# taz.de -- Abschluss der COP25: Eine Klimakonferenz zum Davonlaufen | |
> Die USA, Saudi-Arabien, Australien und Brasilien verhindern auf der COP25 | |
> in Madrid jeden Fortschritt. Die wichtigste Frage wird vertagt. | |
Bild: Eine Aktivistin von Extinction Rebellion protestiert am Randes des UN-Kli… | |
MADRID taz | Es ist tatsächlich fünf Minuten nach zwölf, als Axel | |
Michaelowa weiß: Zumindest war nicht alles umsonst. Da lässt die | |
chilenische Umweltministerin Carolina Schmidt am Sonntagmittag auf der | |
COP25 in Madrid den Hammer fallen. Beschlossen wird das Dokument | |
„FCCC/PA/CMA/2019L9“. Michaelowa sitzt ganz hinten rechts im großen | |
Plenarsaal „Baker“, seine Krawatte ist verrutscht, das Hemd ein bisschen | |
zerknittert, er hat die ganze Nacht nicht geschlafen. Um ihn herum im | |
Abschlussplenum der Konferenz gähnen die Besucher. Der schlanke Experte für | |
Kohlenstoffmärkte mit den dunklen Haaren und der schmalen Brille, der in | |
Madrid für die Delegation von Marokko gearbeitet hat, atmet auf: „Das ist | |
eine bessere Basis als in Kattowitz.“ | |
Das allerdings heißt nicht viel. Denn bei der COP vor einem Jahr konnten | |
sich die UN-Staaten nicht einigen, wie sie den globalen Handel mit | |
CO2-Emissionen in Zukunft einheitlich regeln wollen. Das schaffen sie zwar | |
auch in Madrid nicht: 41 Stunden nach dem ursprünglich geplanten Ende der | |
Konferenz ringen sich die Delegierten von knapp 200 Staaten nur dazu durch, | |
das ungelöste Thema ins nächste Jahr zu schieben. Aber nun, sagen die | |
Experten, können sie mit Texten arbeiten, von denen manche sogar ganz | |
vernünftig sind. Irgendwie ein Fortschritt. In Millimetern. | |
Michaelowa ist Professor für internationale Klimapolitik an der Universität | |
Zürich und seit 20 Jahren Experte für CO2-Märkte. Am Revers seines blauen | |
Anzugs trägt er einen orangefarbenen Sticker: „All I want for Christmas is | |
Article 6“, wie die Kohlenstoffmärkte im UN-Jargon heißen. Dieses Geschenk | |
hat ihm die COP nicht gemacht, obwohl das eigentlich das erklärte Ziel war. | |
Es sollten Regeln gesetzt werden, wie Staaten und Unternehmen, die zu viel | |
CO2 ausstoßen, von anderen Ländern solche Zertifikate kaufen können. Im | |
Idealfall beschleunigt das den Klimaschutz, bringt Geld und Technik in arme | |
Länder und verschafft den Reichen Zeit, um klimaneutral zu werden. Wenn es | |
schiefläuft, kaufen sich die Industrieländer über die Kohlenstoffmärkte von | |
ihren Verpflichtungen frei. Um das zu verhindern, sollten „robuste Regeln“ | |
her, forderte die „High Ambition Coalition“ aus kleinen, armen Ländern wie | |
Bhutan und Costa Rica zusammen mit der EU und der Schweiz. „Lieber hier | |
keine Regeln zu Artikel 6 beschließen als schlechte“, war die Marschlinie. | |
## Der „Grüne Deal“ der Europäer kommt viel zu spät | |
So kommt es dann auch. Die wichtigste Frage der COP wird vertagt. Zu groß | |
ist das Bedürfnis von Brasilien, sich Emissionen doppelt anzurechnen, zu | |
sehr drängen die USA, China und Australien darauf, mit alten | |
CO2-Zertifikaten das neue System zu verwässern. Die EU, deren neuer | |
Klimakommissar Frans Timmermans erklärte, es gebe „keine Chance, wirklich | |
keine Chance“, dass Europa Schlupflöcher akzeptiere, knickt nicht ein. Mehr | |
aber auch nicht. Der „Grüne Deal“ der Europäer kommt am Ende der Konferenz | |
zu spät, um Schwung zu geben. | |
Deshalb sind die Ergebnisse von Madrid sehr bescheiden (siehe Spalte, | |
links). Für „Schäden und Verluste“, die die armen Länder im Klimawandel | |
erleiden, soll es möglicherweise ein bisschen mehr Geld geben, ebenso wie | |
für den UN-Fonds zur Anpassung an den Klimawandel; eine zweijährige | |
Untersuchung soll zeigen, wie die Industrieländer ihre Klimaschutzziele und | |
ihre Finanzversprechen verfehlen; die Staaten fordern sich selbst dazu auf, | |
2020 ihre Klimapläne zu verschärfen – was sie ohnehin im Pariser Abkommen | |
zugesagt haben. Es soll weiter geredet werden über Ozeane, Landnutzung und | |
Geschlechterfragen. | |
Das alles fand auf eine Konferenz statt, die für ihr Chaos in Erinnerung | |
bleibt: Eigentlich sollte sie in Brasilien stattfinden, wurde vor einem | |
Jahr nach Chile und dann vor eineinhalb Monaten nach Madrid verlegt. | |
Spanien organisierte die Konferenz exzellent, die chilenische | |
Präsidentschaft war teilweise überfordert. Carolina Schmidt setzte | |
Verhandlungsgruppen ein, die nicht alle Länder vertraten, ein böser Fehler. | |
Sie präsentierte am Freitagmorgen einen Abschlusstext, der bei vielen | |
Delegierten Entsetzen auslöste – ein echter Killer. Und sie überzog die | |
Zeit um fast zwei Tage, was vor allem arme Staaten mit kleinen Delegationen | |
benachteiligt, die früh abreisen mussten. „Die großen Verschmutzerländer | |
machen das mit Absicht“, schimpfte Saleemul Huq vom ICCCAD-Thinktank in | |
Bangladesch, „wenn entschieden wird, sind die Armen nicht mehr am Tisch.“ | |
## So viel Druck von außen wie selten | |
So sieht es dann am Sonntagmorgen im Plenum auch aus: Die Bänke der | |
Delegationen haben große Lücken. Würde jemand beantragen, die | |
Beschlussfähigkeit festzustellen, wäre die Konferenz wahrscheinlich schnell | |
zu Ende. Carolina Schmidt ist so übermüdet, dass sie mehrfach „Century“ | |
statt „Session“ sagt. Und dann fällt auch noch die Webseite des | |
Klimasekretariats aus. Delegierte schimpfen im Plenum, weil sie nicht | |
wissen, über welche Texte sie gerade abgestimmt haben. | |
Auf die COP in Madrid wirkte so viel Druck von außen wie selten: die | |
Wissenschaft warnt, die Wälder brennen, das Eis schmilzt. Hunderttausende | |
von jungen DemonstrantInnen zeigten ihre Ungeduld, auch auf der COP wurden | |
Greta Thunberg und ihre MitstreiterInnen beklatscht und letztlich | |
ignoriert. Viel größer war der Einfluss der Kohlenstoff-Supermächte: Die | |
USA, Saudi-Arabien, Australien und, jetzt neu, Brasilien, bremsten jeden | |
Fortschritt. Unter den UN-Staaten fehlte auf der COP ein Klima-Champion, | |
der andere mitzieht. | |
Die Reaktionen von Umweltverbänden waren entsprechend. „Die Konferenz ist | |
ein gruseliger Fehlstart in das für die Umsetzung des Pariser | |
Klimaabkommens so entscheidende Jahr 2020“, schrieb der WWF. Die deutsche | |
Klimaaktivistin Luisa Neubauer fragte auf Twitter: „Wie viele Millionen | |
Menschen müssen auf die Straßen, bevor ihr endlich handelt?“ Jennifer | |
Morgan, Chefin von Greenpeace International, nannte das Ergebnis der | |
Konferenz „völlig inakzeptabel“. Die Regierungen müssten sich völlig neu | |
aufstellen. | |
## Viel Hoffnung ruht auf dem nächsten Gastgeber | |
Rixa Schwarz, Co-Teamleiterin für internationale Klimapolitik bei | |
Germanwatch, zeigte sich [1][im taz-Interview] erleichtert, dass es keine | |
falschen Kompromisse gegeben habe. Zwar seien wichtige Entscheidungen | |
vertagt, allen voran der internationale Handel mit | |
Klimaschutz-Gutschriften, sagte sie: „Aber darüber sind wir sogar froh. | |
Weil es viel zu viele Schlupflöcher im Verhandlungstext gab“, ergänzt sie. | |
Schwarz hob hervor, wie entscheidend die Rolle der EU nun sei. Es sei | |
wichtig, dass sich die EU-Staaten an ihren Zeitplan hielten und bis Sommer | |
nächsten Jahres ihre Klimaschutzpläne bis 2030 konkretisierten. „Dann kann | |
die EU ein Zugpferd für andere große Länder werden, insbesondere für China | |
und Indien“, so Schwarz. | |
Viel Hoffnung ruht bei den Klimadiplomaten, die Berufsoptimisten sind, auf | |
dem nächsten Gastgeber: Großbritannien, seit Langem Vorreiter beim | |
Klimaschutz und mit starkem Interesse an Kohlenstoffmärkten, könne die COP | |
2020 in Glasgow zu einem deutlich kleineren Misserfolg machen, hieß es auf | |
den Fluren. | |
Auch Axel Michaelowa gibt die Hoffnung nicht auf. Er musste noch vor Ende | |
der Konferenz zum Flughafen: Sechs Stunden bis Saudi-Arabien, um dort über | |
CO2-Märkte zu referieren. Den Sticker mit „Artikel 6“ als | |
Weihnachtsgeschenk, sagt er, „den werde ich nächstes Jahr recyceln“. | |
15 Dec 2019 | |
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[1] /Germanwatch-zu-Klimagipfel-Ergebnissen/!5650566 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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