| # taz.de -- Rechter Terror in Berlin-Neukölln: Untersuchungsausschuss ohne Akt… | |
| > Der Ausschuss schließt die Befragung der Betroffenen ab. Für die weitere | |
| > Arbeit bräuchte er Akten der Polizei – doch die würden verweigert. | |
| Bild: Die Initiative Hufeisern gegen Nazis war eine Reaktion auf den rechten Te… | |
| Berlin taz | Dem [1][parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum rechten | |
| Terror in Neukölln] geht die Arbeit aus – aber nicht, weil der Komplex aus | |
| mutmaßlichem Polizeiversagen und rechtem Filz in staatlichen Strukturen | |
| aufgeklärt wäre. Im Gegenteil: Den Abgeordneten fehlen Akten von Polizei | |
| und Staatsanwaltschaft, weil die zuständigen Senatsverwaltungen für Inneres | |
| und Justiz nicht liefern würden, beklagten Ausschussmitglieder aller | |
| Parteien am Freitag unisono. | |
| „Ein Großteil der Akten zu dem Komplex der Straftaten von 2009 bis 2021 | |
| fehlt“, erklärte Vasili Franco (Grüne), stellvertretender Vorsitzender des | |
| Ausschusses, nach der Sitzung. Damit sei der Kerngegenstand des Ausschusses | |
| nicht durch Akten unterlegt. „So lassen sich zum Beispiel die Aussagen von | |
| Betroffenen nicht überprüfen.“ Die weitere Arbeit des Ausschusses, etwa | |
| wenn es um die in Kürze anstehende Vernehmung von Zeugen aus Polizei und | |
| Staatsanwaltschaft geht, sei damit unmöglich. | |
| Vor wenigen Tagen seien Rückfragen aus der Innenverwaltung zu einem Antrag | |
| des Ausschusses vom Juli gekommen. „Warum dauert so etwas vier Monate“, | |
| fragte sich nicht nur Franco. Niklas Schrader, der für die Linke im | |
| Ausschuss sitzt, nannte die Situation „sehr unbefriedigend“. | |
| Die offensichtliche Verweigerung erstaunt umso mehr, als es sich nicht um | |
| einen von der Opposition im Abgeordnetenhaus vorangetriebenen | |
| Untersuchungsausschuss handelt: Vielmehr wurde er vor allem auf Wunsch der | |
| Koalition und hier besonders von Linken und Grünen eingesetzt, nachdem | |
| frühere Aufklärungsversuche, etwa vom damaligen Innensenator Andreas Geisel | |
| (SPD) eingesetzte Sonderermittler, keine neuen Erkenntnisse erbracht | |
| hatten. | |
| ## Amtshilfe gefordert | |
| Welche Akten es gibt, ist daher zum Großteil bekannt, viele Verfahren sind | |
| längst eingestellt, auch handelt es sich überwiegend um Material aus | |
| Landeseinrichtungen und nicht vom Bund. „Die Senatsverwaltungen für Inneres | |
| und Justiz müssen jetzt Amtshilfe leisten und die Unterlagen zeitnah zur | |
| Verfügung stellen“, forderte Franco. | |
| Der Untersuchungsausschuss will klären, ob es bei den jahrelangen | |
| Ermittlungen Fehler und Pannen gab: Der Fragenkatalog umfasst 60 Punkte. | |
| Die Ermittlungen der Polizei waren zunächst erfolglos. [2][Inzwischen | |
| wurden mutmaßliche Täter aus der Neonazi-Szene vor Gericht gestellt.] Zwei | |
| Sonderermittler hatten 2021 festgestellt, die Justiz habe den | |
| Seriencharakter der Taten zu spät erkannt und die Staatsanwaltschaft habe | |
| ihre Ermittlungen zu früh eingestellt. | |
| Am Freitag schloss der Ausschuss die Befragung von Betroffenen ab. | |
| Eingeladen war Christiane Schott, die in der Britzer Hufeisensiedlung lebte | |
| und deren Familie seit 2011 immer wieder von Neonazis terrorisiert wurde. | |
| Es begann, nachdem sie es gewagt hatte, zwei Männern zu sagen, sie wolle | |
| keine NPD-Flyer in ihrem Briefkasten haben. In der Folge wurde ihr | |
| Briefkasten gesprengt, Fenster des Hauses zertrümmert und dessen Fassade | |
| beschmiert, Reifen an ihrem Auto zerstochen. | |
| Zehn Anschläge habe es auf ihr Haus gegeben, sagte sie am Freitag im | |
| Ausschuss; keiner sei aufgeklärt worden. „Wir haben in diesen zehn Jahren | |
| den Glauben an Ermittlungsbehörden und Justiz verloren.“ Bis heute seien | |
| ihre Töchter traumatisiert von den Ereignissen, sie selbst habe monatelang | |
| nicht schlafen können. Im Mai 2021 hätten sie schließlich ihr Haus | |
| verkauft. | |
| Die Polizei habe die Ermittlungen oft geradezu verweigert, berichtete | |
| Schott. So seien Steine, die auf das Haus und durchs Fenster geworfen | |
| wurden, eine Woche lang nicht als Beweisstücke untersucht worden; ähnlich | |
| sei die Polizei mit dem kaputten Briefkasten umgangen. Ein Zusammenhang mit | |
| anderen Anschlägen in Neukölln sei oft abgetan worden. | |
| Einmal hatte es geheißen, die Polizei montiere eine Kamera im | |
| gegenüberliegenden Haus. Als es tatsächlich zu einer erneuten Attacke kam, | |
| stellte sich heraus, die Batterie war leer, die Kamera kaputt. Eine neue | |
| wurde nicht angebracht. „Ich hatte nicht den Eindruck, dass wir ernst | |
| genommen worden sind“, sagte Schott. | |
| ## Eine seltsame Begegnung | |
| Und schilderte schließlich eine besonders seltsame Begegnung. Kurze Zeit | |
| nach den ersten Attacken sei ein erkennbarer Neonazi bei ihr am Zaun | |
| gestanden und habe sich schließlich vorgestellt. Es kam zu einem langen | |
| Gespräch, bei dem der Mann ihr gestand, dabei gewesen zu sein, als Steine | |
| auf Schotts Haus geworfen wurden. „Ich rufe die Polizei“, habe sie gesagt. | |
| Er brauche keine Angst vor dem LKA zu haben, sei die Antwort gewesen. Der | |
| Mann, Christian S., sei doch nur ein harmloser „Mitläufernazi“, habe die | |
| Polizei ihr später gesagt. | |
| Doch vielleicht war S. noch mehr: Nicht zum ersten Mal im | |
| Untersuchungsausschuss kommt bei der Befragung von Schott die Vermutung | |
| auf, der Mann sei V-Mann des Verfassungsschutzes oder sonstwie geschützter | |
| Informant gewesen. „Ich habe ähnliche Vermutungen“, sagte Schott darauf | |
| angesprochen. | |
| Durch die Befragungen der Betroffenen hätten sich viele Fragen an die | |
| Sicherheitsbehörden ergeben, zog das grüne Ausschussmitglied André Schulze | |
| am Freitag vor der Presse ein erstes Fazit. Zudem hätte sich ein deutlich | |
| umfassenderes und anderes Bild der Entwicklung in Neukölln ergeben, als | |
| etwa aus Medienberichten. Viele Taten, so Schulze weiter, seien von der | |
| Polizei bagatellisiert und etwa als „Dumme-Jungen-Streiche“ abgetan. „Es | |
| gibt viele Hinweise auf gravierende Mängel bei der Ermittlungsarbeit“, | |
| ergänzte Niklas Schrader. | |
| Viel Arbeit also weiterhin für den Ausschuss, der in zwei Wochen zur | |
| nächsten Sitzung zusammen kommt. Dann sollen zwei Sachverständige gehört | |
| werden, unter anderem von der Mobilen Beratung gegen Rechts. Doch was | |
| passiert, wenn das Berliner Verfassungsgericht am kommenden Mittwoch die | |
| Wahl zum Abgeordnetenhaus 2021 für ungültig erklärt? Der Ausschuss sei | |
| ordnungsgemäß eingesetzt und plane auch im Fall von Neuwahlen, die Arbeit | |
| fortzusetzen, so Franco. Sofern die Akten kommen. | |
| 11 Nov 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Bert Schulz | |
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