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# taz.de -- Debatte um Giffey und DW Enteignen: Das Gewissen der Regierenden
> Franziska Giffey argumentiert mit ihrem Gewissen gegen eine Umsetzung von
> DW Enteignen. Den Wahlkampf stachelt die Regierende damit nur an.
Bild: Weiser Blick in die Zukunft auf einer Demo im September 2021
Berlin taz | Knapp vier Wochen vor der Wahlwiederholung ist das Thema
Enteignung wieder in aller Munde. Dafür gesorgt hat ausgerechnet die
Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD). Für sie ist die Debatte
nach der Vergesellschaftung der großen privaten Immobilienbestände seit
jeher eine Diskussion, die sie am liebsten vom Tisch wischen würde. Einen
neuen Versuch dazu hat sie am Montagabend während eines vom
Wirtschaftsverband VBKI und dem Tagesspiegel organisierten Podiumsgesprächs
der Spitzenkandidat:innen unternommen.
Statt wie bisher darzulegen, dass sie die Forderung für nicht zielführend
hält – „durch Enteignungen entsteht keine einzige neue Wohnung“ –,
argumentierte sie mit Bezug auf ihre DDR-Herkunft und ihrem geleisteten
Amtseid, Schaden von der Stadt abzuwenden: [1][„Ich kann es mit meinem
Gewissen nicht vereinbaren, mich für Enteignungen einzusetzen.“]
Noch wenige Tage zuvor [2][hörte sich Giffey beim taz-Talk noch weniger
entschieden an]. Auch dort pochte sie zwar darauf, dass nur Bauen das
Wohnungsproblem in Berlin löse, sagte aber zu einem möglichen
Vergesellschaftungsgesetz: „Ich möchte, dass wenn wir einen Weg
beschreiten, der auch nicht scheitert vor dem Bundesverfassungsgericht.“
Wer wollte, konnte daraus zumindest eine Offenheit herauslesen, ein solches
Gesetz auf den Weg zu bringen – sollte die Expertenkommission aufzeigen,
wie es rechtssicher zu machen ist.
Nach einer [3][„roten Linie“], wie sie Enteignungen noch vor der Wahl im
September 2021 bezeichnet hatte, hörte sich das jedenfalls nicht an. In der
allgemeinen Wahrnehmung steht nun der Gewissensbegriff als Verschärfung
ihrer Position.
## Kein Schlussstrich
Die CDU forderte, der Positionierung Taten folgen zu lassen und eine
Koalition mit der Linken auszuschließen. DW-Enteignen-Mitinitiator Rouzbeh
Taheri interpretiert Giffeys Satz gegenüber der taz als Vorbereitung auf
ein mögliches positives Votum durch die Enteignungskommission, deren
[4][Zwischenbericht] bereits angedeutet hatte, dass Enteignungen rechtlich
möglich und auch finanzierbar sind. „Mit Berufung auf das Gewissen ist man
quasi von allen Zwängen befreit“, so Taheri.
Sollte es Giffeys Anliegen gewesen sein, einen Schlussstrich unter die
Debatte zu ziehen, ist ihr das missglückt. Taheri sagt: „Je mehr von den
Gegner:innen eine Umsetzung dementiert wird, desto mehr vergegenwärtigen
sich die Wähler:innen, dass es ja noch einen Volksentscheid umzusetzen
gibt.“ Zugleich sagte er: „Wenn es ihr Gewissen nicht zulässt, die
Entscheidung des Volksentscheides umzusetzen, dann kann sie zurücktreten.“
Diesen Schluss zog auch der ehemalige Piraten-Abgeordnete Christopher
Lauer, der bis 2019 selbst SPD-Mitglied war, in einem Social-Media-Video.
In vielen weiteren Reaktionen, etwa auf Twitter, wurde deutlich: Giffeys
Positionierung gegen einen mit großer Mehrheit beschlossenen Volksentscheid
wird als Anmaßung und Affront gesehen.
Für die Linke, für die eine Koalition mit der SPD die einzige
Machtperspektive ist und die die Wahl am 12. Februar zur „Mietenwahl“
machen will, ist Giffeys Aussage Wahlkampfstoff. „Dass sich Giffey weigert,
den Volksentscheid umzusetzen, und das auch noch ankündigt, ist dreist“,
sagt ihr mietenpolitischer Sprecher Niklas Schenker.
Zugleich gab er sich optimistisch: „Giffey muss sich ja nicht für den
Volksentscheid einsetzen, sie muss nur zulassen, dass der demokratische
Wille umgesetzt wird, und den Prozess nicht blockieren.“ Zudem verwies
Schenker darauf, dass Enteignungen in Deutschland etwa für Autobahnen
gängig sind, Giffey aber nur Gewissensprobleme bekomme, wenn es „ums
Gemeinwohl und die Sicherung bezahlbaren Wohnraums“ gehe. [5][Die Linke
strebt die Erarbeitung eines Vergesellschaftungsgesetzes noch in diesem
Jahr an]. Einen detaillierten Zeitplan will die Partei auf einer
Veranstaltung am Freitag vorstellen.
Abwahlkampf
Für DW Enteignen steht indes schon lange fest, dass die „Verhinderer der
Umsetzung“ abgewählt gehören. Auf der Seite [6][dwe-wahl.de] führt die
Initiative deshalb die Positionierungen aller Parlamentarier:innen
und Kandidat:innen auf. Demnach sind alle Linken-Abgeordneten für die
Vergesellschaftung, 28 von 32 Grünen-Abgeordneten und 9 von 36 der SPD.
Besonders im Fokus der DWE-Wahlkampagne steht SPD-Bausenator Andreas
Geisel, dessen Direktwahl man verhindern will. Geisel hatte 2021 den
Wahlkreis Lichtenberg 6 mit 6 Prozentpunkten Vorsprung vor Norman Wolf von
der Linken gewonnen. Bereits am Freitag war DW Enteignen mit einem
Infostand am S-Bahnhof Karlshorst präsent; Haustürgespräche sollen folgen.
„Eine Abwahl Geisels wäre ein Signal, dass ihn die Wähler:innen nicht
für den geeigneten Senator halten“, so DWE-Sprecherin Veza Clute-Simon.
Ebenso aktiv sei man im Wahlkreis Charlottenburg-Wilmersdorf 1, um die Wahl
des SPDlers Christian Hochgrebe zu verhindern. Dem wirft die Initiative
„problematische Verstrickungen mit der Immobilienwirtschaft“ vor.
Immo-Spende an SPD
Dass sich Teile von dieser von der SPD etwas erwarten, zeigt sich auch an
einer Spende, die die Partei vor der Wahl im September 2021 erhielt. Der
taz liegt eine Zuwendungsbestätigung durch den SPD-Landesverband Berlin
über eine Spende in Höhe von 9.999 Euro durch die Primus Immobilen AG vor.
Primus ist nach eigenen Angaben ein „Immobilienentwickler im
Premium-Segment“, betreibt Luxus-Sanierungen und baut Eigentumswohnungen.
Ein Dankesschreiben ziert die Unterschrift von Franziska Giffey und enthält
das Angebot: „Sie können mich bei Fragen oder Anregungen gerne direkt
ansprechen.“
Die Partei muss die Spende nicht öffentlich machen, weil sie unter der
Grenze von 10.000 Euro liegt, ab der das Parteiengesetz zur Transparenz
verpflichtet. Den gesetzlichen Pflichten komme man „selbstverständlich
nach“, heißt es von der SPD auf taz-Anfrage. Darüber hinaus aber erteile
man „keine weiteren Auskünfte zu Spenden“.
17 Jan 2023
## LINKS
[1] /Wahlwiederholung-am-12-Februar/!5909665
[2] /taz-Talks-zur-Berlin-Wahl-1/!5908718
[3] /Berlin-Wahl-2021/!5796974
[4] /Debatte-um-Enteignungen-in-Berlin/!5899360
[5] /Berliner-Linke-Landesparteitag/!5908704
[6] https://dwe-wahl.de/
## AUTOREN
Erik Peter
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