# taz.de -- Lützerath im Berliner Wahlkampf: Grüne in der Klima-Falle | |
> Für die Hauptstadt-Grünen kommt die Räumung in Lützerath zur Unzeit. Ihr | |
> Bruch mit der Klimabewegung wird nun offenkundig. | |
Bild: Lützerath-Protest in Berlin am Mittwoch vor dem RWE-Finanzier Deutsche B… | |
BERLIN taz | Während am Morgen Hundertschaften der Polizei [1][im Dorf | |
Lützerath im rheinischen Braunkohlerevier einrücken] und mit der Räumung | |
beginnen, machen sich Berliner Aktivist:innen vor der | |
Bundesparteizentrale der Grünen zu schaffen. Sie kleben gelbe Kreuze an die | |
Fassade und den Eingang – ein Symbol, das von der Klimabewegung seit dem | |
Kampf gegen die Atomkraft in den 1980er Jahren im Wendland benutzt wird. | |
Wie es kurz darauf in einer Mitteilung heißt, soll die Aktion am Mittwoch | |
verdeutlichen, „wer die politische Verantwortung für dieses Armutszeugnis | |
im Kampf gegen die Klimakatastrophe trägt“. Die Aktivist:innen werfen | |
den Grünen vor, „ihre angeblichen Ideale und den Willen ihrer | |
Wähler:innen für einen schmutzigen Deal mit RWE geopfert haben“. | |
Auch am Mittag tauchen die gelben Kreuze wieder in der 600 Kilometer von | |
Lützerath entfernten Hauptstadt auf. Etwa 50 Aktivist:innen | |
positionieren drei gelbe Kreuze vor der Deutschen Bank am Hermannplatz. „Ob | |
Kohle aus der Mine, ob Kohle aus der Bank, beiden fehlt die Liebe, beides | |
macht uns krank“, singen die Protestierenden. | |
Die Deutsche Bank sei der „größte Finanzier“ von RWE, erklärt | |
Pressesprecherin Sofia Rodriguez von der Klimaschutz-NGO 350.org der taz. | |
Die Initiative fährt derzeit eine [2][Kampagne zum Boykott der Deutschen | |
Bank]. 435 Milliarden Euro an Krediten und 378 Millionen Euro an | |
Investitionen habe die Bank zwischen 2019 und 2021 in den Kohlekonzern | |
gesteckt. „Aber leider werden Banken häufig als neutrale Institutionen | |
gesehen, dabei könnte RWE ohne ihr Geld seine extraktivistischen Projekte | |
gar nicht machen“, kritisiert Rodriguez. | |
## Problem für die Grünen | |
Für die Berliner Grünen, die nach der Wiederholungswahl am 12. Februar gern | |
die Regierende Bürgermeisterin stellen wollen, kommt die Räumung Lützeraths | |
zur Unzeit, ihr Image als Klimaschutzpartei leidet darunter gewaltig. | |
Bedanken können sie sich bei ihren Parteifreunden: Maßgeblich haben | |
Wirtschaftsminister Robert Habeck und die nordrhein-westfälische | |
Wirtschaftsministerin Mona Neubaur den Deal mit dem Energiekonzern RWE | |
ausgehandelt, der für einen Kohleausstieg bis 2030 [3][das unbegrenzte | |
Abbaggern, auch unter Lützi, möglich macht]. Mehrheitlich stimmte der | |
Bundesparteitag im Oktober – wenn auch knapp – gegen einen Antrag der | |
Grünen Jugend, Lützerath und die darunter liegende Kohle zu erhalten. | |
Zumindest die Berliner Parteijugend stellt sich nun die Entscheidungsfrage | |
zwischen Wahlkampf und Lützi verteidigen. „Wir werden am Wochenende keine | |
Flyer für die Wahl verteilen, sondern stellen uns an die Seite der Bewegung | |
in Lützerath“, sagt Sprecherin Luna Afra Evans auf Anfrage der taz, „das | |
hat gerade die Priorität.“ Mit bis zu acht von der Grünen Jugend und | |
Fridays for Future organisierten Bussen werde man zur Großdemo in Lützerath | |
am Samstag anreisen. „Wir tun alles, was in unserer Macht steht, damit | |
Lützi nicht abgebaggert wird“, sagt Evans. | |
Ebenfalls am Mittwoch wurde ein [4][parteiinterner offener Brief] an Habeck | |
und Neubaur veröffentlicht, unter anderem von der Bundestagsabgeordneten | |
Canan Bayram und der ehemaligen Bezirksbürgermeisterin in | |
Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann. Darin heißt es: „Der im Herbst | |
ausgehandelte Deal mit RWE droht mit den Grundsätzen unserer Partei zu | |
brechen. Und nicht nur das, wir brechen damit auch mit dem Pariser | |
Klimaabkommen, dem Ampel-Koalitionsvertrag und dem letzten Vertrauen der | |
Klimagerechtigkeitsbewegung.“ Kritisiert wird vor allem, dass der | |
vorgezogene Kohleausstieg die Menge an Kohle nicht begrenzt und dadurch | |
„keine einzige Tonne CO2“ eingespart werde. | |
## Verständnis und Abwiegeln | |
Bereits am Dienstag brachten Vertreter:innen der Grünen Jugend das | |
Thema Lützerath in der Fraktionssitzung der Berliner Grünen auf den Tisch. | |
Auf positive Resonanz stießen sie damit etwa beim innenpolitischen Sprecher | |
Vasili Franco. Für ihn lautet die „Frage, wie im Jahr 2023 noch hingenommen | |
wird, dass Dörfer abgebaggert werden, um Kohle zu fördern“. In einigen | |
Jahren werde man auf die Ereignisse zurückblicken „und sagen, das war eine | |
unnötige Entscheidung“. In der Fraktion stoße der Protest auf großes | |
Verständnis. | |
So sieht es auch Spitzenkandidatin Bettina Jarasch: „Ich habe großes | |
Verständnis für den Frust und die Unzufriedenheit von Klimaschützern auch | |
bei uns Grünen angesichts der Räumung von Lützerath. Es ist schwer | |
verständlich, wenn heute noch Häuser für den Kohleabbau abgerissen werden.“ | |
Gleichwohl spricht sie am Mittwoch von einem „schwer errungenen Kompromiss | |
für einen früheren Kohleausstieg, durch den 280 Millionen Tonnen Kohle eben | |
nicht abgebaut werden. In Berlin kommt der Kohleausstieg bereits 2029, wir | |
haben hier ganz andere Debatten.“ | |
Das Thema in Berlin nicht zu groß werden lassen, das dürfte für die | |
führenden Grünen-Wahlkämpfer:innen das erste Anliegen sein. Denn zu | |
gewinnen gibt es für die Grünen in Sachen Lützerath nichts. Im Gegenteil. | |
Das Thema bringt die Gefahr mit sich, entscheidende Prozentpunkte im Rennen | |
um den Wahlsieg zu verlieren. | |
Vor der Deutschen Bank am Hermannplatz glaubt kaum noch einer an die | |
Grünen. „Nicht mal mehr das kleinere Übel“, murmelt ein auf die Partei | |
angesprochener Demonstrant fast angewidert und rümpft die Nase. „Es ist | |
einfach keine Option mehr, die Grünen zu wählen, denn sie haben uns | |
verraten“, pflichtet eine weitere Protestierende bei. Sie ist sicher, dass | |
die Entscheidung der Grünen-Parteispitze, Lützerath räumen zu lassen, auch | |
einen Einfluss auf die Berlin-Wahl haben wird. „Dann lieber die Linken oder | |
die Klimaliste“, sagt sie. | |
## Andere Parteien hoffen | |
Beide Partien haben sich klar gegen Lützeraths Räumung positioniert und | |
hoffen darauf, enttäuschte Grünen-Wähler:innen einsammeln zu können. | |
[5][Der Spitzenkandidat der Kleinpartei Klimaliste, Antonio Rohrßen], sitzt | |
am Mittwoch in Lützerath auf einem Hausdach, als ihn die taz telefonisch | |
erreicht. „Ich bin hier, um die Bewegung zu unterstützen“, sagt er. | |
In seinen Augen haben die Grünen unterschätzt, wie groß die Aufregung über | |
die Räumung ist. „Es braucht einen klaren Bruch und ein klares Umdenken in | |
der Klimapolitik“, so Rohrßen. Bei Gesprächen im Camp habe er bemerkt, dass | |
viele junge Menschen ratlos seien, wen sie wählen sollten. „Für viele ist | |
es in Berlin jetzt eine Protestwahl, die zeigen soll: Keine der großen | |
Parteien vertritt das, wofür ich stehe“, so sein Eindruck. | |
Auch bei Fridays for Future hat man kaum noch Sympathien für die Grünen. | |
„Es ist einfach traurig, dass sich kaum jemand aus der Partei für einen | |
Räumungsstopp einsetzt“, sagt Darya Sotoodeh, Sprecherin der Berliner | |
Ortsgruppe, zur taz. Fridays for Future sei immer überparteilich gewesen. | |
„Wir unterstützen die Grünen nicht und werden das auch in Zukunft nicht | |
tun“, so Sotoodeh. | |
## Berliner Polizei räumt mit | |
Während viele Klimaschützer:innen erst am Samstag nach Lützerath | |
aufbrechen, ist die Berliner Polizei mit drei Hundertschaften an vorderster | |
Front bei der Räumung dabei. „Als Hauptstadtpolizei sind wir gern gesehener | |
Gast aufgrund unserer Expertise und Einsatzerfahrung“, so Benjamin Jendro. | |
Pressesprecher der Gewerkschaft der Polizei Berlin. | |
Auf Videos waren Berliner Polizist:innen am Mittwoch im Dorf zu sehen, | |
teilweise wurden sie mit Feuerwerk beschossen – oder wendeten Schmerzgriffe | |
bei Räumungen von Blockaden an. Zwei Wochen soll der Unterstützungseinsatz | |
andauern, am Wochenende sollen die Hundertschaften ausgetauscht worden. | |
Die Linke hatte Kritik an der Unterstützung des Polizeieinsatzes geübt. | |
[6][Innenpolitiker Niklas Schrader fand, Berlin solle sich nicht an der | |
Räumung beteiligen]. Sein Grünen-Kollege Franco äußerte zwar Verständnis | |
für die Idee, bezeichnete die Unterstützung von Polizeieinsätzen jedoch als | |
Amtshilfe, für die es „klare, rechtliche Regelungen“ gebe. Sie solle ein | |
„unpolitisches Instrument bleiben“. | |
11 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] /-Live-Ticker-Raeumung-Luetzerath-/!5908322 | |
[2] https://350.org/de/deutschebank/ | |
[3] /Fridays-for-Future-ueber-Luetzerath/!5903446 | |
[4] https://luetzibleibt.antragsgruen.de/luetzibleibt/grune-grundwerte-nicht-ve… | |
[5] /Kleinstpartei-Klimaliste-in-Berlin/!5802075 | |
[6] /Protest-gegen-Kohleabbau-in-NRW/!5904854 | |
## AUTOREN | |
Erik Peter | |
Timm Kühn | |
Laura Mielke | |
Bert Schulz | |
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