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# taz.de -- Wahlwiederholung am 12. Februar: Enteignung als Gewissensfrage
> Beim Spitzenkandidatentreffen positioniert sich Giffey klar gegen
> Enteignung von Wohnkonzernen. Grüne Jarasch will nicht alle Autos
> verbannen.
Bild: Mochte noch neben ihm sitzen: Der vermeintlich „einsame Kai“ Wegner a…
Berlin taz | Es sind gleich mehrere Erkenntnisse, mit denen sich aus dem
ersten [1][großen Spitzenkandidatentreffen] des Jahres heraus gehen lässt.
Da ist zum einen: Müssten sich die sechs, die am Montagabend auf Einladung
des Wirtschaftsverbands VBKI und des Tagesspiegel zusammen sitzen, für die
Wahl am 12. Februar auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen, läge der
parteilose [2][Wirtschaftssenator Stephan Schwarz] nahe. Der ist gar nicht
auf der Bühne, wird aber von der Linkspartei genauso gelobt wie von CDU und
FDP.
Zweitens zeigt sich, dass es wenigstens menschlich nicht so einsam ist um
CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner, wie es die SPD-Fraktion nahe legte, als sie
ihn jüngst wegen gerade stark eingeschränkter Koalitionsoptionen als
[3][„den einsamen Kai“] verspottete. Zumindest wenn man Duzen als Ausdruck
einer gewissen Sympathie versteht – denn auf der Bühne duzt Wegner auch
Linke-Spitzenkandidat Klaus Lederer.
Das ist durchaus nicht als bloß oberflächlich abzutun. Doch die
entscheidenden Momente erlebt das Treffen tatsächlich auf zwei inhaltlichen
Feldern, nämlich Mobilität und Enteignung von großen Wohnungsunternehmen
als Folge des erfolgreichen Volksentscheids vom 26. September 2021.
Bettina Jarasch von den Grünen ist an diesem Abend zuvor eher am Rand
beteiligt, aber eine spöttische Frage des Moderators bringt sie richtig ins
Gespräch. „Frau Jarasch, warum wollen sie dem Kai und dem Sebastian das
Auto wegnehmen?“, will der wissen, anspielend auf Wahlkampfaussagen von
Wegner und FDP-Spitzenmann Sebastian Czaja, die sich gegen ein
vermeintliches grünes Autoverbot richten. „Ich nehm' niemandem das Auto
weg“, kontert Jarasch, „ich verbiete auch niemandem das Autofahren.“
## Ab und zu mal das Auto
Was sie tatsächlich wolle: Daran arbeiten, dass immer weniger Leute ein
Auto brauchen. Klimaschutz soll durch sie „wirklich mal“ Priorität
bekommen. Solch ein Schutz geht nach Jaraschs Wahrnehmung vielen schnell
über die Lippen, „doch bei den beiden netten Herren neben mir (gemeint sind
Wegner und Czaja, d. taz) endet das Thema Klimaschutz sofort, wenn's um
weniger Autos geht.“ Und sie sage ausdrücklich: „Nicht ohne Autos – das
wird in Berlin nicht funktionieren, wir werden auch am Ende in Berlin noch
Autos haben.“ Zumal Jarasch nach eigenem Bekunden selbst „ab und zu“ Auto
fährt.
Das hätte die bleibende Aussage des Abend sein können. Doch dann kommt eine
Schlussrunde der sechs, und als letzte ist Franziska Giffey dran, die
aktuelle Regierungschefin und SPD-Spitzenkandidatin. Enteignung ist in den
eineinhalb Stunden zuvor eher am Rande ein Thema gewesen, worüber sich Kai
Wegner gleich mehrfach beschwerte. In Giffeys Schlusswort aber wird das
anders.
Drei Tage, nachdem ihr Koalitionspartner Linkspartei [4][bei einem
Parteitag nochmal laut für Enteignung plädierte] und dabei eine
Gastrednerin der Initiative „Deutsche Wohnen & Co.“ beklatschte, geht
Giffey bei ihrer Wortwahl noch über jene von ihr bisher gezogene „Rote
Linie“ hinaus. Als solche hatte sie 2021, mit Blick auf die Bildung einer
Regierungskoalition, Enteignungen bezeichnet. Zwar argumentiert sie wie
sonst auch mit Milliardenkosten und keiner dadurch zusätzlich entstehenden
Wohnung. Zudem verpflichte sie ihr Amtseid, „Schaden von der Stadt
abzuwenden“.
Doch sie macht das Thema auch zur Gewissensfrage. Sie sei im Osten des
Landes geboren, „in einem anderen Land, in dem Enteignung auch eine
Dimension hatte“, sagt Giffey. „Ich kann es mit meinem Gewissen nicht
vereinbaren, mich für Enteignungen einzusetzen.“ Und merklich für den Fall,
dass die vom Senat eingesetzte Expertenkommission etwas anderes empfiehlt,
fügt sie hinzu: „Was theoretisch möglich ist, heißt noch nicht, dass es
wirklich auch gut ist für die Stadt.“
Wäre das nicht der Schlussbeitrag der Runde gewesen, hätte nun sofort die
Frage an Klaus Lederer folgen müssen, wie das dann weiter gehen solle mit
der Koalition. Aber dafür gibt es ja noch andere Gelegenheiten – bis zur
Wiederholungswahl sind es ja noch fast vier Wochen.
17 Jan 2023
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/embed/-g2Ipq6THcE
[2] https://www.berlin.de/sen/web/ueber-uns/leitung-und-organisation/senator-st…
[3] /Berliner-Abgeordnetenhauswahl-2023/!5906103
[4] /Berliner-Linke-Landesparteitag/!5908704
## AUTOREN
Stefan Alberti
## TAGS
Franziska Giffey
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