# taz.de -- Debatte um Enteignungen in Berlin: Mehr Einigkeit als erwartet | |
> Die Enteignungs-Kommission legt ihren Zwischenbericht offiziell vor. Sie | |
> verwehrt sich dagegen, im Wahlkampf instrumentalisiert zu werden. | |
Bild: Fast 60 Prozent der Berliner*innen haben für Enteignung gestimmt beim Vo… | |
BERLIN taz | Mit einem gängigen Vorurteil räumt Florian Rödl recht schnell | |
auf. Es sei nicht so, dass sich die Anzahl der Meinungen stetig erhöhe, je | |
mehr Jurist*innen gefragt würden. Irgendwann sei Schluss. Das belege die | |
Arbeit der [1][vom Senat eingesetzten 13-köpfigen | |
Expert*innenkommission zur Enteignungsfrage], zu der auch Rödl, | |
Jura-Professor an der Freien Universität Berlin, gehört und die an diesem | |
Donnerstagmorgen vor Journalist*innen ihren Zwischenbericht nach gut | |
sieben Monaten Arbeit vorstellt. | |
Man habe bereits einige inhaltliche Konsense, was angesichts der komplexen | |
Materie nicht wenig sei, erklärt Rödl; zudem „Konsense über die Reichweite | |
von Dissensen“. Und dass der Zwischenbericht einstimmig beschlossen wurde, | |
sei auch bemerkenswert, attestiert Herta Däubler-Gmelin, einstige | |
SPD-Bundesjustizministerin und Vorsitzende der Kommission. So werde zum | |
Beispiel die Position nicht geteilt, dass eine mögliche Entschädigung zum | |
Marktwert der Immobilien erfolgen müsse, betont Rödl. | |
Übersetzt bedeutet das, dass die von der Initiative Deutsche Wohnen und Co. | |
enteignen angestrebte und bei einem Volksentscheid im September 2021 mit | |
großer Zustimmung ausgestattete Vergesellschaftung großer Wohnungsbestände | |
das Land billiger käme, als die bislang veranschlagten mindestens 30 | |
Milliarden Euro. Wie viel es kosten könnte, sei aber weiterhin umstritten | |
in der Kommission. | |
Diese Position war [2][bereits am Freitag vergangener Woche bekannt | |
geworden], als ein Entwurf des Zwischenberichts an die Presse gelangt war. | |
Bei der Initiative hatte das Jubel ausgelöst, genauso wie die Einschätzung | |
der Expert*innen, dass die Gesetzgebungskompetenz für eine | |
Vergesellschaftsgesetz sowohl bei Bund wie Ländern liege, also Berlin ein | |
Gesetz erlassen dürfte. An diesem Punkt gibt es aber andere Zweifel, wie am | |
Donnerstag klar wird. | |
So wird kontrovers diskutiert, ob ausgerechnet die Landesverfassung einem | |
solchen Ansinnen entgegensteht, sagt Rödel. Im Unterschied zum Grundgesetz | |
gibt es dort keinen expliziten Passus zur Vergesellschaftung. „Der | |
Austausch der Argumente wurde noch nicht abgeschlossen“, heißt es dazu im | |
Zwischenbericht, im Januar will die Kommission die Debatte erneut | |
aufgreifen. Um diesen Punkt juristisch abzusichern, wäre eine Änderung der | |
Verfassung möglich, betont Rödl auf Nachfrage. Allerdings braucht es dazu | |
ein Zweidrittelmehrheit, sprich nach derzeitiger Sitzverteilung müsste | |
mindestens FDP oder CDU dafür stimmen – was unwahrscheinlich ist. | |
## Die Initiative jubelt | |
Für die Initiative steht dennoch fest, dass Berlin dank der Vorarbeit der | |
Kommission das Heft des Handelns jetzt schon in die Hand nehmen müsse. „Die | |
Kommission hat bestätigt, was mehr als eine Million Menschen schon | |
vergangenes Jahr erkannt haben: Berlin kann enteignen“, erklärt Sprecher | |
Achim Lindemann in einer Mitteilung vom Donnerstag. Auch leisten können man | |
sich die Vergesellschaftung von rund 250.000 betroffenen Wohnungen. „Der | |
Senat hat keine Ausreden mehr und muss den Volksentscheid umsetzen.“ | |
Bei der Kommission ist man da deutlich vorsichtiger. Schon über die | |
Veröffentlichung des Entwurfs vor einer Woche war man nicht glücklich, sagt | |
die Vorsitzende Däubler-Gmelin. „In Berlin ist Wahlkampf; daran beteiligt | |
sich die Kommission nicht. Wir äußern uns nicht politisch.“ Auch könnten | |
Aussagen aus dem Zwischenbericht noch verändert werden. | |
Zudem seien eine ganze Reihe von Fragen eben noch offen, sprich im Dissenz. | |
Etwa, wie – ohne einzelne Unternehmen zu benachteiligen – eine Grenze | |
zwischen kleinen und den zu vergesellschaftenden großen Wohnungsbeständen | |
getroffen werden könne. Unklar sei auch, wie die Bestände überhaupt | |
identifiziert werden könnten, sagt Rödl. | |
## Abschlussbericht spätestens im Mai | |
Bis April oder Mai, so Däubler-Gmelin, soll der Abschlussbericht vorliegen. | |
Der Senat, der die Kommission eingesetzt hat, wünsche sich möglichst viele | |
„konsensuale Empfehlungen“, sagt sie. FU-Jurist Rödl ist derweil | |
zuversichtlich, „dass wir aus einigen Dissensen Konsense machen.“ Das werde | |
aber nicht in allen Punkten gelingen. | |
In den internen, nicht-öffentlichen Debatten könne es auch schon mal laut | |
werden, wie Däubler-Gmelin berichtet. Insgesamt ist demnach die Arbeit der | |
13 Mitglieder aber weiter und vor allem progressiver im Sinne einer | |
Vergesellschaftung als vielfach erwartet. Und die Ergebnisse dürften | |
weithin akzeptiert werden, erwartet Florian Rödl: „Das gesamte | |
Meinungsspektrum und alle wichtigen Bereiche werden in der Kommission gut | |
abgedeckt.“ | |
15 Dec 2022 | |
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[1] /Deutsche-Wohnen-und-Co-enteignen/!5840468 | |
[2] /Mietenwahnsinn-in-Berlin/!5902217 | |
## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
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