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# taz.de -- Schwarz-Grün in NRW: Grüne Harmoniesucht
> Im Bündnis mit der CDU könnten nicht nur grüne Kernthemen auf der Strecke
> bleiben. Ignoriert wird auch die Spaltung der Gesellschaft – in Arm und
> Reich.
Bild: Viel Harmonie, aber wenig Empathie für nicht wohlhabende Menschen: Das D…
Nordrhein-Westfalens Grüne sind jetzt da, wo sie viele ihrer Spitzen-Leute
sie schon 2010 haben wollten: In den Armen der Christdemokraten. Einstimmig
hat nicht nur der CDU-Landesvorstand am Sonntag den Einstieg in
Koalitionsverhandlungen beschlossen. Auch beim kleinen Parteitag der Grünen
in Essen gab es nicht eine einzige Stimme gegen das Bündnis mit den
Konservativen, sondern nur 7 Enthaltungen.
Abgefeiert haben die Grünen in der Essener Philharmonie stattdessen die
eigene neue Stärke, die Beinahe-Verdreifachung des Wahlergebnisses bei der
[1][Landtagswahl vom 15. Mai] auf 18,2 Prozent, die Größe der neuen, 39
Köpfe zählenden Landtagsfraktion – und ein wachsweiches gemeinsames
Sondierungspapier mit den Christdemokraten des bisher von der FDP
unterstützten Ministerpräsidenten [2][Hendrik Wüst]. Dabei bleibt das
selbst bei den grünen Kernthemen Ökologie und Klimaschutz erschreckend
schwammig.
Denn dem Ergebnis der nur viertägigen Sondierungen fehlt nicht nur eine
konkrete Jahreszahl, bis wann der versprochene Umbau „zur ersten
klimaneutralen Industrieregion Europas“ abgeschlossen sein soll. Im
Rheinischen Revier soll [3][das Dorf Lützerath] offenbar doch noch den
Baggern des Braunkohletagebaus Garzweiler geopfert werden. Von der
versprochenen Solarpflicht für alle Neubauten ist keine Rede mehr. Der
Flächenfraß soll lediglich halbiert werden – dabei verschwindet in NRW
jeden Tag die Fläche von 18 Fußballfeldern unter Asphalt und Beton. Und zum
dramatischen Artensterben heißt es nur unverbindlich, beide Parteien
wollten „Maßnahmen aus der Volksinitiative Artenvielfalt aufgreifen“.
Wüst und seine Christdemokraten, die zur Regierungsbildung auf die Grünen
angewiesen sind, spielen also auf Zeit. Bisher haben sie nur ein
wohlklingendes, aber nichtssagendes Papier abgesegnet, das geschickt und
unverbindlich Keywords der Grünen bedient. Wenn diese wenigstens ihre
Kern-Inhalte durchsetzen und nicht den Anschluss an Klima- und
Umweltbewegung verlieren wollen, dann werden sie bei den schon am Dienstag
startenden Koalitionsverhandlungen sehr hart verhandeln müssen.
## Große Versöhnungsrhetorik
Doch ob die nordrhein-westfälischen Grünen dazu überhaupt bereit sind,
müssen sie noch beweisen. Die grüne Verhandlungsführerin Mona Neubaur
jedenfalls produzierte nach dem Beschluss für den Einstieg in Schwarz-grün
erst einmal Sprechblasen pur, schwärmte über die „große Möglichkeit,
lagerübergreifend Versöhnung herzustellen“. Versöhnen will die designierte
Vize-Ministerpräsidentin nicht nur „Stadt und Land“, sondern „die
Generationen“ gleich mit – also quasi alle mit allen.
Erklärbar wird diese neue grüne Harmoniesucht nur durch den Blick in die
Parteigeschichte. Die Erinnerung an Traditionssozis wie die einstigen
Ministerpräsidenten Wolfgang Clement und Peer Steinbrück, die sich selbst
in rot-grünen Koalitionen zum „Koch“ erklärten und die Grünen als „Kel…
demütigen wollten, ist tief in der Partei verankert. Vergessen und
verdrängt wird dabei allerdings die tiefste Spaltung der Gesellschaft
überhaupt: die zwischen Arm und Reich.
Nicht ohne Grund ist das Kapitel „Arbeit und Soziales“ im 12-seitigen
schwarz-grünen Sondierungspapier erschreckend dünn, nimmt gerade einmal 20
mitleiderregende Zeilen ein. Nicht umsonst waren explodierende Mieten, eine
Sozialpolitik für alle beim Essener Parteitag der Grünen nur ein Randthema
der Parteijugend und eines einzelnen Delegierten aus dem sozial besonders
hart gespaltenen Ruhrgebiet.
Schwarz-grün ist eben kein lagerübergreifendes Bündnis, sondern wird eine
Koalition mit einer klaren Arbeitsteilung: Die CDU vertritt den
konservativen, die Grünen den progressiven Teil der oberen Hälfte der
Gesellschaft. Für die unteren 50 Prozent, die schon heute kaum etwas
besitzen, heißt das nichts Gutes.
30 May 2022
## LINKS
[1] /Landtagswahl-in-Nordrhein-Westfalen/!5854106
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[3] /Protest-gegen-Braunkohletagebau/!5850054
## AUTOREN
Andreas Wyputta
## TAGS
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Hendrik Wüst
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