| # taz.de -- Proteste gegen Lützerath-Räumung: Jarasch kann nix dafür | |
| > Wer als Berliner Öko am 12. Februar wegen Lützerath nicht für die | |
| > hiesigen Grünen stimmt, handelt unlogisch – und schadet der eigenen | |
| > Sache. | |
| Bild: Die Lützerath-Räumung geschah fast 600 km von Berlin entfernt und könn… | |
| Als Nicht-Grüner ist es manchmal schwer, die Grünen und ihre Anhängerschaft | |
| zu verstehen, etwa in dieser Woche. Wer Kohleabbau grundsätzlich ablehnt | |
| und auch eine abschließende richterliche Entscheidung nicht akzeptiert, der | |
| oder die mag es zwar nicht sonderlich toll finden, wenn in | |
| Nordrhein-Westfalen der Kohle wegen ein Dorf abgerissen wird. Warum das | |
| aber, rund 570 Kilometer von Rotem Rathaus und Abgeordnetenhaus entfernt, | |
| Auswirkungen auf das Stimmverhalten bei der hiesigen [1][Wahlwiederholung | |
| am 12. Februar] haben soll, lässt sich vernunftmäßig nicht erklären. | |
| Vernunft spielt auch offenbar nicht die größte Rolle, sonst würde das | |
| Wahlkampfteam der grünen Spitzenkandidatin Bettina Jarasch nicht fühlbare | |
| Stimmverluste wegen der [2][Lützerath-Räumung] befürchten. Tatsächlich ist | |
| unter Menschen, die Öko-Themen nahe stehen, zu hören, sie würden nun aus | |
| Protest bei der Abgeordnetenhauswahl lieber die Klimaliste, eine andere | |
| Kleinstpartei oder gar nicht wählen. | |
| Das aber ist mit verantwortlichem Handeln, das nicht von momentanem Frust, | |
| sondern von einem Ziel geleitet ist, kaum zu vereinbaren. Zum einen hat | |
| Jarasch nichts, aber auch gar nichts mit der Lützerath-Räumung zu tun – | |
| dafür waren Gerichte und [3][die seit 2022 schwarz-grüne | |
| NRW-Landesregierung zuständig]. Zum anderen: Was wäre denn die Folge davon, | |
| die Grünen für ihr vermeintliches Fehlverhalten in Nordrhein-Westfalen | |
| wenige Wochen später bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin zu bestrafen? | |
| Man muss Bettina Jarasch nicht als Regierende Bürgermeisterin haben wollen, | |
| und das soll hier auch nicht in eine Werbeveranstaltung für die grüne | |
| Spitzenkandidatin ausarten. Aber für wen Klimaschutz das absolute Top-Thema | |
| ist, der schadet sich selbst, wenn er oder sie am 12. Februar nicht für die | |
| Berliner Grünen stimmt. Denn Lützerath hin oder her – kaum jemand wird | |
| bestreiten, dass unter den Parteien mit Chance auf Regierungsbeteiligung | |
| keine dem Klima- und Umweltschutz näher steht als Jaraschs Partei. | |
| Natürlich ist es grundsätzlich legitim, der präferierten Partei per | |
| Stimmentzug zu verdeutlichen, dass der aktuelle Kurs womöglich der falsche | |
| sein könnte. Das gilt aber nicht in einer Situation, in der die Grünen in | |
| Umfragen mit SPD und CDU auf Augenhöhe liegen – und damit die Chance haben, | |
| in den nächsten Jahren die Richtlinien der Politik und so auch der | |
| Klimapolitik in Berlin zu bestimmen. Ein Zehntel Prozent – bei der Wahl | |
| 2021 waren das weniger als 2.000 Stimmen – könnte am Ende über darüber | |
| entscheiden, wer künftig im Roten Rathaus sitzt. | |
| Jedes Nichtwählen, jede Stimme für eine Partei, die höchstwahrscheinlich an | |
| der Fünf-Prozent-Hürde scheitert, mindert die Chance, dass die Grünen dort | |
| einziehen. So zu handeln ist zwar eine freie Entscheidung – die | |
| Wahlfreiheit beinhaltet auch die Freiheit, nicht zu wählen oder die | |
| Stimmabgabe vorher zuhause auszuwürfeln. Bloß darf sich dann keiner, der | |
| das so handhabt, später darüber beschweren, dass SPD oder CDU vorne liegen | |
| und das 1,5-Grad-Klimaziel dann weniger im Blick haben, als es bei einer | |
| grünen Regierungschefin mutmaßlich der Fall gewesen wäre. | |
| ## Georg W. Bush als mahnendes Beispiel | |
| Letztlich geht es um Prioritätensetzung und die Frage, was jenseits von | |
| momentanen Enttäuschungen entscheidend ist. Ein mahnendes Beispiel dafür | |
| ist die [4][US-Präsidentenwahl im Jahr 2000]: Hätten im meist umkämpften | |
| Staat Florida nur ein paar hundert Menschen nicht für den chancenlosen | |
| Grünen-Kandidaten Ralph Nader gestimmt (was mehr als 97.000 taten), sondern | |
| für den kaum weniger umweltbewussten Al Gore, hätte es nie einen | |
| Präsidenten George W. Bush gegeben. | |
| 14 Jan 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Wiederholungswahl-in-Berlin/!5903842 | |
| [2] /Luetzerath/!t5896252 | |
| [3] /Schwarz-Gruen-in-NRW/!5857539 | |
| [4] https://de.wikipedia.org/wiki/Pr%C3%A4sidentschaftswahl_in_den_Vereinigten_… | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Alberti | |
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