# taz.de -- Debatte um neues Bürgergeld: Villenbesitzer auf Hartz IV | |
> Hinter dem Streit um den Anspruch auf das neue Bürgergeld für Vermögende | |
> verbergen sich Probleme des Wohnungsmarktes. Und des Renteneintritts. | |
Bild: Wohnkosten-Übernahme in den ersten zwei Jahren Hartz IV kann für die Be… | |
Das neueste Gespenst in der Sozialstaatsdebatte sieht etwas anders aus als | |
frühere Bilder von sogenannten Sozialschmarotzern. Diesmal geht es um das | |
„Bürgergeld“, das die bisherigen Leistungen im Sozialgesetzbuch II (Hartz | |
IV) abwandeln und erweitern soll. Stein des Anstoßes ist das Konstrukt | |
einer vierköpfigen Familie, die kein Einkommen hat, aber ein Vermögen von | |
150.000 Euro besitzt, in einem geräumigen Einfamilienhaus wohnt und | |
trotzdem die ersten zwei Jahre lang Anspruch auf das „Bürgergeld“ hat, | |
inklusive der Erstattung von Wohn- und Heizkosten. | |
Einen solchen Fall erlaubt der [1][Gesetzentwurf zum „Bürgergeld“] aus dem | |
Haus von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), der am kommenden Donnerstag | |
im Bundestag verabschiedet werden soll. Das sei „zutiefst unsozial“, | |
wetterte CDU-Generalsekretär Mario Czaja. Denn andere junge Familien etwa | |
arbeiteten hart und zahlten Steuern, „um das Bürgergeld zu finanzieren“. | |
Die Union fordert unter anderem Kappungen beim Schonvermögen und droht mit | |
Einspruch gegen das Gesetz im Bundesrat. | |
Dass die Union jetzt gewissermaßen in die Arbeitslosigkeit gefallene | |
Mittelschichts-Eltern gegen arbeitende und steuerzahlende | |
Mittelschichts-Paare ausspielt, zeigt, dass es nicht mehr so simpel ist mit | |
den Polarisierungen. Und mit der Frage, wer denn nun als BedürftigeR gelten | |
darf und wer nicht. | |
Der Heil’sche Gesetzentwurf sieht vor, dass in den ersten beiden Jahren des | |
Bürgergeldbezugs ein Schonvermögen von 60.000 Euro für einen | |
Alleinstehenden plus 30.000 Euro für jedes weitere Familienmitglied beim | |
Bezug der Sozialleistung nicht angerechnet werden. Selbstgenutztes | |
Wohneigentum wird bei diesem Schonvermögen außen vor gelassen. Mit dem | |
Bürgergeld werden die tatsächlichen Wohnkosten für zwei Jahre in voller | |
Höhe übernommen, allerdings bei Eigenheimen in der Regel ohne die | |
Tilgungsraten für Bankkredite. | |
## Streit um Karenzzeiten berührt reale Ängste | |
Diese Karenzzeit von zwei Jahren galt schon seit dem | |
Corona-Sozialschutzpaket, dies hat aber nicht zu einem Boom bei | |
Hartz-IV-Anträgen geführt. Davon abgesehen, besitzt die Hälfte der Menschen | |
hierzulande laut dem [2][sechsten Armuts- und Reichtumsbericht] noch nicht | |
einmal ein Vermögen von 22.000 Euro. Das Bild der vermögenden vierköpfigen | |
Familie auf Bürgergeld ist also unrealistisch. | |
Ist der Streit um die Karenzzeiten für Vermögen und Wohnkosten also ein | |
Popanz, der mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat? Nein, denn der Konflikt | |
berührt Ängste und Ressentiments in den Mittelschichtmilieus, die man ernst | |
nehmen muss. So kann die Übernahme der tatsächlichen Wohnkosten in den | |
ersten beiden Jahren des Hartz-IV-Bezuges einen großen Unterschied machen | |
für die Betroffenen. Bei [3][jedeR sechsten Hartz-IV-Empfänger:in] werden | |
die Wohnkosten vom Jobcenter nicht in voller Höhe finanziert, sondern | |
müssen teilweise vom Regelsatz bezahlt werden. Denn die Jobcenter setzen | |
die „Angemessenheitsgrenzen“ für Wohnkosten zu niedrig an für die harsche | |
Realität des Wohnungsmarktes. | |
Das „Bürgergeld“ würde hier Erleichterung schaffen. Allerdings beziehen | |
zwei Drittel der Hartz-IV-Empfänger:innen die Sozialleistung schon seit | |
zwei Jahren und länger. Sie fallen also aus der Karenzzeit heraus und | |
müssen die übersteigenden Wohnkosten ohnehin aus dem Regelsatz bezahlen, | |
was ein Skandal ist. | |
Die Kritik an angeblich zu hohen Schonvermögen muss man differenziert | |
betrachten. Dann nämlich, wenn das „Bürgergeld“, unter Betroffenen auch | |
„Bürgerhartz“ genannt, als eine Art Übergangslösung zur Rente fungiert. | |
Dies passiert, wenn Ältere ihren Job verlieren und, oft gesundheitlich | |
angeschlagen, auch keinen neuen mehr finden. Bis zur Rente mit 66 oder 67 | |
Jahren kann es dann aber noch einige Jahre dauern. | |
Ältere haben Anspruch auf bis zu zwei Jahre Arbeitslosengeld I, danach | |
kommt dann nur noch das „Bürgergeld“ als Grundsicherung bis zum | |
Rentenbeginn in Frage. Sind höhere Schonvermögen und höhere Wohnkosten | |
zumindest in den ersten zwei Jahren gestattet, ist ein Bezug des | |
Bürgergeldes möglich, ohne dass das vorher Ersparte weitgehend aufgebraucht | |
werden muss. Insgesamt ließen sich so mit dem Arbeitslosengeld I plus | |
Bürgergeld vier Jahre bis Rentenbeginn überbrücken. | |
Das Bürgergeld löst damit Probleme, die eigentlich den Rentengesetzen und | |
der Alterung entspringen. Selbstständige, die nicht gesetzlich | |
rentenversichert sind, haben übrigens laut Bürgergeld-Gesetzentwurf sogar | |
Anspruch auf dauerhaft höhere Schonvermögen, weil diese ja der | |
Altersvorsorge dienen sollen. Nach dem [4][neuesten Altersübergangsreport | |
der Universität Duisburg-Essen] beziehen etwa 9 Prozent der Älteren vor dem | |
Übergang in die Rente noch eine Zeit lang Hartz-IV-Leistungen. | |
Das Ersparte nicht aufbrauchen zu müssen, nur weil man jenseits der 60 vor | |
der Rente ein paar Jahre in ein „Arbeitslosigkeitsloch“ fällt, ist eine | |
Beruhigung für viele Angehörige gerade der unteren Mittelschichtmilieus. | |
Bei der Einführung der Hartz-Gesetze vor rund 20 Jahren wurden die | |
Absturzängste dieser Mittelschichtmilieus von der SPD eben nicht ernst | |
genommen. | |
Es gibt weitere Bedenken von rechts: Die Unionsparteien und die | |
Arbeitgeber rügen, dass der Abstand zwischen Bürgergeld und den | |
Arbeitslöhnen zu gering sei. Dabei wird leider viel Desinformation | |
verbreitet. Erwerbstätige haben wegen der Freibeträge immer mehr Einkommen | |
als Hartz-IV-Empfänger:innen, der Anspruch auf Kindergeld, womöglich auch | |
auf Wohngeld kommt obendrauf. Außerdem gilt ab 1. Oktober ein Mindestlohn | |
von 12 Euro, ein Lohnabstand ist also gewahrt. Das Bürgergeld mit einem | |
monatlichen Regelsatz von 502 Euro indirekt als zu üppig zu diffamieren ist | |
schlichtweg schändlich. | |
4 Nov 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Debatte-ums-Buergergeld-und-Schonvermoegen/!5891536 | |
[2] https://www.armuts-und-reichtumsbericht.de/DE/Bericht/Der-sechste-Bericht/D… | |
[3] https://www.katja-kipping.de/de/article/1965.miete-frisst-existenzminimum.h… | |
[4] https://duepublico2.uni-due.de/receive/duepublico_mods_00077050 | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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