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# taz.de -- Prozess zur Neuköllner Terrorserie: Den Tätern in die Augen blick…
> Der Prozess gegen die Hauptverdächtigen der rechtsextremen Anschlagsserie
> in Berlin-Neukölln läuft. Ein Urteil könnte es im November geben.
Bild: Ferat Kocak, wohl prominentestes Opfer der rechtsextremen Neuköllner Ter…
Berlin taz | Vor dem Beginn des Prozesses gegen die Hauptverdächtigen der
seit 13 Jahren andauernden [1][rechtsextremen Terrorserie mit mehr als 70
Straftaten in Berlin-Neukölln] steht mit Ferat Koçak, Abgeordneter der
Linken im Abgeordnetenhaus, eines der Opfer vorm Gebäude des Amtsgerichts
Tiergarten. Der Aktivist und Politiker ist Teil einer kleinen Kundgebung
und hält ein Transparent mit der Aufschrift „Rechten Terror stoppen“.
Im Gespräch mit der taz sagt Koçak, der auch stellvertretendes Mitglied
eines [2][parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Anschlagsserie]
ist, dass er den angeklagten Nazis zeigen wolle, keine Angst zu haben: „Für
mich ist es wichtig, ihnen einmal gegenüberzusitzen.“
Den Prozess – nach all den Jahren mit etwa 20 Brandstiftungen und
Morddrohungen gegen viele, die sich im Bezirk demokratisch und
antifaschistisch engagieren, mit eingeworfenen Scheiben, geklauten
Stolpersteinen und auch mit [3][zwei unaufgeklärten Mordfällen] –
bezeichnet Koçak in einer kurzen Rede als „Ergebnis des unnachgiebigen
Aufklärungswillens aller Betroffenen“. Zwar ist der Täterkreis seit Langem
bekannt, doch den Sicherheitsbehörden war es jahrelang nicht gelungen,
belastendes Material für eine Prozesseröffnung vorzulegen.
Koçak selbst wurde am 1. Februar 2018 zum Opfer, als sein auf einem Carport
geparktes Auto angezündet wurde und die Flammen nur mit Glück nicht auf
sein Haus übergriffen. Dass er an diesem Montag als Nebenkläger am Prozess
teilnehmen kann, war zuvor [4][Gegenstand einer gerichtlichen
Auseinandersetzung].
Nachdem Koçaks Antrag zunächst von der Vorsitzenden Richterin am
Amtsgericht mit dem Hinweis abgelehnt wurde, dass bei ihm keine schweren
Folgen der Tat festzustellen seien, ließ das Berliner Landgericht den
Politiker am Freitag doch noch zu. Das Landgericht sah sehr wohl die
Schwere der Tat – und die Möglichkeit, dass die Brandstiftung als
versuchtes Tötungsdelikt gewertet werden könnte.
## Drei Neoanzis auf der Anklagebank
Im Gerichtssaal trafen Koçak, nervös mit einem Stift spielend, und seine
Anwältin dann auf die beiden mutmaßlichen Haupttäter Tilo P. und Sebastian
T. sowie auf den Mitangeklagten Samuel B., der sich von Szeneanwalt Wolfram
Nahrath verteidigen lässt. Ein weiterer Beschuldigter war nicht erschienen,
das Verfahren gegen einen fünften wurde abgetrennt. Die Neonazikader P. und
T., 39 und 36 Jahre alt, gaben sich gelassen, machten Angaben zur Person,
sagten aber sonst nichts. Verantworten müssen sie sich für den Anschlag auf
Koçak und für eine weitere Brandstiftung in derselben Nacht am Auto des
Buchhändlers Heinz Ostermann.
Den Antrag ihrer Verteidigung, das Verfahren wegen der Anwesenheit Koçaks
auszusetzen, lehnte die Richterin ab. Hinweise auf eine „versuchte Tötung“
jedoch verneinte sie. Verlesen werden konnte danach die aus drei
Einzelanklagen zusammengesetzte Anklageschrift – mit dem Hauptvorwurf der
Brandstiftungen. Hauptindiz war lange Zeit, das Koçak durch P. und T.
ausgespäht wurde. Die Polizei wusste davon, ohne ihn zu warnen.
Im vergangenen November kam ein neues Indiz hinzu. Nach Angaben des
Verfassungsschutzes hatte Tilo P. in Untersuchungshaft zu einem
Gesinnungsgenossen gesagt, die Behörden wollten ihm [5][„jetzt auch noch
wegen den anderen Sachen was anhängen“] – dabei habe er doch „nur Schmie…
gestanden. Die Ankläger gehen davon aus, dass mit „den anderen Sachen“ die
Bandstiftungen gemeint sind.
## Propagandadelikte und Drohungen
Vorgeworfen werden den beiden darüber hinaus diverse Propagandadelikte. Im
Juli und August 2017 sollen sie, teils zusammen mit den drei anderen
Angeklagten, an mehreren Dutzend Stellen Aufkleber und Schriftzüge mit
Bezug auf eine angebliche Tötung des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß
angebracht haben.
Dazu kommen gesprühte Todesdrohungen an den Wohnadressen dreier
Antifaschist:innen. Sebastian T. muss sich auch noch für einen Betrug
verantworten, weil er als ALG-II-Bezieher weiter Miete für eine Wohnung, in
der er nicht mehr wohnte, als Sozialleistung kassierte. Vorgeworfen wird
ihm zudem der Betrug mit Coronahilfen.
Angesichts der vielen weiteren – auch schweren – Taten der Strafserie sind
die Vorwürfe überschaubar. In Gang kamen die Ermittlungen erst, nachdem im
Sommer 2020 die Berliner Generalstaatsanwaltschaft den Fall an sich gezogen
hatte. Zuvor waren der für die Ermittlungen verantwortliche
Oberstaatsanwalt sowie ein weiterer Staatsanwalt wegen des Verdachts auf
Befangenheit zwangsversetzt worden.
Die Liste der Emittlungspannen ist laut einem neuen RBB-Bericht nun noch
ein Kapitel länger. Demnach sollen polizeiliche Videoaufnahmen, die
Sebastian T. im März 2019 beim Beschmieren des Hauses eines politischen
Gegners zeigen, lange von den Ermittlern ignoriert worden sein.
Der Prozess wird am Mittwoch fortgesetzt, ein Urteil könnte im November
fallen.
29 Aug 2022
## LINKS
[1] /Rechter-Terror-in-Berlin-Neukoelln/!t5612550
[2] /Neukoelln-Komplex/!5858410
[3] /Tatmotiv-Rassismus/!5843092
[4] /Prozess-um-Neukoellner-Anschlagsserie/!5868108
[5] /Prozess-gegen-Neukoellner-Neonazis/!5860609
## AUTOREN
Erik Peter
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