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# taz.de -- Debatte um das Renteneintrittsalter: Lasst die Boomer in Rente gehen
> Niemand sollte dazu gezwungen sein, das Renteneintrittsalter zu
> verschieben. Viel sinnvoller ist, Zugewanderten den Weg ins Berufsleben
> zu ebnen.
Bild: Nur noch Wandern und auf der Wiese liegen, für manche Rentner:innen soll…
Da ist er wieder, der Ruf nach einem späteren Renteneintrittsalter. Aktuell
sieht Alexander Gunkel vom Bundesvorstand der Rentenversicherung (RV) und
dort zuständig für die Arbeitgeberseite dunkle Zeiten herannahen. In ein
paar Jahren gehen die meisten der sogenannten [1][Boomer] in Rente und es
wird mehr Renter:innen als Beitragszahler:innen geben.
Mit seiner Furcht vor dem Zusammenbruch des Rentensystems, wie wir es heute
kennen, ist Gunkel nicht allein. Auch Arbeitgeber-Präsident Rainer Dulger
sieht das Rentensystem „vor dem Kollaps“. Und was fordern beide? Klar, ein
höheres Renteneintrittsalter. Es dürfe nicht sein, dass „die weiter
wachsende Lebenserwartung zu einem immer noch längeren Ruhestand“ führe,
findet Dulger. Gunkel möchte, dass die Menschen nicht schon mit 67 Jahren,
sondern später in Rente gehen.
Schon länger fordern Arbeitgeberverbände die [2][Rente mit 70]. Diese
Forderung ist so alt wie vermessen. In den vergangenen Jahrzehnten ist die
Altersgrenze für die „Boomer“ und all jene, die ab 1964 geboren worden
sind, bereits auf 67 angehoben worden. Nur wer von ihnen mindestens 45
Jahre in die Rentenkasse eingezahlt hat, kann problemlos früher in Rente
gehen, in der Regel ab 63 Jahren.
Wer es nur auf 35 Einzahlungsjahre bringt, darf zwar auch schon mit 63
Jahren aus dem Job ausscheiden, muss dafür aber mit empfindlichen
Abschlägen bei der Rente rechnen. Die machen bei manchen 40 Prozent aus.
Die Zahl derer, die das in Kauf nimmt, ist leicht gestiegen, vor allem bei
den Frauen. Die Gründe sind bekannt: starke gesundheitliche Einschränkungen
bei körperlich und seelisch besonders anstrengenden Berufen vor allem
[3][im Bau und in der Pflege].
## Migration statt späterem Renteneinstieg
Hinzu kommt eine Altersdiskriminierung bei Frauen, egal in welcher Branche.
Trotzdem liegt das durchschnittliche Renteneintrittsalter aktuell bei 64
Jahren. Was aber tun, wenn in den kommenden fünfzehn Jahren weitere 13
Millionen Arbeitskräfte fehlen? Schon jetzt klagt nahezu jede Branche über
einen Fach- und Arbeitskräftemangel. Eine noch längere Arbeitspflicht kann
aber nicht die Antwort sein.
Es sind ja schon vor allem die Boomer, die gewährleisten, dass vielerorts
medizinische und Sozialeinrichtungen, den Einzelhandel, Handwerksbetriebe
aufrechterhalten. Die ihr Leben lang vor allem Vollzeit gearbeitet haben –
und das auch richtig fanden. Was also tun? Eine [4][Vollzeitarbeitspflicht
für Jüngere] und Mütter selbst mit kleinen Kindern einführen? Den
gesetzlichen Urlaubsanspruch kürzen? Vätermonate streichen? Teilzeit,
Sabbaticals, Gleitzeit verbieten?
Gunkel richtet seinen Blick auf eine verstärkte Migration. Das ist der
richtige Ansatz – theoretisch – in der Realität aber leider nur selten
umgesetzt. Denn anstatt Migrant:innen leicht die Möglichkeit
einzuräumen, in den Berufen zu arbeiten, die sie in ihren Herkunftsländern
gelernt haben, sind die meist dazu verdammt, nichts zu tun. Viele
medizinische, pädagogische, technische Abschlüsse werden hier kaum
anerkannt, die Hürden für eine Einstellung sind hoch.
## Viel zu hohe Hürden
Bei vielen scheitert es an einer Arbeitserlaubnis. Mitarbeiter:innen
in Geflüchtetenunterkünften wissen schon nicht mehr, was sie den sehr
arbeitswilligen Frauen und Männern antworten sollen, wenn sie sagen: Ich
habe studiert, ich spreche neben meiner eigenen Sprache fließend Englisch
und Französisch, ich lerne gerade Deutsch, warum darf ich nicht arbeiten?
Ich möchte meinen [5][Lebensunterhalt selbst verdienen] und nicht auf
Sozialgelder angewiesen sein. Mittlerweile gibt es eine Reihe von Fällen,
in denen junge afrikanische Männer beispielsweise in Bäckereien arbeiten
und dort sogar eine Ausbildung machen, denen aber die Arbeitserlaubnis
entzogen wird, weil sie ihre Identität nicht zweifelsfrei nachweisen
können. Statt zu arbeiten, langweilen sie sich.
So ähnlich ergeht es selbst Menschen aus Europa. Im vergangenen Jahr ist
die Zahl der Beschäftigten aus einem der neuen EU-Mitgliedsländer im
Vergleich zum Vorjahr um 1,6 Prozent gestiegen. Gleichzeitig hat die Zahl
von [6][Hartz-IV-Empfänger:innen] aus diesen Ländern um 5,7 Prozent
zugenommen. Es mag sein, dass die Ausbildung mancher Geflüchteter nicht dem
deutschen Standard entspricht.
Was aber spricht dagegen, ihnen dabei zu helfen, diesen zu erlangen? Bevor
viele sich erneut auf die Schulbank setzen, würden sie gern irgendwo
arbeiten, auch ohne Ausbildung. Warum dürfen sie das nicht? Die Europäische
Kommission hat längst Vorschläge für eine geordnete Arbeitsmigration
vorgelegt: europaweite sogenannte Talentpools, Punktesysteme, Austausch
zwischen den Ländern.
Unabhängig davon wissen Arbeitgeber:innen selbst am besten, wen sie
brauchen und wen sie wollen. Warum erschwert man ihre Suche durch eine
überbordende Bürokratie? Und nebenbei bemerkt: Nichts fördert eine
Integration von Zugewanderten und Geflüchteten mehr als ein Job und
Selbstständigkeit in Zufluchtsland.
11 Nov 2022
## LINKS
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[5] /Gefluechteter-sucht-Arbeit-in-Bayern/!5868071
[6] /Hartz-IV/!t5008711
## AUTOREN
Simone Schmollack
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