# taz.de -- Wohnungsnot und Klimaschutz: Neubau ist keine Lösung | |
> Wer eine neue Bleibe sucht, ist oft verzweifelt. Trotzdem: Es gibt in | |
> Deutschland nicht zu wenig Wohnraum. Er ist nur falsch verteilt. | |
Bild: Neubau im Münchener Speckgürtel: Täglich gehen in Deutschland 60 Hekta… | |
Droht eine neue Wohnungsnot? Bauarbeiter sind knapp, die Kreditzinsen | |
steigen, und [1][Baustoffe werden teurer]. Wer jetzt eine Bleibe sucht, ist | |
oft verzweifelt. Dennoch kann es keine Lösung sein, permanent auf Neubau zu | |
setzen. Denn an Wohnflächen fehlt es nicht: Im Durchschnitt verfügt jeder | |
Bundesbürger über 47,4 Quadratmeter Wohnraum. Das ist sehr üppig, die | |
Flächen sind nur falsch verteilt. Gutsituierte wohnen großzügig, während | |
Arme oder junge Familien oft beengt leben. Dieses Problem ist altbekannt, | |
wurde aber nie gelöst, obwohl ständig weitere Wohnungen entstehen. Neubau | |
allein hilft offenbar nicht – ruiniert aber die Umwelt. | |
Jeder Bau benötigt Beton, der zudem unschlagbar praktisch ist: Er ist | |
billig, haltbar, feuerfest und rostfrei. Leider emittiert die Produktion | |
des Baustoffs sehr viel CO2, was sich nicht verhindern lässt. Denn Beton | |
basiert auf Zement, der wiederum aus Kalk entsteht – indem Kohlendioxid | |
abgespalten wird. | |
Theoretisch könnte Holz [2][eine ökologische Alternative sein], weil es | |
Kohlendioxid bindet. Aber leider gibt es viel zu wenig Holz, um jene 4,6 | |
Milliarden Tonnen Zement zu ersetzen, die weltweit jährlich verbaut werden. | |
Schon jetzt ist Holz so knapp, dass die Preise explodieren. Und das Angebot | |
dürfte weiter sinken: Die Waldflächen schrumpfen in einem alarmierenden | |
Tempo, weil sie in vielen Ländern zu Äckern werden. | |
Der Neubau muss enden, zumal Gebäude nicht nur Zement verbrauchen – sondern | |
auch Boden. Jeden Tag gehen in Deutschland 60 Hektar verloren, weil Straßen | |
asphaltiert oder Häuser errichtet werden. Freie Flächen werden aber | |
benötigt, um Grundwasser zu bilden und Kohlendioxid zu binden. In den Böden | |
und im Humus sind weltweit etwa 1.500 Milliarden Tonnen Kohlenstoff | |
gespeichert – dreimal mehr, als alle Wälder absorbieren. Werden Flächen | |
bebaut, ist der versiegelte Boden für immer verloren: Es dauert mindestens | |
100 Jahre, bis ein Zentimeter Humus neu entsteht. | |
Deutschland hat daher zugesagt, den Bodenverlust bis 2030 auf null zu | |
senken. So ist es in den UN-Nachhaltigkeitszielen vereinbart. Trotzdem geht | |
der Flächenfraß ungebremst weiter, und die politische Debatte gleitet | |
sofort ins Hysterische ab, wenn das Eigenheim in die Kritik gerät. Dies | |
mussten auch die Grünen im Wahlkampf 2021 erleben, als Fraktionschef Anton | |
Hofreiter in einem Interview feststellte: „Einparteienhäuser verbrauchen | |
viel Fläche, viele Baustoffe, viel Energie, sie sorgen für Zersiedelung und | |
damit auch für noch mehr Verkehr.“ [3][Prompt hagelte es Vorwürfe], dass | |
die Grünen eine „Verbotspartei“ seien und ein „gestörtes Verhältnis zum | |
Eigentum“ hätten. | |
Jeder Neubau ist Umweltfrevel. Dies gilt auch für Passivhäuser. Sie | |
verbrauchen zwar wenig Strom, aber es kostet eine Menge „grauer Energie“, | |
[4][diese angeblich grünen Häuser zu errichten]. Und zur Erinnerung: Wir | |
benötigen die Böden, damit Grundwasser entstehen und Kohlendioxid | |
gespeichert werden kann. Richtig wäre daher, Wohnraum gerecht zu verteilen. | |
Dieser Vorschlag ist radikal, aber eine andere Lösung bleibt nicht, wenn | |
der Flächenfraß enden soll. | |
12 Dec 2022 | |
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## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
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