# taz.de -- Wohnungspolitik der Berliner SPD: Gewissenlos und inhaltsleer | |
> Franziska Giffey und ihr Bausenator haben sich in der Wohnungspolitik von | |
> Inhalten verabschiedet. Stattdessen wird moralisch argumentiert und | |
> attackiert. | |
Bild: Bedrückende Inhaltsleere | |
Wenn einem die politischen Konzepte und Argumente ausgehen, dann bleibt | |
nicht viel mehr als auf die persönliche Ebene zu wechseln und wahlweise | |
seine Kontrahent:innen zu attackieren oder mit der eigenen Moral zu | |
argumentieren. Die Berliner SPD hat zuletzt gleich zweimal diesen | |
Offenbarungseid geleistet: Ganz offensichtlich nicht zu ihrem Vorteil, noch | |
weniger aber im Sinne der Wohnungspolitik der Stadt. | |
Da war zunächst die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey, die | |
[1][der Umsetzung des Volksentscheids Deutsche Wohnen & Co Enteignen eine | |
Absage erteilte mit Bezug auf ihr Gewissen]. Sowohl ihr Amtseid als auch | |
ihre DDR-Herkunft mache es ihr unmöglich, sich für die Vergesellschaftung | |
einzusetzen, so Giffey. Mit dem Wechsel auf die Moralebene drückt sich | |
Giffey um eine Auseinandersetzung mit dem [2][Zwischenbericht der | |
Expertenkommission], in dem sich angedeutet hat, dass die Enteignung | |
rechtlich möglich und finanzierbar ist. | |
Offensichtlich dabei ist, dass Giffey ihr Gewissen nur vorschiebt. Sie baut | |
damit einer Situation vor, in der der Weg zur Vergesellschaftung definiert | |
ist und sie sich nicht mehr hinter rechtlichen Bedenken verstecken kann, | |
aber trotzdem einem Vergesellschaftungsgesetz die Zustimmung verweigern | |
will. Doch ihre aufgeführten Gewissensgründe ziehen nicht – und man sollte | |
sie damit nicht durchkommen lassen. | |
Eine Vergesellschaftung nach Artikel 15 des Grundgesetzes hat mit | |
Enteignungen in der DDR-Zeit nichts zu tun. Sie würde rechtsstaatlich | |
erfolgen, selbstverständlich würde eine Entschädigung gezahlt. An anderer | |
Stelle ist die Bundesrepublik auch durchaus geübt mit dem Instrument – wenn | |
es um Enteignungen für Autobahnen oder Kohlegruben geht. Nur dass hier | |
Politiker:innen, die sich sonst als Verteidiger des Eigentums sehen, nie | |
Probleme haben. | |
Davon abgesehen kann Giffey kaum ihr persönliches Leid als DDR-Bürgerin ins | |
Feld führen. Die letzte große Welle an Enteignungen fand von 1971 bis 1972 | |
nach der Machtübernahme Erich Honeckers statt; erst sechs Jahre später | |
wurde Giffey geboren. | |
## Dreister Verweis auf den Amtseid | |
Noch dreister ist ihr Verweis auf den geleisteten Amtseid, der sie | |
verpflichte, „Schaden von dieser Stadt abzuwenden“. Das Ziel der | |
Vergesellschaftung ist es ja gerade, den dauerhaften Schaden, den die | |
Mieter:innen der Stadt auszuhalten haben, zu beenden. Giffeys Amtseid | |
verpflichtet sie auf die Berliner Verfassung, das schließt die Umsetzung | |
eines erfolgreichen Volksentscheids mit ein. Hält sie ihre Privatmeinung | |
für wichtiger, beschädigt sie die Demokratie. | |
Den zweiten Akt des SPD-Dilemmas steuerte Stadtentwicklungssenator Andreas | |
Geisel bei. Am Mittwoch hatte sein Koalitionspartner [3][Die Linke ein | |
Konzept präsentiert], wie die städtischen Wohnungsbaugesellschaften | |
zukünftig doppelt so viele Sozialwohnungen bauen können. Dem Senator, der | |
Bauen für die einzige Lösung für die Mieten- und Wohnungskrise hält, | |
präsentierten sie also ein Konzept, wie mehr und vor allem sozial gebaut | |
werden könne: durch sinnvoll eingesetzte staatliche Zuschüsse und eine | |
Kooperation der sechs landeseigenen Gesellschaften. | |
Nun muss Geisel nicht „Hurra“ schreien, wenn die politische Konkurrenz im | |
aktuellen Wahlkampf Konzepte präsentiert. Aber eine inhaltliche | |
Auseinandersetzung darf man erwarten. Stattdessen Attacke: „Ich begrüße die | |
Fähigkeit der Linkspartei zur Selbstkritik, nachdem sie jahrelang den | |
Wohnungsbau verlangsamt oder gar gestoppt hat“, sagte Geisel weiter an der | |
Mär strickend, dass Linke oder Grüne sich dem Wohnungsneubau verweigern | |
würden. Dabei wurden unter den Linken-Senator:innen in der Bauverwaltung in | |
den Vorjahren mehr Wohnungen fertiggestellt als unter Geisel. | |
Ohne eigene Konzepte wischt Geisel das Linken-Konzept vom Tisch und sagte: | |
„Wir müssen jetzt schnell bezahlbare Wohnungen bauen und nicht noch eine | |
weitere Bürokratieebene schaffen.“ Allein: Nur durch ständige | |
Selbstbeschwörung entsteht keine einzige neue Wohnung. Es braucht Ideen, | |
wie der Krise des Neubaus begegnet werden kann. | |
Warum es Geisel darüber hinaus nicht einsieht, dass nicht egal ist, was | |
gebaut wird und dass neue Eigentums- oder hochpreisige Wohnungen den Markt | |
nie entspannen werden, bleibt ein sozialdemokratisches Rätsel. Ein Rätsel, | |
das zugleich zumindest ein Teil der Antwort auf die Frage ist, warum die | |
SPD laut der letzten Umfrage immer weiter in der Wählergunst abschmiert. | |
20 Jan 2023 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Erik Peter | |
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