| # taz.de -- Neukölln-Untersuchungsausschuss: Naziterror als Bagatelle | |
| > Im Berliner Untersuchungsausschuss werden die ersten Zeug*innen gehört. | |
| > Die Abgeordneten beklagen mangelnde Akteneinsicht. | |
| Bild: Claudia von Gélieu am Freitag bei einer Demo anlässlich des U-Ausschuss… | |
| Berlin taz | Die Abgeordneten aller demokratischen Parteien zeigen sich am | |
| Freitagnachmittag durch die Bank beeindruckt vom Auftritt der ersten Zeugin | |
| im Untersuchungsausschuss zur rechtsextremen Terrorserie in Neukölln. | |
| Claudia von Gélieu engagiert sich seit Jahren gegen Rechtsextremismus und | |
| arbeitet ehrenamtlich in der Galerie „Olga Benario“. Seit 2009 wurde diese | |
| immer wieder Ziel von Angriffen durch Neonazis, die Parolen wie „Rotfront | |
| verrecke“ auf die Fensterläden schmierten und die Scheiben einschlugen. | |
| Anzeigen gegen die rechten Bedrohungen habe die Polizei jedoch gar nicht | |
| erst aufgenommen, sagt von Gélieu; das seien nur „wilde Jungenstreiche“ | |
| habe es geheißen. | |
| Für sie und ihren Ehemann, der am Freitag ebenfalls im | |
| Untersuchungsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses aussagt, war jedoch | |
| schon damals klar, dass die Lage ernst ist. „Wir haben uns immer gefragt: | |
| Was passiert als nächstes, wen werden die Nazis angreifen?“ | |
| Im Februar 2017 bestätigten sich ihre schlimmsten Befürchtungen, als | |
| mutmaßlich Neonazis ihr Auto vor ihrem Haus in Rudow abfackelten. Doch auch | |
| in diesem Fall habe die Polizei die Bedrohung heruntergespielt. „Es hieß, | |
| es habe keine Gefahr für Leib und Leben bestanden“, so von Gélieu. „Das m… | |
| sein, aber die Täter haben billigend in Kauf genommen, dass auch das Haus | |
| in Brand gesetzt wird“, ist die Publizistin überzeugt. Die Beamt*innen | |
| hätten den Fall jedoch wie eine ganz normale Sachbeschädigung behandelt. | |
| Ein Jahr später wurden die Ermittlungen dann ergebnislos eingestellt. | |
| Die Abgeordneten haben viele Fragen an die 62-Jährige. Es wird schnell | |
| deutlich, wie wenig ernst die Polizei die rechten Bedrohungen nahm und wie | |
| unsauber ermittelt wurde. So wurde der Ehemann gar nicht erst befragt; | |
| stattdessen wurde er, ein Richter am Kammergericht, wegen einer | |
| Ermittlungspanne unter dem Phänomenbereich „politisch motivierte | |
| Kriminalität rechts“ nicht als Opfer, sondern als Täter geführt. | |
| ## Ignorante Polizei | |
| Von Gélieu selbst wurde nach eigenen Angaben nur ein einziges Mal befragt – | |
| und das auch erst nach zwei Wochen, die Nachbar*innen sogar erst nach | |
| sechs Wochen. Ein Sicherheitsgespräch mit dem für politische Taten | |
| zuständigen Staatsschutz des LKA habe erst stattgefunden, nachdem ihr | |
| Ehemann ein Interview in der Abendschau des RBB gegeben habe. Wobei der | |
| Eindruck entstanden sei, dass die Beamt*innen die Ursache für die | |
| Bedrohungslage nicht etwa bei den Neonazis, sondern in dem Verhalten der | |
| Opfer sehen. „Die negativen Erfahrungen, die ich mit den | |
| Sicherheitsbehörden gemacht habe, machen mir genauso Angst, wie die | |
| Angriffe der Nazis selbst“, sagt Claudia von Gélieu am Freitag. | |
| Hätten die Polizist*innen die Bedrohungen von Anfang an ernst genommen, | |
| den Seriencharakter der Anschläge erkannt und sauber ermittelt – wer weiß, | |
| ob es dann so weit gekommen wäre. 72 rechtsextreme Straftaten zählt die | |
| Polizei seit 2016 in Neukölln, darunter 23 Brandstiftungen. | |
| Aktivist*innen rechnen auch [1][zwei ungeklärte Mordfälle] zu der | |
| Serie. | |
| Nachdem die Ermittlungsbehörden jahrelang keine Ergebnisse vorweisen | |
| konnten und stattdessen immer mehr Fehler und Skandale ihrer Arbeit bekannt | |
| wurden, wurde ein Untersuchungsausschuss ins Leben gerufen, der [2][seit | |
| Juni dieses Jahres die Ermittlungsarbeit unter die Lupe nehmen soll.] | |
| Der Start des Untersuchungsausschusses, den Betroffene bereits seit vielen | |
| Jahren fordern, hatte sich verzögert, [3][weil der Kandidat der AfD erst im | |
| dritten Anlauf eine Mehrheit erhielt]. Auch Claudia von Gélieu fühlt sich | |
| sichtlich unwohl, dass sie einer Partei Auskunft erteilen muss, „die in den | |
| Neukölln-Komplex verwickelt ist“, wie sie sagt. | |
| ## AfD nicht an Aufklärung interessiert | |
| Dass die AfD nur wenig an Aufklärung interessiert ist, beweist am Freitag | |
| dann auch ihr Vertreter Antonin Brousek. Er versucht kontinuierlich, die | |
| Taten zu bagatellisieren, was bei den anderen Abgeordneten für hörbaren | |
| Unmut sorgte. | |
| „Die Situation der Betroffenen vor Ort ist heute sehr deutlich geworden“, | |
| sagt der Ausschussvorsitzende Florian Dörstelmann (SPD) im Anschluss an die | |
| Befragung der ersten Zeugin. „Der Seriencharakter zeigte sich nicht erst | |
| 2016, sondern schon 2009“, so der Grünen-Politiker André Schulze. Neben dem | |
| Ehepaar Gélieu wird anschließend auch der Buchhändler Heinz Ostermann | |
| befragt, dem im Dezember 2016 die Scheiben seiner Buchhandlung in Rudow | |
| eingeworfen wurden; einen Monat später [4][fackelten Unbekannte seinen | |
| Wagen vor seiner Haustür ab]. | |
| Bis mindestens Ende Oktober soll die Befragung der Betroffenen weitergehen, | |
| unter ihnen auch die Neuköllner SPD-Bezirksstadträtin Mirjam Blumenthal und | |
| der Linke-Abgeordnete Ferat Koçak, der zugleich stellvertretendes Mitglied | |
| des Untersuchungsausschusses ist. | |
| ## Parallel läuft ein Prozess gegen verdächtige Neonazis | |
| Koçaks Auto war Anfang 2018 mutmaßlich von Neonazis angezündet worden, | |
| wobei die Flammen nur mit Glück nicht auf sein Haus übergriffen. Die | |
| Sicherheitsbehörden wussten vor dem Anschlag, dass er im Visier von | |
| Neonazis stand, warnten ihn aber nicht. Für den Anschlag auf die Autos von | |
| Koçak und Ostermann müssen sich [5][seit diesem Montag fünf Neonazis vor | |
| Gericht verantworten], unter ihnen die beiden stadtbekannten | |
| Rechtsextremisten Tilo P. und Sebastian T. | |
| Kurz vor Prozessbeginn sorgten Recherchen des rbb für Aufregung, laut denen | |
| die Polizei beim Ausspähen eines linken Aktivisten Aufnahmen davon machten, | |
| wie Sebastian T., Tilo P. und ein weiterer Neonazi im März 2019 das Haus | |
| ihres politischen Gegners mit einer Drohung und Hakenkreuzen besprühten. | |
| Der zur Aufklärung der Neuköllner Terrorserie eigens eingesetzte BAO Fokus | |
| lag dieses Video offenbar vor, wurde aber ignoriert. | |
| ## Akten kommen nur schleppend an | |
| „Die Kritik an den Sicherheitsbehörden müssen wir systematisch aufnehmen, | |
| und dann die Verantwortlichen dazu befragen“, sagte am Freitag der | |
| Linke-Abgeordnete Niklas Schrader. Dazu müssten die Ausschuss-Mitglieder | |
| jedoch erst einmal die bereits vor Monaten angeforderten Akten einsehen | |
| können – was mit Verweis auf den laufenden Prozess bislang größtenteils | |
| verweigert wurde. | |
| Das sorgt hinter den Kulissen insbesondere bei Grünen und Linken für | |
| deutlichen Unmut. Doch auch die CDU übte nach dem Ausschuss Kritik an der | |
| Informationslage. „Die Zulieferung verläuft etwas schleppend. Ich hätte mir | |
| gewünscht, dass wir mittlerweile mehr Material haben“, so der Abgeordnete | |
| Stephan Standfuß. | |
| 2 Sep 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Marie Frank | |
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| seine Arbeit aufgenommen. Nun heißt es erstmal Akten wälzen. |