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# taz.de -- Künstliche Intelligenz von ChatGPT: Gedichtanalyse, Goethe, Enter
> Der Chatbot ChatGPT könnte viele Hausaufgaben erledigen. Kommt da was auf
> die Schulen zu? In den Ministerien ist man erstaunlich gelassen.
Bild: Junge beim Dikatat – ohne KI
Berlin taz | Seit dem Start des [1][Textgenerierungsprogramms ChatGPT] im
November wird vielerorts eine grundlegende Veränderung der schulischen
Ausbildung durch künstliche Intelligenz (KI) heraufbeschworen. Robert
Lepenies, Präsident der Karlshochschule in Karlsruhe, [2][spekulierte auf
Twitter], dass die Anwendung oder vergleichbare Tools bald an allen Texten
mitschreiben werden. Das rheinland-pfälzische Bildungsministerium
bestätigte, dass „der öffentliche Start des ChatGPT zu intensiven
Diskussionen bezüglich der Chancen und Risiken von derartigen
KI-Anwendungen insbesondere in Bezug auf schulische Bildung und
Digitalisierung geführt hat“.
Der Wirbel um den Chatbot des US-amerikanischen Unternehmens OpenAI ist
nachvollziehbar. Die KI wird als das bislang fortgeschrittenste
Sprachmodell gehandelt, das in Windeseile gut formulierte Texte generieren
kann. Eine Schülerin kann künftig also eine Gedichtsanalyse, einen Aufsatz
oder gar eine kreative Geschichte einfach den Chatbot schreiben lassen. Der
wurde mit einem riesigen Datensatz – Textmaterial, das bis zum Jahr 2021
veröffentlicht wurde – trainiert und ist so in der Lage, verschiedene
Schreibstile nachzuahmen. Man kann dem Bot auch Recherchen auftragen. Fragt
man ChatGPT etwa nach den wichtigsten Errungenschaften oder größten
Kontroversen der Demokratiegeschichte, gibt die KI eine ausführliche
Antwort, die langes Suchen im Internet oder in Büchern überflüssig macht.
Braucht man weitere Informationen, können Folgefragen gestellt werden –
laut OpenAI ist der Bot auch in der Lage, falsche Prämissen zu bestreiten,
unangemessene Fragen zurückzuweisen und eigene Fehler einzugestehen.
Müssen Schüler:innen also bald keine Eigenleistung mehr bei Textaufgaben
erbringen, wie manche befürchten? In den Kultusministerien der Länder gibt
man sich gelassen: Das Tool sei nicht das erste, das sich auf die
professionelle Textproduktion auswirke, heißt es etwa aus Berlin. Auch im
Schulministerium von NRW findet man den Chatbot weniger revolutionär, als
es die Medienberichterstattung vermuten lässt: Wie bei anderen technischen
Entwicklungen gelte es auch in Hinblick auf ChatGPT, „die Potenziale und
die pädagogische Perspektive für Schule und Unterricht im Blick zu
behalten“.
## Künstliche Intelligenz in den Unterricht einbinden
Hendrik Haverkamp, Deutschlehrer und Koordinator für Digitalität am
Evangelisch Stiftischen Gymnasium Gütersloh, hat bereits einige dieser
Möglichkeiten durch Experimente mit Text-KI im Unterricht ausprobiert.
Durch den Einzug der KI in den Bildungsalltag könne seine Klasse nun anhand
eines konkreten Beispiels die Entstehung, Entwicklung und Wirkung von
KI-Technologien diskutieren. Außerdem werde deutlich, „welche
Basisfähigkeiten Schüler:innen in Zukunft brauchen, wenn sie ohne KI
arbeiten“, erzählt Haverkamp.
Haverkamps Achtklässlerinnen durften zum Beispiel Smodin.io, ebenfalls eine
Text-KI, in einer Klassenarbeit benutzen. Die Aufgabe bestand dann weniger
darin, einen Text zu schreiben. Die Schüler:innen mussten stattdessen
begründen, warum sie bestimmte Textvorschläge der KI übernommen hatten.
Der Deutschlehrer war besonders vom Reflexionsvermögen der Schüler:innen
überrascht: „Die meisten merkten schnell, dass die Texte aus der Maschine
oft weniger kreativ sowie vage und oberflächlich sind – und auf stereotypen
Aussagen basieren.“ Neben sexistischen und rassistischen Denkmustern, die
häufig durch KI-Anwendungen reproduziert werden, bediente sich der Bot in
Haverkamps Unterricht „recht konservativer Sichtweisen“: Auf die Frage, ob
man Smartphones in der Schule verbieten solle, sprach sich der Bot für
einen rein analogen Unterricht aus. Seine Begründung: Andernfalls würden
Schüler:innen zu viele SMS schreiben. Haverkamp winkt ab und sagt, dass
SMS den meisten Schüler:innen doch gar nicht mehr geläufig seien.
Der Lehrer erzählt, er habe den Eindruck, dass der Wortschatz der
Schüler:innen seit der Verwendung von Text-KI gewachsen sei.
Gleichzeitig aber blicke er besorgt auf die Rechtschreibung: „Die Zahl der
Fehler ist stark gestiegen:“ Insgesamt aber könne er keinen Verfall der
schulischen Bildung erkennen. Es sei vielmehr ein dynamischer
„Veränderungsprozess“, den jede neue Technologie am Laufen halte.
Schon bei der Einführung des elektronischen Taschenrechners, der in der
Bundesrepublik ab 1975 nach und nach den Rechenschieber ersetzte, habe man
ähnliche, angstgetriebene Diskussionen geführt wie nun beim ChatGPT, so der
Lehrer. In seinem Unterricht möchte Haverkamp nun einen stärkeren Fokus auf
den Lernprozess der Schüler:innen legen – obwohl die Bundesländer nach
den [3][schlechten Mathe- und Deutschleistungen in der jüngsten IQB-Studie]
nun vor allem die Basiskompetenzen stärken wollen. Dennoch sieht man auch
in den Bildungsressorts, dass es „eine große Herausforderung wird, die
Leistungen der Schüler:innen von Leistungen, die KI-Systeme wie ChatGPT
erbracht haben, abzugrenzen“, wie etwa der Bremer Senat mitteilt.
In Rheinland-Pfalz wendet man sich nicht nur in der Frage der
Prüfungsbewertung an das Lehrpersonal. Lehrkräfte und Schulleitungen
müssten künftig auch Grundkenntnisse über künstliche Intelligenz und
Datennutzung erlangen, „um sich positiv, kritisch und ethisch mit dieser
Technologie auseinanderzusetzen und sie richtig einsetzen zu können“,
erklärt das dortige Bildungsministerium gegenüber der taz. Wie das
Lehrpersonal dieses Wissen erwerben soll, bleibt dabei unklar. Neben
Schleswig-Holstein ist Rheinland-Pfalz eines der Länder, in denen mangelnde
IT- beziehungsweise Digitalkompetenzen der Lehrkräfte eine Hürde bei der
Umsetzung von digital gestütztem Unterricht darstellen – so die
Einschätzung der Eltern [4][in einer groß angelegten Befragung zum
digitalen Unterricht in Deutschland].
## Fortbildungen für Lehrkräfte
Das nordrhein-westfälische Schulministerium erklärt, dass Lehrkräfte noch
bis Mitte nächsten Jahres Fortbildungen zur digitalen Transformation
besuchen können. Der Bildungsföderalismus führt also nicht nur zu
unterschiedlichen Herangehensweisen an KI und weitere Technologien. Oft
werden auch die Lehrkräfte sich selbst überlassen, wenn es darum geht, den
Unterricht an den neuesten Stand der technischen Entwicklung anzupassen.
In Hessen erhofft man sich von der Verwendung von KI-Tools im Unterricht
eine Entlastung des Lehrpersonals: „Der Einsatz von ChatGPT hat das
Potenzial, Arbeitsvorgänge zu verbessern und sie zu verschlanken“, schreibt
das Kultusministerium. Das könne den Schüler:innen zugutekommen. In
Bremen erwartet man zum einen, dass die Lehrer:innen so mehr Zeit haben,
um sich um die individuellen Bedürfnisse der Schüler:innen zu kümmern,
anstatt sich „Routineaufgaben“ widmen zu müssen. Zum anderen ermöglichten
KI-Programme, dass Schüler:innen unterschiedliche Aufgaben bearbeiten,
die auf ihren jeweiligen Lernstand zugeschnitten sind. Lehrer Haverkamp
sagt, er habe zudem erlebt, wie hilfreich es sei, wenn die Schüler:innen
von den KI-Tools nicht nur individuelles Feedback bekommen, sondern diese
Rückmeldung auch unmittelbar kommt.
Bis alle Schüler:innen vom Potenzial der KI gleichermaßen profitieren
können – und über ihre Risiken aufgeklärt sind –, wird es aber noch eine
Weile dauern. Die Bildungsministerien von Sachsen und Schleswig-Holstein
etwa geben an, dass ChatGPT nicht im Unterricht eingesetzt werde. Deshalb
könne man die Frage nach Risiken und Chancen des Bots nicht „ad hoc“
beantworten, heißt es aus Kiel. Aber: Selbst wenn die Lehrkräfte die KI
noch nicht selbst nutzen, ist es nach der umfassenden Berichterstattung
über den Start des Tools fraglich, ob die Schüler:innen die Anwendung
nicht nutzen, um die Hausaufgaben schneller zu erledigen.
Trotzdem sei derzeit keine Weiterentwicklung der Lehrpläne in Aussicht, da
KI-Anwendungen schon im Informatikunterricht behandelt würden, erklärt das
sächsische Bildungsressort. Allerdings ist der überarbeitete Lehrplan für
das Fach Informatik am Gymnasium in Sachsen von 2019. Seitdem haben sich
aber nicht nur Chatbots, sondern auch Übersetzungstools, Systeme der
Grammatik- und Rechtschreibprüfung und nicht zuletzt Online-Lehrverfahren
maßgeblich verändert.
Der Deutschlehrer Hendrik Haverkamp möchte nicht mit dem Finger auf
einzelne Bundesländer, Schulen oder Lehrkräfte zeigen. Er hat die
bundesdeutsche, aber auch die europaweite Bildungspolitik im Blick. Er
wünsche sich, dass die Entwicklung von KI-Tools nicht dem freien Markt
überlassen werde.
Eher sollten Schulen DSGVO-kompatible Technologien zur Verfügung stellen,
die mit ausgewählten Trainingsdaten entwickelt wurden, um so die
Reproduktion von rassistischen oder sexistischen Stereotypen zu vermeiden.
„Gerade jüngere Kinder können das noch nicht einordnen – sie brauchen ein…
geschützten Rahmen“, meint Haverkamp. Auch wenn das Unternehmen OpenAI
bislang noch nicht klargestellt habe, ob die Nutzung von ChatGPT kostenlos
bleibt, sei es aus präventiver Sicht wichtig, bereits jetzt an der
Entwicklung eines kostenlosen KI-Tools für Schüler:innen zu arbeiten.
„Nur so kann Bildungsgerechtigkeit angesichts des technologischen Wandels
bewahrt werden“, mahnt Haverkamp.
21 Dec 2022
## LINKS
[1] /Kuenstliche-Intelligenz-via-ChatGPT/!5903102
[2] https://twitter.com/RobertLepenies/status/1600611200408100876
[3] https://www.iqb.hu-berlin.de/bt
[4] /Studie-zu-digitalem-Unterricht/!5880217
## AUTOREN
Tatjana Söding
Clara Vuillemin
## TAGS
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