| # taz.de -- Kampf gegen Autos in der Autostadt: VW wie Verkehrswende | |
| > In der VW-Stadt Wolfsburg haben sich Aktivist*innen niedergelassen. | |
| > Sie wollen, dass VW auf die Produktion von Straßenbahnen umstellt. | |
| Bild: Vier Aktivist*innen am Wolfsburger Bahnhof. Zwei von ihnen sind auf dem W… | |
| Wolfsburg taz | Das Projekthaus „Amsel 44“ liegt gut 20 Laufminuten vom | |
| Wolfsburger Bahnhof entfernt. Der Weg führt wahlweise über die Diesel- oder | |
| Porschestraße. „Kriesgverbrecherstraße“ nennt Aktivist Tobi Rosswog | |
| letztere. Die Autostadt Wolfsburg und das VW-Werk liegen auf der anderen | |
| Seite, jenseits des Mittellandkanals. Richtung Amselweg wird es grüner, die | |
| Gärten der Reihenhäuser werden größer und sichtgeschützt. | |
| Es sei das „kleinste, teuerste und hässlichste“ Haus, das er jemals | |
| aufgebaut habe, sagt Rosswog, „in der menschenfeindlichsten Stadt“, in der | |
| er je gewohnt habe. Aber um so mehr gebe es zu erreichen, sagt er, hier, | |
| „in der Höhle des Löwen“. | |
| Im Herbst haben Aktivist*innen das Haus gekauft, finanziert über die | |
| Stiftung „Frei-Räume“. Sie haben sich mehreren Zielen verschrieben: in | |
| Wolfsburg die Verkehrswende voranzutreiben, gegen den Ausbau der Autobahn | |
| 39 zu protestieren, den größten Autokonzern der Welt zu einem | |
| Straßenbahn-produzierenden Betrieb umzubauen – und das „Trinity“-Werk zu | |
| verhindern, in dem VW seine neue E-Limousine bauen wollte. | |
| Auf einem Acker in Wolfsburg-Warmenau sollte für zwei Milliarden Euro die | |
| Fabrik dafür gebaut werden, ab kommendem Frühjahr. Der Plan von VW war, das | |
| erste Auto schon 2026 vom Band laufen zu lassen. „Es macht mich immer | |
| wieder fertig, dass uns eigentlich alle Parteien vorlügen, auch die Grünen, | |
| dass man mit E-Mobilität das Klimaproblem lösen könnte“, sagt Aktivistin | |
| Jutta Sundermann. Dabei sei unklar, woher Ressourcen und Energie kommen | |
| werden. „Es ist ein krasses Gefühl, mit Vollgas in den Abgrund.“ | |
| Deswegen hatten die Aktivist*innen nicht nur das Haus gekauft, sondern | |
| drei Monate, von September bis November, auch ein Protestcamp auf dem Acker | |
| errichtet – bis VW-Chef Oliver Blume, der den Konzern erst Anfang September | |
| übernommen hatte, den Bau absagte. Die Entwicklung der Software für das | |
| Auto habe sich zu stark verzögert, „Der Super-VW Trinity rückt um eine | |
| halbe Autogeneration nach hinten“, berichtete das Manager-Magazin. | |
| ## Vom Hambacher Forst zu VW | |
| Die erste Aktion in Wolfsburg fand bereits 2019 statt, es war die Blockade | |
| eines Autozugs aus dem VW-Werk. Nach der Räumung des Hambacher Forstes für | |
| den Braunkohleabbau von RWE sei klar geworden, dass man sich jetzt um die | |
| Verkehrswende kümmern müsse, sagt Aktivist Rosswog. VW musste dran glauben, | |
| weil das Land Niedersachsen mit zu den größten Anteilseignern gehört. „Die | |
| Entscheiderin sitzt mit auf der Täterseite“, sagt Rosswog. | |
| Bei der Aktion waren manche, die jetzt auch beteiligt sind – eine feste | |
| Gruppe gab es damals nicht, ebenso wenig wie heute.„Wir wollten es mit | |
| einem größeren Konzern aufnehmen“, erzählt Jörg Bergstedt. „VW ist ein | |
| Global Player. Die müssen damit rechnen, dass sie von allen Seiten auf die | |
| Fresse kriegen.“ | |
| Bergstedt hat das Haus mit ausgesucht, arbeitet nun vor allem am Protest | |
| gegen die A39 und an der Verkehrswende in Wolfsburg selbst. Zwei Jahre | |
| wollen sie bleiben, das Haus danach wieder verkaufen. „Dann haben wir | |
| gewonnen oder nicht“, sagt Bergstedt. Die Initiativen vor Ort müssten dann | |
| in der Lage sein, den Protest weiterzuführen. | |
| Das Narrativ der Aktivist*innen geht so: In zwei Jahren rollt die erste | |
| Straßenbahn vom Band. Auf die Diskussion, wie realistisch das ist, wollen | |
| sie sich gar nicht erst einlassen. „Ich halte es für unrealistischer, | |
| weiter Autos zu produzieren“, entgegnet Rosswog. „VW steht nicht mehr für | |
| Volkswagen, sondern für Verkehrswende.“ | |
| Mit ihrer Vision seien sie „anschlussfähig“, sagt Bergstedt, gerade bei den | |
| Gewerkschaften. Denn der Vorschlag beinhalte die Sicherung jeder Menge | |
| Arbeitsplätze. | |
| In Garten und Vorgarten der Amsel 44 steht viel von dem Zeug, was noch bis | |
| vor wenigen Wochen das Camp auf dem Acker gebildet hat. In der Haustür | |
| steckt von außen ein Schlüssel, jede*r kann reinkommen. Im Haus ist es | |
| fast angenehm warm, zumindest außerhalb von Flur und Küche. Fehlende Türen | |
| wurden durch Vorhänge ersetzt. Die teils unverputzten Wände, an denen | |
| Plakate, Stadtpläne und Mindmaps hängen, sind fleckig. Soll das die | |
| nächsten zwei Jahre so bleiben? „Sieht doch so aus wie in Berlin“, sagt | |
| Rosswog. | |
| Der Keller steht voller Werkzeuge, Banner, Mal- und Klettersachen sowie | |
| Lebensmittel. In der Küche wurde selbst gefliest, ein bisschen Putz schaut | |
| noch hervor. Nebenan stapeln sich Hafersahne, Kaffee und Tee. | |
| Der erste Stock bietet nach Bedarfen aufgeteilte Arbeitsräume: Multimedia, | |
| Ruhe, Konferenz. Die Kabel liegen vertüddelt unter den Tischen. Im | |
| Wohnzimmer ist Platz für Veranstaltungen mit bis zu 20 Menschen. | |
| In dem Haus haben sich bereits Gruppen von der IG Metall oder dem BUND | |
| Gifhorn getroffen. Aber die Aktivist*innen gehen auch raus: an die | |
| Werkstore von VW, in die Nachbarschaft, zu Bürger*innenversammlungen, zu | |
| Versammlungen der IG Metall. | |
| ## Zum Schichtwechsel in die Tunnelschenke | |
| Ruben Gradl setzt sich zum Schichtwechsel ab und an in die Tunnelschenke, | |
| eine Raucherkneipe, in der „alle quer durch den Raum miteinander reden“. | |
| Wolfsburg sei eine Stadt, die sich sehr mit VW identifiziert, so empfindet | |
| es zumindest Gradl. Doch Bergstedt ist überzeugt: Es gibt auch Menschen, | |
| die heimlich anders denken. „Nicht VW-Fan zu sein ist wie in München leben | |
| und Eintracht Frankfurt gut finden. Du würdest mit dieser Position einfach | |
| nicht auf der Straße auftreten.“ | |
| Auch VW-Mitarbeitende haben sich ihnen angeschlossen. „Ich habe 20 Jahre | |
| gewartet, bis die hier aufgetaucht sind“, sagt Mischa Werner. Er arbeitet | |
| seit 21 Jahren bei VW. Bis 2016 hat er Autos kontrolliert, die aus der | |
| Fertigung kamen. Inzwischen fährt er sie im Werk herum. „Ich bin von Haus | |
| aus Anarchist“, sagt er, als er in die Amsel 44 kommt, um Rosswog und Gradl | |
| zwei dunkelgraue Mäntel zu leihen. | |
| Denn die beiden wollen am nächsten Tag zur außerordentlichen | |
| Hauptversammlung der Volkswagen Aktiengesellschaft in Berlin aufbrechen. | |
| Nach dem Börsengang der Porsche AG sollen dort noch in diesem Jahr | |
| Dividenden ausgeschüttet werden. Über den Dachverband kritischer | |
| Aktionär*innen haben Rosswog und Gradl Aktien übertragen bekommen. Sie | |
| wollen bei der Versammlung eine Rede halten. | |
| Rosswog, Sundermann, Bergstedt und Gradl leben sonst nicht in Wolfsburg. | |
| Das habe auch Vorteile, sagt Rosswog: „Da wir von außen kommen, können wir | |
| unabhängig von den ganzen Seilschaften agieren und den Elefanten im Raum | |
| ansprechen.“ | |
| Andere täten sich schwer mit Kritik an VW: So sei der Nabu-Chef von | |
| Wolfsburg zugleich Umweltberater der Stadt und im Nachhaltigkeitsmanagement | |
| von VW. Er habe gesagt, Trinity sei „'besser als Natur’“, so Rosswog. | |
| Ebenfalls bei VW und beim Nabu ist Torsten Bleibaum. Seit 1995 arbeitet er | |
| im VW-Kraftwerk. Bevor er bei einem seiner Einsätze als Ehrenamtlicher für | |
| den Nabu Rosswog kennen gelernt hat, habe er Trinity einfach hingenommen, | |
| sagt Bleibaum. „Zu sagen, wir wollen das Werk nicht, hätten wir hier mit | |
| den Kräften nicht schaffen können.“ | |
| Bleibaum glaubt nicht an die Straßenbahn-Vision, die VW-Strategie mit den | |
| dicken E-Autos kritisiert er trotzdem. „Ich glaube nicht, dass der Kunde | |
| das verlangt. Der will ein Auto, was lange hält und nie kaputt geht.“ | |
| Ein Problem in Wolfsburg sei auch die Stadt, sagen die Aktivist*innen. | |
| Diese habe das Selbstverständnis einer „Büroetage von VW“, so Bergstedt. | |
| Als 2020 die ersten Aktionen angemeldet wurden, sei das städtische | |
| Verhalten „von der ersten Sekunde an unsouverän“ gewesen. Er erzählt von | |
| einer angemeldeten Demo, die auf dem Fußweg stattfinden musste, und von | |
| einem Polizeikessel vor dem Amtsgericht. | |
| Als Rosswog im September eine Aktion zum Parking Day anmeldete, bei dem | |
| Parkraum symbolisch okkupiert wird, sei die Stadt „nicht handlungsfähig“ | |
| gewesen – trotz Nachfragen habe man eine Woche lang keine Reaktion | |
| erhalten. Gradls Verdacht: „Die haben erst mit unserer Ankunft hier eine | |
| Versammlungsbehörde gegründet.“ | |
| ## Schlafen auf Paletten | |
| Wer mit zur Wolfsburger Verkehrswende-Gruppe zählt, ist nicht genau | |
| definiert, von wem auch? Es gibt die lokalen Initiativen, die | |
| sympathisierenden VW-Mitarbeitenden und die von außerhalb. Die Schlafräume | |
| hätten aber bisher immer gereicht, sagt Sundermann. Dank | |
| Palettenkonstruktionen in zwei Zimmern mit insgesamt rund 20 Quadratmetern | |
| und dem unausgebauten Dachboden können in der Amsel 44 bis zu 15 Menschen | |
| schlafen. | |
| Sundermann ist nur tageweise da, Bergstedt auch mal etwas länger. Gradl und | |
| Rosswog verbringen einen noch größeren Teil ihrer Zeit hier. Wer aktuell in | |
| der Amsel 44 lebt, sagt Gradl, könne man nicht genau sagen. | |
| Wo es keine feste Gruppe gibt, gibt es auch keinen Konsens, erzählt Gradl. | |
| „Es gibt keine Linie. Alle Leute machen, was zu ihnen passt und wovon sie | |
| denken, dass es wirksam ist.“ | |
| Für Bergstedt bedeutet das fehlende Label mehr Handlungsfreiheit. So kennt | |
| er es aus dem Hambacher Forst oder dem Dannenröder Wald. „Wir appellieren | |
| an niveauvolle und zielgenaue Aktionen. Und wenn mal was kaputtgeht, gehört | |
| das auch dazu.“ | |
| 25 Dec 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Alina Götz | |
| ## TAGS | |
| wochentaz | |
| Schwerpunkt Stadtland | |
| Verkehrswende | |
| Klima | |
| Verkehrswende | |
| Volkswagen | |
| Wolfsburg | |
| Autobahn | |
| Verkehrswende | |
| Verkehrswende | |
| Dieselfahrverbot | |
| Verkehr | |
| Schwerpunkt Fridays For Future | |
| wochentaz | |
| Selbstbestimmung | |
| Verkehrswende | |
| Landtagswahl in Niedersachsen | |
| Protest | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Umstrittene A39 in Niedersachsen: Ein Minister baut vor | |
| Der BUND klagt erneut gegen die geplante A39 zwischen Lüneburg und | |
| Wolfsburg. Niedersachsen startet schon mal mit einer zweifelhaften | |
| Ortsumgehung. | |
| Verkehrswende-Aktivist vor Gericht: Amsel schießt zurück | |
| VW klagt gegen eine satirische Website, die ihnen den Umstieg auf | |
| Straßenbahnbau unterstellt. Der beklagte Aktivist von Amsel44 sieht das als | |
| Erfolg. | |
| Klimaaktivismus gegen Volkswagen: In der Höhle des Löwen | |
| Seit Jahren kämpfen Aktivist*innen gegen den Autobauer VW und für eine | |
| Verkehrswende – die jährliche Aktionärsversammlung ist ihr wichtigster | |
| Aktionstag. Was können sie erreichen? | |
| Belastung mit Stickoxiden: München weitet Fahrverbot aus | |
| Die bayerische Landeshauptstadt will gesündere Luft. Auto-Fans gehen auf | |
| die Barrikaden. Nun könnte eine Klagewelle folgen. | |
| Verkehrswende im Kanzleramt: Mobilitätsgipfel ohne Ergebnisse | |
| Was früher Autogipfel hieß, läuft nun unter Mobilitätsgipfel. Neuer Schwung | |
| beim Treffen im Kanzleramt blieb aber aus. | |
| Klimaschutzklage gegen Volkswagen: Keine Daumenschrauben für VW | |
| Das Landgericht Braunschweig hat die Klage gegen VW zugelassen. Die Kläger | |
| wollen Volkswagen verpflichten, ab 2029 keine Verbrenner mehr herzustellen. | |
| Aus dem Leben eines Kochs: Kindheit schmeckt nach Pelmeni | |
| Roman Schönberger kam als Vierjähriger nach Berlin, das ihm zur Heimat | |
| geworden ist. Er arbeitet als Koch und steigt demnächst zum Chefkoch auf. | |
| Diskussion um Fahrtüchtigkeit: Wir werden alle mal alt | |
| Auch wenn es zur „Mobilitätswende“ passt – Alten den Führerschein zu | |
| nehmen, muss gut begründet sein. Sonst kann es Passivität und Einsamkeit | |
| fördern. | |
| Fahrraddemo gegen A39 und Trinity-Werk: Protest auf der Autobahn verboten | |
| Aktivist*innen wollen am Sonntag auf der A39 gegen die Autobahn und das | |
| Trinity-Werk von VW demonstrieren. Die Behörden wollen die Strecke ändern. | |
| Niedersachsen vor der Wahl: Tagesausflüge nach Wolfsburg | |
| Die Stadt ist mehr als VW und VfL. Ein Plädoyer gegen stumpfe Witze und | |
| Vorurteile. | |
| Neues E-Auto-Werk in Wolfsburg: Gerechtfertigter Protest | |
| Klimaaktivist:innen und Anwohner:innen protestieren zu Recht | |
| gegen das E-Auto-Werk, mit dem der VW-Konzern seine Zukunft sichern möchte. |