| # taz.de -- Zukunft des Pazifismus: Die deutsche Friedensliebe | |
| > War das pazifistische Selbstbild der Deutschen nur eine nostalgische | |
| > Kulisse? Pazifisten überzeugen kaum noch. Ein neuer Antimilitarismus ist | |
| > gefragt. | |
| Bild: Zeitenwende: Bundeskanzler Scholz im August vor einem Flugabwehrkanonenpa… | |
| Noch bevor Harald Welzer in diesem Jahr seine Karriere als besonders | |
| unbeliebter Talkshowgast begann, gab er der taz Anfang März zu Russlands | |
| Überfall auf die Ukraine ein kleines Interview. [1][Er staune darüber, wie | |
| die Militarisierung „der Sprache und womöglich auch der Mentalitäten“ | |
| binnen einer Woche funktioniere, sagte der Soziologe.] „Im Grunde ist all | |
| das, was passiert, das Gegenteil von dem, wofür unsereiner mal vor 30 oder | |
| 40 Jahren angetreten ist.“ | |
| Es ist seither nicht leichter geworden, angesichts der Grausamkeit des | |
| Krieges, den Putin gegen die UkrainerInnen führt, das antimilitaristische | |
| Erbe Deutschlands öffentlich zu verteidigen. Welzer ist es auch im Verbund | |
| mit vielen sonst für klug gehaltenen Intellektuellen nicht gelungen. Sie | |
| überzeugten einfach niemanden, und wenn doch, dann vor allem diejenigen, | |
| die sowieso glauben, hinter allem stecke die CIA. | |
| ## Kaum ein Zucken irgendwo | |
| Dieser Misserfolg ist erst einmal verwunderlich. Schließlich kommt die | |
| Vokabel „Zeitenwende“ vor allem deshalb so geschichtsträchtig daher, weil | |
| Deutschland sich selbst eigentlich ziemlich kriegsunwillig und | |
| kriegsuntauglich findet und von aller Welt auch so gesehen wird. Um da eine | |
| neue Militärpolitik einzuläuten, braucht es dann große Worte, so groß wie | |
| die herumzureißenden Ruder in einer ganz unkriegerisch denkenden | |
| Gesellschaft, so groß wie die Summen, die ab sofort in die Bundeswehr | |
| gepumpt werden. | |
| Dabei gibt es ja gar keine Gegenwehr. Kaum ein Zucken irgendwo. [2][Auch | |
| die Linkspartei spaltet sich sauber auf in „weitgehend ratlos“ und | |
| „Putin-treu vernagelt“.] Mein Verdacht bestätigt Harald Welzers oben | |
| zitierte Wut: Da lagerten gar keine antimilitaristischen Kulturvorräte mehr | |
| in den politischen Kellern und Speichern. | |
| ## Ein neuer Antimilitarismus wächst | |
| [3][Das pazifistische Bild Deutschlands war womöglich nur eine nostalgische | |
| Kulisse], und wir haben es bisher einfach nicht bemerkt. Vielleicht ist die | |
| deutsche Friedensliebe schon lange nur ein Unwille gewesen, sich mit | |
| Kriegen anderswo zu befassen. Und wenn der Krieg aber in die Nachbarschaft | |
| kommt, dann rüstet man halt auf – schon gut, schon gut, wir machen ja | |
| schon, haben nur noch ein Weilchen am Exportüberschuss gearbeitet. | |
| Ziemlich sicher bin ich aber, dass irgendwo auf den Trümmern einer | |
| Friedensbewegung, deren Analysekraft sich darin erschöpfte, dass stets die | |
| USA schuld waren, bereits ein neuer Antimilitarismus nachwächst, einer, der | |
| in Widersprüchen denken kann. Er müsste davon ausgehen, dass Demokratien in | |
| einer Welt voller Tyrannen wahrscheinlich wehrhaft sein, aber ihre | |
| Wehrhaftigkeit gut kontrollieren sollten. | |
| ## Militärskeptiker hätten viel zu tun | |
| Solidarität mit überfallenen Ländern in Europa wäre erstens | |
| selbstverständlich und diente zweitens der Verteidigung eigener Werte. Das | |
| besinnungslose Ausschütten von Geld für Waffen, die bestellt werden, weil | |
| sie halt am Markt sind, würde jedoch harsch kritisiert. Eine neue | |
| militärskeptische Bewegung würde Whistleblower im Rüstungsbeschaffungsamt | |
| auftreiben, die erklären, warum Milliarden in Panzer gesteckt werden, die | |
| nach ein paar Stunden den Geist aufgeben. | |
| Sie würde die Verbindungen der Rüstungslobby bis an den hintersten | |
| Stehtisch beim Reservistenempfang nachzeichnen. Sie würde die Bundeswehr | |
| mit ihrer betulichen Selbstbezogenheit gut kennen, rechtsradikale Nester | |
| aufspüren. Sie würde verlangen, dass Generäle über Rolle und | |
| Selbstverständnis der Truppe öffentlich diskutieren müssen. | |
| Militärpolitik müsste sich ständig rechtfertigen. Kein Kanzler käme mehr | |
| auf die Idee, der unmotiviertesten Person im ganzen Kabinett das | |
| Verteidigungsressort zuzuschieben. | |
| Wäre alles natürlich anstrengend. Aber ziemlich nötig. | |
| 24 Dec 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ulrike Winkelmann | |
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