| # taz.de -- Die CDU unter Friedrich Merz: Er kann nicht anders | |
| > Merz ist seit einem Jahr Chef der Christdemokraten. Wie läuft es, wenn | |
| > jemand mit dem Hang zum Polarisieren eine Partei einen soll? | |
| Bild: Im Pullover und ohne Krawatte, aber trotzdem nicht leger: Friedrich Merz … | |
| Es ist früher Nachmittag, als Friedrich Merz am zweiten Samstag im Januar | |
| in einem Hotel am Weimarer Goethepark vor die Presse tritt. Im Nebenraum | |
| räumen Servicekräfte die Reste des Mittagessens ab, mit dem die [1][Klausur | |
| des CDU-Bundesvorstands] gerade zu Ende gegangen ist. | |
| Zwei Tage lang hat sich die CDU-Spitze mit den Themen Wirtschaft, Energie | |
| und Klima beschäftigt, mit dem Ökonomen Clemens Fuest vom Ifo-Institut und | |
| der Bremer Meeresbiologin Antje Boetius waren hochkarätige Gäste geladen. | |
| In der Wirtschaftspolitik, traditionell eigentlich ein Kernthema der | |
| Partei, sind die Kompetenzwerte der CDU eingebrochen. Bei der Klimapolitik | |
| waren sie noch nie sonderlich hoch. | |
| Das Treffen soll Abhilfe schaffen, und natürlich soll darüber berichtet | |
| werden. Deshalb steht der CDU-Parteivorsitzende nun vor dem Mikrofon. Doch | |
| schon der zweite Journalist, der das Wort erhält, fragt nicht nach | |
| Wirtschafts- oder Klimapolitik. Es habe doch eine Diskussion über den | |
| integrationspolitischen Kurs und Kritik an seiner Wortwahl gegeben: „Werden | |
| Sie an diesem Kurs etwas ändern, werden Sie sich zusammenreißen?“ | |
| Merz hatte vier Tage zuvor [2][in der Talkshow von Markus Lanz] im | |
| Zusammenhang mit der Silvesterrandale pauschalisierend arabische Jungen | |
| „kleine Paschas“ genannt und von Menschen gesprochen, „die nicht in unser | |
| Land gehören“. Das hat für Wirbel gesorgt, auch in der Partei. Migration | |
| ist für die CDU ein schwieriges Thema, nicht erst seitdem der | |
| Flüchtlingsherbst 2015 die Union fast zerrissen hat. Hier stehen sich | |
| Modernisierer und Konservative besonders unversöhnlich gegenüber – auch | |
| wenn inzwischen jeder in der Partei weiß, dass es ohne | |
| Fachkräftezuwanderung nicht mehr gehen wird. | |
| ## Im dritten Anlauf | |
| Merz wiegelt ab. Diskussionen dazu habe es keine gegeben, nur einige wenige | |
| Wortmeldungen, sagt er auf der Hotelbühne. Und ohnehin: Die Partei sei sich | |
| weitgehend einig. Doch da war die Mahnung von CDU-Generalsekretär Mario | |
| Czaja, man möge Menschen mit Migrationsgeschichte gegenüber sensibel mit | |
| Sprache umgehen, schon längst aus der Klausur nach außen gedrungen. Und die | |
| kritischen Äußerungen der Vorstandsmitglieder Hermann Gröhe und Serap Güler | |
| ebenfalls. Die Auseinandersetzung überlagerte die Berichterstattung | |
| verhagelte der CDU den Jahresauftakt und sagt viel über die Schwierigkeiten | |
| von Friedrich Merz als Parteichef. | |
| Seit gut vier Jahren ist der Sauerländer, Millionär und ehemalige | |
| Aufsichtsratsvorsitzende von Blackrock Deutschland zurück in der Politik. | |
| Seither hat es viele polarisierende Einwürfe von Friedrich Merz gegeben. | |
| Als er erst gegen Annegret Kramp-Karrenbauer und dann gegen Armin Laschet | |
| um den CDU-Vorsitz kämpfte, haben ihn seine kernigen Aussagen zum | |
| vermeintlichen Heilsbringer für all jene gemacht, die eine Kehrtwende der | |
| Partei und ein stärker konservatives Profil wollten, möglichst weit weg vom | |
| mittigen Kurs Angela Merkels. Verloren hat Merz die Wahlen trotzdem. | |
| Doch im dritten Anlauf hat die Partei Merz schließlich doch noch zu ihrem | |
| Vorsitzenden gewählt, nach einer Mitgliederbefragung, die eindeutig | |
| ausging: 62 Prozent stimmten für ihn, beim Parteitag wurden über 94 Prozent | |
| daraus. Selbst Merz-Gegner*innen konnten das Mitgliedervotum nicht | |
| ignorieren. Nach jahrelangen Auseinandersetzungen dachte manch einer aber | |
| wohl auch: Dann soll er es halt selbst versuchen. | |
| Als Merz im Januar 2022 die CDU übernimmt, gleicht sie einem Trümmerfeld. | |
| Zwei Parteivorsitzende hat sie in kürzester Zeit verschlissen, das | |
| Verhältnis zur Schwesterpartei ist zerrüttet, die Bundestagswahl ging | |
| verloren, das Kanzleramt an die SPD. Niemand weiß mehr, wofür die CDU steht | |
| und wohin sie will. Es ist eine Herkulesaufgabe: Der neue Vorsitzende | |
| muss die Partei einen, inhaltlich neu aufstellen und mit der CSU versöhnen. | |
| Anfangs scheint es, als hätte der heute 67-Jährige bei seinem langen Weg an | |
| die Spitze der Partei gelernt. Mit zugespitzten Äußerungen hält er sich | |
| zurück, stattdessen sagt er Sätze wie „Die CDU muss modern werden“. Er | |
| verspricht, mit ihm werde es keinen Rechtsruck geben, und beteuert die | |
| Bedeutung von sozialer Gerechtigkeit. Es scheint, als wolle Friedrich Merz | |
| sich neu erfinden. Weg von dem neoliberalen Anti-Merkel mit viel Arroganz | |
| und wenig Empathie. | |
| Zum Generalsekretär macht er Mario Czaja, Mitglied in der | |
| Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), dem Arbeitnehmerflügel | |
| der Partei – und damit parteiintern weit entfernt von Merz. Auffällig oft | |
| spricht Merz vom „Team“ und davon, dass eine Partei wie die CDU viele Köpfe | |
| brauche. Auch Karin Prien, die liberale Bildungsministerin aus | |
| Schleswig-Holstein, und der Klimaexperte Andreas Jung werden | |
| stellvertretende Parteivorsitzende. | |
| Seitdem aber sendet Merz widersprüchliche Signale: Er hat eine | |
| parteiinterne Frauenquote durchgesetzt und sich bei einer Rede von | |
| Außenministerin Annalena Baerbock mit theatraler Geste ans Herz gefasst, | |
| [3][um ihre Ausführungen über feministische Außenpolitik ins Lächerliche zu | |
| ziehen]. Er hat beteuert, wie wichtig der Klimaschutz für die CDU sei, und | |
| ist [4][im Privatflieger] zu Christian Lindners Hochzeit nach Sylt | |
| gejettet. Er ist früh in die Ukraine gereist, um Solidarität zu bekunden, | |
| und hat ukrainische Geflüchtete als „Sozialtouristen“ beschimpft. Für | |
| Letzteres hat er sich später halbherzig entschuldigt. | |
| ## Das eine und das andere Ende der Partei | |
| Was die Frage aufwirft, ob er sich wirklich verändert hat. Kann einer, der | |
| immer „ich“ gesagt hat, plötzlich im „Wir“ denken? Kann einer, der so … | |
| polarisierte und ausgrenzte, plötzlich zusammenführen? Wo also steht | |
| Friedrich Merz – und wo steht seine Partei nach einem Jahr mit ihm als | |
| Vorsitzenden? | |
| Anrufe bei zwei CDU-Kennern, die es wissen könnten. Beide haben die Partei | |
| professionell im Blick und sind auch eng mit ihr verbandelt. Der eine, | |
| Andreas Püttmann, Politikwissenschaftler und Publizist aus Bonn, nennt sich | |
| selbst „ideeller Christdemokrat ohne Parteibuch“. Er ist dem | |
| sozialliberalen Parteiflügel zugetan und hat aus seiner Gegnerschaft zu | |
| Friedrich Merz nie einen Hehl gemacht. Rechtspopulistische Abwege sind | |
| Püttmann ein Graus. Er sagt: „Friedrich Merz ist zu der notwendigen | |
| geistigen Führung der Partei nicht in der Lage.“ | |
| Der andere: Andreas Rödder, Geschichtsprofessor in Mainz, gilt als | |
| konservativer Vordenker. Seit Merz CDU-Chef ist, leitet Rödder die | |
| Grundwertekommission der Partei und wollte prompt den Begriff | |
| Gleichstellung aus ihrer Grundwertecharta streichen. [5][Identitätspolitik | |
| hat er als zentrale Gefahr für die Demokratie ausgemacht.] Rödder, der | |
| eigentlich Merz-Fan ist, sagt: „Ich habe Hoffnungen, die sich noch erfüllen | |
| lassen.“ | |
| Püttmann steht also für das eine, Rödder für das andere Ende der CDU, | |
| zufrieden ist keiner der beiden mit dem Vorsitzenden – und manche ihrer | |
| Begründungen ähneln sich. Beide finden gut, wie Merz im Bundestag den | |
| Kanzler herausfordert. Beide sind der Ansicht, dass er sich zu sehr auf die | |
| Fraktion konzentriert und die Partei vernachlässigt. Dass der CDU weiterhin | |
| eigene Konzepte fehlen, ein echtes Manko. Und dass Merz im ersten Jahr | |
| einige gravierende Fehler gemacht hat. | |
| ## Parteichef, Fraktionschef, Oppositionschef – Kanzlerkandidat? | |
| Es ist Anfang Juni, Generaldebatte im Bundestag, als Merz den Kanzler zum | |
| ersten Mal aus der Reserve lockt. Lässig steht er mit seinen 1,98 Metern am | |
| Redepult. Warum Olaf Scholz nicht endlich sage, dass die Ukraine den Krieg | |
| gewinnen müsse, fragt Merz. Welche Waffen er wirklich liefern wolle. Und | |
| wie der Kanzler abstimmen werde, wenn es im Europäischen Rat um einen | |
| EU-Kandidatenstatus für die Ukraine geht. 20 Minuten läuft das so. Der | |
| CDU-Mann macht klar: Der Kanzler wird dem Begriff Zeitenwende nicht | |
| gerecht. | |
| Olaf Scholz liest seine Reden gewöhnlich vom Blatt ab, fürs Zuhören | |
| ermüdend. Doch an diesem Tag lässt er sein Manuskript liegen – und koffert | |
| zurück. „Sie sind hier durch die Sache durchgetänzelt und haben nichts | |
| Konkretes gesagt.“ Merz stelle nur Fragen und positioniere sich nicht. | |
| „Damit werden Sie nicht durchkommen.“ Dann listet er, sogar mit einer | |
| gewissen Leidenschaft, auf, wie Deutschland die Ukraine unterstützt. Ein | |
| Moment, in dem auch Gegner*innen der Union einräumen: Für die Debatte im | |
| Bundestag ist Merz ein Gewinn. | |
| Dem CDU-Mann gefallen Auftritte wie dieser – wenn er auf großer Bühne auf | |
| einer Stufe mit dem Kanzler agieren kann. Mitte Februar hat er dafür Ralph | |
| Brinkhaus geschasst und den Fraktionsvorsitz selbst übernommen. Sein | |
| Teamgeist hat Grenzen, wenn es um die eigenen Pläne geht. Merz hat damit | |
| die beiden Top-Posten der CDU besetzt – und die Pole-Position für die | |
| Kanzlerkandidatur. Geht es in der Presse um die Bundes-CDU, kommt vor allem | |
| einer vor: Friedrich Merz. | |
| In Zeiten des russischen Angriffkrieges muss die Union staatstragend sein, | |
| aber sich gleichzeitig gegen die Regierung profilieren. Beim Sondervermögen | |
| für die Bundeswehr und beim Bürgergeld gelingt ihr diese Gratwanderung, | |
| manchmal, wie beim Mindestlohn, geht es daneben. | |
| Merz konzentriert sich auf die öffentlichkeitswirksamen Auftritte und auf | |
| die Fraktion, das hat seinen Preis: Für die Partei hat er wenig Zeit, dabei | |
| soll hier die CDU inhaltlich neu aufgestellt werden. Carsten Linnemann, | |
| Parteivize und ehemaliger Chef der Mittelstandsvereinigung, schiebt zwar | |
| das neue Grundsatzprogramm an, doch das ist ein zäher Prozess. 2024, zur | |
| Europawahl, soll es fertig sein. „Innerparteilich sind stärkere Akzente | |
| nötig, um diese heterogene Partei zu führen“, urteilt Historiker Andreas | |
| Rödder. | |
| In der CDU-Zentrale laufen die Dinge alles andere als rund. Merz hat den | |
| alten Bundesgeschäftsführer spät ausgetauscht, aber bereits zwei | |
| Büroleiter*innen verschlissen, die neue Kommunikationschefin wurde | |
| groß angekündigt und war dann schnell wieder weg. Der Generalsekretär wird | |
| quer durch die Parteilager als schwach kritisiert, die stellvertretende | |
| Generalsekretärin gilt als noch schwächer. Deren Posten hat Merz extra | |
| geschaffen, damit er beim Kampf um den Parteivorsitz zumindest eine Frau | |
| vorweisen kann. „Wenn die anderen nicht glänzen, kann Merz besser | |
| strahlen“, kommentiert ein Parteifunktionär Merz’ Personalauswahl. | |
| Dass Mario Czaja es nicht schafft, so richtig zu punkten, könnte aber auch | |
| an seiner Rolle liegen. Generalsekretäre sind meist dazu da, die Position | |
| des Parteivorsitzenden zuzuspitzen. Sie testen, wie Aussagen wirken. Und | |
| greifen an. Manchmal macht Czaja das auch, wie zuletzt mit der Forderung, | |
| eine Deutschpflicht auf Schulhöfen einzuführen. Aber er ist als liberales | |
| und soziales Korrektiv zu Merz ins Amt gekommen, sollte parteiintern für | |
| Zustimmung jenseits der eigenen Fanbase sorgen. Jetzt setzt Czaja sich | |
| mitunter merklich von seinem Chef ab. | |
| Czaja weiß, dass die CDU andere Wählergruppen ansprechen muss, will sie | |
| zurück an die Macht. Der Unmut über die Bundesregierung ist derzeit groß, | |
| doch in Umfragen ist die CDU bei knapp 30 Prozent wie festgenagelt, sie | |
| überzeugt nur ihre Kernklientel. Der Generalsekretär will Frauen, junge | |
| Familien, Menschen mit Migrationsgeschichte für die CDU ansprechen. Und | |
| weiß natürlich, wie schädlich dafür Merz’ „kleine Paschas“ sind oder … | |
| die Frage des Berliner Landesverbandes nach den Vornamen der | |
| Tatverdächtigen mit deutscher Staatsbürgerschaft aus der Silvesternacht. | |
| ## Die Gesellschaft ist weiter | |
| Schaut man sich Merz’ Auftritt bei Lanz genau an, sieht man einen Mann, der | |
| sich in Fahrt redet. Der immer schneller spricht und im Ton bestimmter | |
| wird. Merz wirkt nicht so, als wolle er nur rein strategisch an den | |
| Stammtischen punkten. Sondern wie einer, der meint, was er sagt. Der nicht | |
| wirklich versteht, was Aladin El-Mafaalani, der Integrationsforscher, der | |
| im TV-Studio neben ihm sitzt, überhaupt von ihm will. Merz wirkt wie einer, | |
| der nicht anders kann. | |
| Am Abend darauf ist [6][Carlo Masala], Sohn eines italienischen | |
| Gastarbeiters und Militärexperte von der Universität der Bundeswehr, in | |
| Lanz’ Talkshow zu Gast, er wird auch von der Union geschätzt. „Ich bin üb… | |
| die Maßen erzürnt“, sagt Masala zu den Äußerungen von Merz und die Debatte | |
| rund um die Silvesternacht. „Man spuckt all denen, die seit zwei oder drei | |
| Generationen hier leben, ins Gesicht.“ | |
| Merz wird Masalas Auftritt gesehen haben, kurze Clips davon schwirren | |
| tagelang durch die sozialen Netzwerke. Doch eine Irritation, ein Innehalten | |
| sind ihm nicht anzumerken. Das mag auch daran liegen, dass in der | |
| CDU-Zentrale auch Zustimmung für den Parteichef ankommt. Immer wieder | |
| verteidigt Merz seine Äußerungen. [7][„Ich habe dem Volk aufs Maul | |
| geschaut“, sagt er etwa dem Tagesspiegel, ] und das sei Demokratie. Dass | |
| große Teile des Volkes inzwischen längst anders ticken, dass sich die | |
| Gesellschaft in den Jahren, die er jenseits der Politik verbracht hat, | |
| weiterentwickelt hat, das sieht Merz nicht. Oder er will es nicht sehen. | |
| Wie gespalten die CDU beim Thema Migration ist, zeigt sich im Dezember in | |
| der Bundestagsfraktion, bei der Abstimmung über das Aufenthaltsrecht. Die | |
| Innenpolitiker*innen wollten die Fraktion auf ein Nein einschwören, | |
| dass es zum internen Konflikt kommen würde, war vielen Beteiligten klar. | |
| Nach allem, was man aus der Fraktion hört, ließ Merz, in dieser Frage | |
| selbst Hardliner, das Problem schleifen. Erst kündigte er einen eigenen | |
| Antrag der Union an, hinter dem sich die ganze Fraktion versammeln könnte, | |
| dann war dieser plötzlich wieder vom Tisch. 20 Abgeordnete scherten | |
| schließlich aus der Mehrheitsmeinung aus. Sie enthielten sich bei der | |
| Abstimmung und gaben dazu eine Erklärung ab. Gröhe und Güler waren dabei, | |
| auch Armin Laschet, Helge Braun und Bundestagsvizepräsidentin Yvonne | |
| Magwas. | |
| Es ist ein Abwehrkampf, klar, aber man darf dies wohl auch als Warnzeichen | |
| verstehen, dass die Liberalen in der CDU ihre Grenzen haben. | |
| Am Rande des Plenums beobachten mehrere Politiker*innen, wie Merz mit | |
| erhobenem Zeigefinger auf Serap Güler eingeredet. Der Eindruck der | |
| Beobachter*innen: Der Fraktionschef staucht eine Abgeordnete zusammen, die | |
| nicht hinter ihre Positionen als NRW-Integrationsstaatssekretärin | |
| zurückfallen will. Am 24. Januar soll es eine offene Fraktionssitzung | |
| geben, in der das Thema Migration auch mit Experten von außen besprochen | |
| wird. | |
| Auch Sozialpolitik ist in der CDU ein umstrittenenes Feld. Für diese steht | |
| besonders die CDA. Doch zuletzt ist der Sozialflügel der Partei etwas unter | |
| die Räder gekommen. „Merz hat die CDA an die Wand gedrückt“, sagt | |
| Politikwissenschaftler Püttmann. „Der sozial-liberale Flügel ist | |
| erschreckend schwach.“ Alle fünf Stellvertreter:innen des Parteichefs | |
| gehören zur Mittelstandsvereinigung, verkündete deren Geschäftsführer nach | |
| der Wahl stolz. Dass Merz die CDA für die Minderheit in der CDU hält, hat | |
| er jüngst öffentlich beim Arbeitgebertag vorgetragen. Der CDA-Forderung | |
| nach mehr Tariftreue hat Merz dort eine Absage erteilt. Er sagte: Der | |
| Vorschlag, in die Tarifautonomie einzugreifen, komme „von einem kleinen | |
| Teil der Partei“. Völlig ohne Not hatte Merz einen Teil der Partei | |
| gedemütigt. | |
| Feingefühl ist seine Sache nicht, aber Merz scheint oft auch nicht gut | |
| beraten. Fragt man herum, auf wen der Parteichef denn höre, ist die | |
| Reaktion oft ein Schulterzucken. „Friedrich Merz kennt nur zwei Antworten: | |
| seine und die falsche“, sagt einer aus der CDU, der kritisch auf Merz | |
| blickt. Auch aus der CDU-Zentrale ist zu hören, dass es nicht immer leicht | |
| mit dem Chef sei. „In seinem Apparat scheint es kein Frühwarnsystem zu | |
| geben“, sagt Püttmann. | |
| Das könnte auch einige der Fehler erklären. Fragt man Püttmann und Rödder, | |
| fällt beiden, neben der „Sozialtourismus“-Äußerung über ukrainische | |
| Geflüchtete, gleich das Debakel mit Lindsey Graham ein – dem US-Senator und | |
| Trump-Vertrauten, der versuchte, den Demokraten die Schuld am Sturm auf das | |
| Kapitol anzuhängen. Merz sagte erst zu, bei einer Veranstaltung im August | |
| mit Graham gemeinsam aufzutreten, als es Kritik hagelte, sagte er wieder | |
| ab. | |
| Aber dann wird es zwischen den beiden Parteikennern kontrovers: Rödder hält | |
| die Einführung der Frauenquote für ein schweren Fehler, weil die aus seiner | |
| Sicht „nicht zu den Grundlagen christdemokratischer Politik passt“. Nach | |
| dem Parteitag im September, als die Quote verabschiedet worden war, war | |
| Rödder aufgebracht. „Wenn Merz seine Unterstützer nicht verlieren will, | |
| wird er glaubhaft vermitteln müssen, dass er inhaltlich für die Positionen | |
| steht, für die ihn fast zwei Drittel der Partei gewählt haben“, | |
| [8][schimpfte er gegenüber der taz]. Und es stimmte: Viele Merz-Fans waren | |
| entsetzt. | |
| Andreas Püttmann dagegen kritisiert, Merz habe „eine Brandmauer zur AfD“ | |
| versprochen, doch eine klare Abgrenzung nach rechts fehle weitgehend. „Wenn | |
| irgendjemand von uns die Hand hebt, um mit der AfD zusammenzuarbeiten, | |
| steht am nächsten Tag ein Parteiausschlussverfahren an“, das hatte Merz | |
| versprochen. Doch das passiert nicht, wie kurz vor Weihnachten in Bautzen | |
| zu sehen war. Der dortige Landrat hatte erst im Kreistag für einen Antrag | |
| der AfD gestimmt, was ein klarer Bruch der CDU-Regularien ist. Und dann | |
| hatte er in einer Videobotschaft behauptet, dass [9][die Unterbringung von | |
| Geflüchteten in leerstehenden Wohnungen den sozialen Frieden gefährde.] | |
| Merz schickte Czaja zur Distanzierung vor, parteiinterne Konsequenzen gab | |
| es keine. | |
| ## Problem: miserable Beliebtheitswerte | |
| Trotz der Kritik von beiden Seiten: Friedrich Merz sitzt derzeit fest im | |
| Sattel. Den Christdemokrat*innen hängen die Personalquerelen der | |
| vergangenen Jahre nach, man ist froh, dass Merz und CSU-Chef Markus Söder | |
| sich arrangieren und die Zusammenarbeit mit der Schwesterpartei ohne | |
| größeren Zwist klappt – zumindest bis zur Bayernwahl. Und dass die mächtige | |
| Mittelstandsvereinigung Merz fallen lässt, damit ist nicht zu rechnen. | |
| Viel spricht dafür, dass die CDU mit Merz als Kanzlerkandidaten in die | |
| nächste Bundestagswahl zieht. Dass er selbst das will, daran zweifelt in | |
| der CDU kaum jemand. Ausgemacht ist das dennoch nicht: Merz wird dann fast | |
| 70 Jahre alt sein. Viel problematischer aber sind seine miserablen | |
| Beliebtheitswerte. Unter der Führung von Merz, sagt Matthias Jung von der | |
| Forschungsgruppe Wahlen der taz, bleibe die CDU bei unter 30 Prozent. „Das | |
| ist die Kernklientel. Um wieder eine strukturelle Mehrheit zu bekommen, | |
| dafür reicht das nicht.“ Merz sei bei vielen Wähler*innen schlicht | |
| unbeliebt. Nur Sahra Wagenknecht und Alice Weidel schneiden in Jungs | |
| Politbarometer stets schlechter ab. | |
| Kann der CDU-Chef sein schlechtes Image noch loswerden? Eher nicht, meint | |
| Jung: „Merz hat das Image als Gegenentwurf zum Merkel-Kurs, der die Partei | |
| wieder konservativer aufstellen will, sehr lange gepflegt. Wenn man eine so | |
| zementierte Wahrnehmung hat, kommt man da nicht mehr raus.“ | |
| Merz will sich in diesem Jahr mehr um die Partei kümmern, hört man aus dem | |
| Konrad-Adenauer-Haus. Nötig ist das. Die CDU muss sich über Positionen | |
| verständigen und sich dann hinter diesen versammeln.Merz’ Hang zum | |
| Polarisieren und Poltern hat ihm beim Aufstieg genutzt. Aber jetzt könnte | |
| er ernsthaft zum Problem werden. | |
| 21 Jan 2023 | |
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| [1] /CDU-Vorstandsklausur-in-Weimar/!5908723 | |
| [2] https://www.zdf.de/gesellschaft/markus-lanz/markus-lanz-vom-10-januar-2023-… | |
| [3] /Feministische-Aussenpolitik/!5841276 | |
| [4] /Flugzeug-oder-Regierungs-Dienstwagen/!5869917 | |
| [5] /Anti-Wokeness-Kongress-in-Berlin/!5890581 | |
| [6] /Carlo-Masala-ueber-die-Bundeswehr/!5884220 | |
| [7] https://www.tagesspiegel.de/politik/friedrich-merz-verteidigt-seine-aussage… | |
| [8] /CDU-Politiker-ueber-Frauenquote/!5881155 | |
| [9] /CDU-im-Osten/!5900964 | |
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