# taz.de -- COP27 in Ägypten: Die Schuldigen zur Kasse | |
> Bei der bevorstehenden COP27 in Ägypten geht es um Klimagerechtigkeit. | |
> Die größten Leidtragenden sind oft die kleinsten Verursacher der | |
> Erderwärmung. | |
Bild: Ein Ägypter stapelt gepresste Plastikflaschen, die aus dem Nil gefischt … | |
Für eine Weltklimakonferenz ist Ägypten kein gewöhnlicher Austragungsort. | |
Das musste auch der indische Klimaaktivist Ajit Rajagopal feststellen, der | |
als Mitglied der Kampagne [1][March for our Planet] die verwegene Idee | |
hatte, von Kairo nach Scharm al-Scheich zu marschieren, zu dem Ort, an dem | |
die Klimakonferenz COP27 am nächsten Sonntag beginnen wird. | |
„On the Move for Climate Justice“ stand auf seinem Plakat, mit dem er sich | |
auf einer der Nilbrücken in Kairo noch ablichten ließ, bevor er sich diese | |
Woche auf den Weg vom Nil ans Rote Meer machte. Weit kam er nicht. Ein | |
Ausländer mit Plakat zieht naturgemäß die Aufmerksamkeit der ägyptischen | |
Sicherheitsbehörden auf sich. So endete sein Klimamarsch abrupt in einer | |
Polizeistation, kaum dass er das Kairoer Zentrum verlassen hatte. | |
Erst nach Stunden intensiver Befragung kam er wieder frei. Kein gutes Omen | |
für eine Konferenz, an der nicht nur über 90 Staats- und Regierungschefs | |
teilnehmen werden, sondern auch eine bunte Schar aus Klimaexperten und | |
Klimaaktivisten. Die wenigen in Ägypten verbliebenen politischen Aktivisten | |
hoffen, die Gelegenheit nutzen zu können, um auf die Menschenrechtslage im | |
Land aufmerksam zu machen. | |
Der prominenteste unter ihnen ist wohl [2][Alaa Abdel Fatah], der vor über | |
200 Tagen in einem ägyptischen Gefängnis einen Hungerstreik begann. Der | |
Blogger und Demokratieaktivist verbrachte das letzte Jahrzehnt hinter | |
Gittern – mit Ausnahme eines halben Jahres, als er 2019 freikam, um gleich | |
wieder wegen Verbreitung angeblich falscher Nachrichten zu fünf Jahren Haft | |
verurteilt zu werden. | |
## Hungerstreikender in Lebensgefahr | |
Am Montag hatte er angekündigt, überhaupt keine Kalorien mehr zu sich zu | |
nehmen, mit Beginn der Konferenz am Sonntag will er auch nichts mehr | |
trinken. Wenn er nicht freigelassen wird, wird er diese Weltklimakonferenz | |
kaum überleben. Aber nur über Menschenrechte und absurde Verhaftungen von | |
Klimaaktivisten zu sprechen, würde der kommenden COP27 in Scharm al-Scheich | |
nicht gerecht. | |
Es ist auch die Geografie, die die diesjährige COP zu etwas Besonderem | |
macht. Ägypten, gleichermaßen in Afrika als auch in der arabischen Welt | |
gelegen, verleiht der Konferenz die Klimaperspektive der Länder des | |
politischen Südens. Und die haben mit der bisherigen [3][globalen | |
Klimapolitik] vor allem ein Problem: Sie haben den Schlamassel mit ihren im | |
Weltmaßstab geringen CO2-Emissionen nicht verursacht, müssen aber zum | |
großen Teil die Folgen ausbaden. | |
Auf den bisherigen COPs wurden die mit Abstand meisten finanziellen Mittel | |
für die CO2-Reduktion vereinbart. Ein Ansatz, der den Ländern des Südens | |
und dem ägyptischen Vorsitz von COP27 zu kurz greift. Sie möchten den Fokus | |
auf zwei andere Bereiche lenken: zum einen auf einen Fonds für | |
Anpassungsmaßnahmen, mit denen die schon jetzt spürbaren Folgen des | |
Klimawandels eingedämmt werden sollen. | |
## Kostenintensive Schadensbekämpfung | |
Der Gastgeber Ägypten gibt beispielsweise viele Milliarden Dollar aus, um | |
seine Küste am Nildelta mit Dämmen und Wellenbrechern vor den Fluten des | |
steigenden Mittelmeers zu bewahren. Dazu muss eine Reform der | |
Landwirtschaft finanziert werden, die dringend effektivere und moderne | |
Bewässerungsmethoden braucht, um ihre Produktivität bei steigender Hitze | |
und je nach Klimamodellen mit bis zu 25 Prozent weniger Nilwasser in | |
Zukunft zu erhalten. Ägypten hat diesen Anpassungsmaßnahmen ein Preisschild | |
in Höhe von 8,3 Milliarden Dollar verliehen. | |
Und das sind nur die Kosten für ein einziges afrikanisches Land. Muhammad | |
Nasr, der Verhandlungschef des ägyptischen COP27-Vorsitzes, spricht davon, | |
dass afrikanische Länder inzwischen 5 Prozent ihres Bruttosozialproduktes | |
für Klima-Anpassungsmaßnahmen ausgeben. Sie fühlen sich von den | |
Hauptverursachern des Klimawandels, den Industriestaaten, vollkommen | |
alleingelassen. | |
Auch bei einem zweiten Fonds, dem für „Verluste und Schäden“, die durch d… | |
Klimawandel verursacht werden, geht es den Ländern des politischen Südens | |
darum, dass er von den Verursachern mit ausreichend Geld befüllt wird. Wer | |
zahlt die Zeche für die klimabedingten Schäden, lautet die Frage, die in | |
Scharm al-Scheich beantwortet werden sollte. Ginge es nach Ägypten und den | |
Ländern des Südens, würde dafür ein globaler Fonds angelegt werden. | |
Das klingt alles nach dem „Verursacherprinzip“ eingängig und logisch. Aber | |
die Industrieländer haben bisher kaum finanzielle Zusagen gemacht und | |
versuchen, die Entwicklungsländer mit dem Versprechen abzuspeisen, nun | |
einen Dialog zu beginnen. Mit dem folgenschweren [4][Ukraine-Krieg], mit | |
Energie- und Nahrungsmittelkrise steht die COP27 unter einem denkbar | |
schlechten finanziellen Stern. Die Aufgaben sind riesig, die Kassen sind | |
leer. | |
## Im Kern geht es um Klimagerechtigkeit | |
Das Problem ist, dass der Klimawandel und dessen Folgen nicht darauf | |
warten, bis diese anderen Krisen überwunden sind. Es ist eine Frage der | |
Prioritäten. In der [5][Covidpandemie] zögerten die reichen Länder nicht, | |
innerhalb von Monaten Billionen Dollar zu mobilisieren. Der Klimawandel ist | |
für die Menschheit nicht minder gefährlich. | |
Im Kern dreht es sich in Scharm al-Scheich um Klimagerechtigkeit. Die | |
100-Millionen-Bevölkerung Ägyptens beispielsweise ist gerade einmal für 0,6 | |
Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich, aber das Nilland trägt, | |
wie viele Entwicklungsländer, ein überproportionales Risiko, wenn es um die | |
Folgen des Klimawandels geht. | |
Vielleicht hätten die ägyptischen Sicherheitsbehörden den indischen | |
Klimaaktivisten [6][Ajit Rajagopal] nicht verhaften sollen, denn was stand | |
gleich wieder auf seinem suspekten Plakat geschrieben: „On the Move for | |
Climate Justice“. Sie hätten ihn mit viel Publicity mit einer Sänfte nach | |
Scharm al-Scheich tragen sollen. Das wäre besser gewesen als ihr üblicher | |
„Erst-einmal-wegsperren“-Reflex. Der Gastgeber der Weltklimakonferenz war | |
nicht dazu in der Lage. | |
3 Nov 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.marchforourplanet.org/ | |
[2] https://www.aljazeera.com/news/2022/11/1/dead-or-free-alaa-abdel-fattah-esc… | |
[3] /Schwerpunkt-Klimawandel/!t5008262 | |
[4] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150 | |
[5] /Schwerpunkt-Coronavirus/!t5660746 | |
[6] https://www.spiegel.de/ausland/aegypten-sicherheitskraefte-nehmen-klimaakti… | |
## AUTOREN | |
Karim El-Gawhary | |
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