graffiti mit dem Konterfei von Rudolf Heß,
Subventionsbetrug durch Coronahilfen, Sozialbetrug durch missbräuchlichen
Bezug von Hartz IV sowie die Morddrohungen.
Nachdem das Verfahren gegen den ursprünglich mitangeklagten Tilo P. wegen
Brandstiftung [1][in einem Freispruch endete] und der lediglich für die
rechten Schmierereien verurteilt wurde, rechnete die Staatsanwaltschaft
auch in diesem Verfahren nicht mit einer nur auf Indizien gestützten
Verurteilung wegen Brandstiftung. Auch deswegen forderte sie im Plädoyer
wohl vorsorglich, dass T. auch ohne Brandstiftung aus Sicht der
Staatsanwältinnen für deutlich über zwei Jahre verurteilt werden müsste.
Sebastian T. folgte dem letzten Prozesstag weitgehend ungerührt, bei der
Urteilsverkündung lief er etwas rot an, ansonsten blieb er weitgehend
still. Auch nach dem Plädoyer seines Anwalts Carsten Schrank hatte er
nichts mehr hinzuzufügen. Der als Neonazi-Anwalt bekannte Jurist hatte
einen Freispruch gefordert und zuvor sämtliche angeklagten Taten
abgestritten oder verharmlost. Dabei hatte er nicht nur die tatsächlich
schwer gerichtlich nachweisbaren Brandstiftungen geleugnet, sondern auch
Anschläge gegen Antifaschist*innen relativiert – mit Hinweisen auf
Linksextremismus.
Ein kleiner Exkurs zur Rolle von Rudolf Heß im Nationalsozialismus durfte
natürlich auch nicht fehlen von seiten des Neonazi-Anwalts. Es sei keine
NS-Verherrlichung gewesen, dass sein Mandant Rudolf-Heß-Sticker verklebt
hätte, behauptete Schrank. Auch insgesamt blieb das Plädoyer etwas wirr und
teils widersprüchlich.
Der [2][Neukölln-Komplex] bleibt damit auch nach den Gerichtsprozessen
gegen T. und P. unaufgeklärt. Zur rechtsextremen Terrorserie werden neben
den angeklagten Taten zahlreiche weitere Brandanschläge, Sachbeschädigungen
und Bedrohungen gegen politisch Engagierte im Süden Neuköllns gerechnet.
Derzeit läuft zum Neukölln-Komplex auch ein Untersuchungsausschuss im
Abgeordnetenhaus, der neben rechten Strukturen zahlreiche Ungereimtheiten
während der Ermittlungen untersuchen soll.
7 Feb 2023
## LINKS
[1] /Rechtsextreme-Terrorserie-in-Neukoelln/!5903017
[2] /Rechter-Terror-in-Berlin-Neukoelln/!t5612550
## AUTOREN
Gareth Joswig
## TAGS
Rechter Terror in Berlin-Neukölln
Berlin-Neukölln
Neukölln
Rechtsextremismus
Schwerpunkt Neonazis
Rechter Terror in Berlin-Neukölln
Rechter Terror in Berlin-Neukölln
Ferat Koçak
Rechter Terror in Berlin-Neukölln
Schwerpunkt Rassismus
Erdbeben
Wochenkommentar
Polizei Berlin
Rechter Terror in Berlin-Neukölln
Rechter Terror in Berlin-Neukölln
## ARTIKEL ZUM THEMA
Durchsuchungen bei Neuköllner Neonazis: Ermittlungen ausgeweitet
Wegen zwei weiterer Autobrandstiftungen gab es Razzien bei den Neonazis
Tilo P. und Sebastian T. Wieder betroffen ist der Buchhändler Heinz
Ostermann.
Staatsanwaltschaft legt Berufung ein: Neukölln-Prozess geht in Runde zwei
Die Generalstaatsanwaltschaft findet sich mit den milden Urteile für drei
Neonazis nicht ab. Ferat Kocak fordert, Strukturen in den Blick zu nehmen.
Brandstiftungen in Neukölln: Rechter Hintergrund vermutet
Der Linke Ferat Kocak sieht bei neun Brandstiftungen im Bezirk seit 2019
Anhaltspunkte für eine rechte Tatmotivation. Der Polizei macht er Vorwürfe.
Rechte Anschlagsserie in Neukölln: Neo-Nazis weiter aktiv
Unbekannte beschmieren in Berlin-Britz Schulen und das
Burak-Bektaș-Denkmal. Die Zivilgesellschaft ist alarmiert und organisiert
Gegenproteste.
Rassistischer Wahlkampf: Ressentiment-Junkie CDU
2023 lassen sich mit deutschnationalen Diskursen Wahlen gewinnen. Fatal
wäre, die rassistische Stimmungsmache mit Problemanalyse zu verwechseln.
Erdbeben in der Türkei und Syrien: Sachspenden vorsätzlich verbrannt
Nach den Erdbeben hat ein Supermarkt in NRW Hilfsgüter gesammelt.
Unbekannte verbrannten diese. Der Staatsschutz ermittelt.
Urteil im Neukölln-Komplex: Maximal unbefriedigend
Die Neonazis T. und P. sind nicht wegen Brandstiftung verurteilt worden.
Das ist die Konsequenz aus verkorksten Ermittlungen und Ungereimtheiten.
Rechte Chatgruppen in der Polizei Berlin: Die Spitze der Eierköppe
Aus einem Verdächtigen werden 62: Ermittlungen wegen rechter Chatgruppen in
der Polizei weiten sich aus. Nun sind erneut 2 Gruppen bekannt geworden.
Rechtsextreme Terrorserie in Neukölln: Freispruch für Neonazi
Tilo P. wird vom Vorwurf mehrerer Auto-Brandstiftungen freigesprochen –
trotz vieler Indizien. Gegen Sebastian T. wird der Prozess fortgesetzt.
Rechter Terror in Berlin-Neukölln: Untersuchungsausschuss ohne Akten
Der Ausschuss schließt die Befragung der Betroffenen ab. Für die weitere
Arbeit bräuchte er Akten der Polizei – doch die würden verweigert.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.