| # taz.de -- Regisseurin über hingerichtete Iranerin: „Ein Film gegen die Tod… | |
| > Steffi Niederzolls Dokumentarfilm „Sieben Winter in Teheran“ ist | |
| > aufwühlend. Sie erzählt über eine junge Iranerin, die hingerichtet wurde. | |
| Bild: Die Regisseurin und Autorin Steffi Niederzoll in Berlin Kreuzberg | |
| wochentaz: Frau Niederzoll, ihr Dokumentarfilm über Reyhaneh Jabbari, die | |
| 2014 gehängt wurde, weil sie sich gegen eine Vergewaltigung wehrte und | |
| dabei ihren Angreifer, einen Geheimdienstmitarbeiter, tödlich mit einem | |
| Messer verletzte, lebt von den Tondokumenten, die Reyhaneh im Gefängnis | |
| aufnimmt. Wie konnten all diese Aufnahmen und Texte hinausgeschmuggelt | |
| werden? | |
| Steffi Niederzoll: Meistens konnte Reyhaneh jeden Tag zwei Minuten lang | |
| telefonieren. Vor allem zuletzt, 2014, nahm ihre Mutter ihre Gespräche auf. | |
| So konnten ziemlich schnell Texte aus dem Gefängnis an der Gefängnisleitung | |
| vorbei aus dem Gefängnis geschafft werden. | |
| Die Telefonleitung wurde nicht überwacht? | |
| Doch, manchmal hat es auch nicht geklappt, sie wurden abgehört. | |
| Sogar Fotos aus dem Inneren des Gefängnisses, aus Evin, sind im Film zu | |
| sehen. | |
| Es ist Wahnsinn, wie viel diese Menschen riskiert haben, indem sie Handys | |
| rein- und Fotos rausgeschmuggelt haben. Ich hätte diesen Film ohne die | |
| vielen mutigen Iraner:innen niemals machen können. | |
| Wie hat die Geschichte einige Jahre später zu Ihnen gefunden? | |
| Das war Zufall. Ich habe in Istanbul, wo ich in der Zeit häufig war, über | |
| einen iranischen Freund 2016 Familienmitglieder von Reyhaneh kennengelernt. | |
| Wir haben uns angefreundet und irgendwann haben sie mich gefragt, ob ich | |
| nicht aus den Ton- und Videoaufnahmen aus Reyhanehs Haftzeit einen Film | |
| machen möchte. In Iran haben sie niemanden gefunden, der sich das traute, | |
| für mich als Deutsche war es sehr viel weniger gefährlich. Das war ein | |
| ziemlicher Vertrauensvorschuss. 2017 habe ich dann Shole Pakravan | |
| kennengelernt, Reyhanehs Mutter. In dem Moment wusste ich, dass ich diesen | |
| Film unbedingt machen möchte und muss. | |
| Shole und ihre zwei Töchter hatten Iran kurz zuvor verlassen. | |
| Ja. Shole hat nach der Hinrichtung ihrer Tochter weiter gegen die | |
| Todesstrafe gekämpft. Zusammen mit anderen Müttern, deren Kinder teilweise | |
| auf Demonstrationen während der grünen Bewegung 2009 erschossen worden | |
| sind, hat sie sich gegen willkürliche Verhaftungen eingesetzt. Verhört | |
| wurden sie immer wieder, ihre Töchter bedroht. Als dann eine Freundin und | |
| Mitstreiterin Sholes verhaftet wurde, war klar, dass sie das Land verlassen | |
| muss. | |
| Ist Reyhanehs Vater Fereydoon Jabbari immer noch in Iran? Im Film ist er | |
| der Einzige, den Sie per Videotelefonat interviewen. | |
| Ja, ihm wird die Ausstellung eines gültigen Passes verwehrt und es sieht | |
| auch nicht danach aus, dass sich das bald ändert. Aber er hat sich trotzdem | |
| entschlossen über seine Tochter zu sprechen. Alle anderen, auch die | |
| ehemaligen Mithäftlinge Reyhanehs, sind nicht mehr in Iran. Mit mir zu | |
| sprechen wäre einfach zu gefährlich gewesen. „Sieben Winter in Teheran“ i… | |
| ein Film gegen die Todesstrafe. Die Todesstrafe basiert auf der Scharia, | |
| also auf dem Koran. Das bedeutet, der Film richtet sich quasi gegen das | |
| Wort Gottes. | |
| Sie bleiben die ganze Zeit sehr nah an der Familie Jabbari. Haben Sie | |
| versucht, auch die Familie des getöteten Morteza Abdolali Sarbandi zu | |
| befragen? | |
| Ich bin nicht an sie herangekommen. Es ist aber auch keine journalistische | |
| Arbeit, sondern ich nehme ganz klar eine Perspektive ein, nämlich die der | |
| Familie Jabbari. Ein Film ist immer auch eine Entscheidung. Ein Film kann | |
| nicht alles. | |
| „Sieben Winter in Teheran“ ist auch ein Film über das iranische | |
| Justizsystem, über das Konzept der Blutrache, wonach die Familie des | |
| Geschädigten, im Fall Reyhanehs die Familie ihres verhinderten | |
| Vergewaltigers, die Strafe festlegt. Das Bemerkenswerte an Ihrem Film ist | |
| jedoch, dass man Jalal Sarbandi, den ältesten Sohn, verstehen lernt, obwohl | |
| er entschieden hat, Reyhaneh hängen zu lassen. | |
| Das war einer der Aspekte, der mich an Reyhanehs Mutter Shole so | |
| eingenommen hat. Wie sie versucht hat, eine Beziehung zu Jalal aufzubauen | |
| und Verständnis zu zeigen, hat mich total berührt. Jalal ist in meinen | |
| Augen auch ein Opfer des patriarchalen Systems in Iran. Doch natürlich | |
| schwankt Shole immer wieder, denn letztlich ist er trotzdem derjenige, der | |
| entschieden hat, dass ihre Tochter nicht mehr leben darf. | |
| Bis zuletzt bestand die Chance, dass er ihr vergeben würde. Letztlich hat | |
| er jedoch nicht nur ihre Hinrichtung verantwortet, sondern musste selbst | |
| auf einen Knopf drücken, wodurch das Podest unter ihr weggezogen wurde. | |
| Es ist extrem perfide, dass ein Staat die Entscheidung über das Leben eines | |
| Menschen an einen Bürger weitergibt. Dadurch werden riesige Fragen | |
| aufgeworfen. Was ist Leben, was ist Vergebung, was ist Rache? Das Schwanken | |
| von Jalal, der einerseits Verständnis zeigt und vergeben möchte, | |
| andererseits aber seinen Vater rächen will. Man muss bedenken, die Familie | |
| hat ja auch einen Menschen verloren, sie müssen auch mit ihrem Schmerz | |
| klarkommen. | |
| Das Perfide des iranischen Rechtssystems zeigt sich auch, als der | |
| parteiische Richter Reyhaneh darüber belehrt, dass sie sich hätte | |
| vergewaltigen lassen und anschließend Anzeige erstatten sollen. | |
| Im islamischen Recht gibt es die Hadd-Strafen, denen auch außerehelicher | |
| Geschlechtsverkehr unterliegt. Reyhaneh wurde ja schon vor ihrem | |
| Gerichtsprozess mit 30 Peitschenhieben bestraft, weil sie einen | |
| außerehelichen „Kontakt“ mit Sarbandi hatte, ohne Geschlechtsverkehr. Hät… | |
| der stattgefunden, einvernehmlich oder nicht, wären es 100 Peitschenhiebe | |
| gewesen. | |
| Nachdem Reyhaneh zum Tode verurteilt worden ist, dauerte es noch fünf | |
| Jahre, bis sie tatsächlich hingerichtet wurde. Ist das üblich? | |
| Es ist in diesem extrem korrupten System nicht unüblich. Auch Reyhanehs | |
| Familie hat jahrelang Bestechungsgeld gezahlt, damit ihre Akte immer wieder | |
| nach unten rutscht. | |
| Trotzdem war es vor allem der Protest der Mutter, der für Aufsehen gesorgt | |
| hat und Druck ausübte auf das Regime. Man fragt sich aktuell wieder: Wie | |
| viel Angst machen dem Regime wütende Frauen? | |
| Es gibt diejenigen, die fürchten, westliche Medien einzuschalten könne | |
| schneller zu einer Hinrichtung führen, was vom Regime natürlich ebenfalls | |
| propagiert wird. Anderseits ist das Regime durch den Aufschrei im Westen in | |
| Reyhanehs Fall wahnsinnig unter Druck geraten. Letztlich ist sie aber | |
| trotzdem hingerichtet worden. Die Meinungen gehen also auseinander. | |
| Haben Sie weiterhin Kontakt zu Reyhanehs Familie? | |
| Ja, wir stehen uns sehr nah. Erst im September haben wir ja zusammen das | |
| Buch „Wie man ein Schmetterling wird“ zu Ende geschrieben, das Reyhanehs | |
| Fall nochmals darlegt. | |
| Aktuell werden in Iran weiter Demonstrant:innen hingerichtet. Welche | |
| Wirkung erhoffen Sie sich von Ihrem Film? | |
| Ich hoffe, dass der Film verdeutlicht, dass hinter den Zahlen | |
| Einzelschicksale stecken. Hinter jedem hingerichteten Demonstranten steht | |
| eine Mutter wie Shole Pakravan, steht ein Vater wie Fereydoon Jabbari. Ich | |
| will die Reproduktion von Gewalt zeigen. Durch die Proteste sind Menschen | |
| weltweit da-rauf aufmerksam geworden, wie es in Iran um Frauenrechte steht. | |
| Doch diese institutionalisierte Gewalt hat nicht jetzt, hat nicht mit dem | |
| Fall von Reyhaneh angefangen, das geht seit Jahren so. | |
| 18 Feb 2023 | |
| ## AUTOREN | |
| Julia Hubernagel | |
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