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# taz.de -- SPD-Energieexpertin über AKW-Weiterbetrieb: „Atomenergie verdrä…
> Der Kanzler hat angeordnet, drei AKWs bis April weiterlaufen zu lassen.
> SPD-Energieexpertin Scheer hatte zuvor davor gewarnt. Das bremse die
> Energiewende aus.
Bild: Atomkraftwerke länger laufen zu lassen, bremse die Energiewende aus, mei…
taz: Frau Scheer, die FDP hat argumentiert, um eine sichere Stromversorgung
zu gewährleisten, sei es nötig, alle drei noch am Netz befindlichen
Atomkraftwerke weiter zu betreiben. Was spricht dagegen?
Nina Scheer: Hier werden zwei Dinge kombiniert: Einerseits die Sorge um
eine sichere Energieversorgung und zweitens die Angst vor galoppierenden
Energiepreisen. Doch wer als Antwort auf eine fossile Energiepreiskrise die
Nutzung oder gar den Ausbau der Atomenergie zu vorschlägt hat, der streut
den Leuten Sand in die Augen.
Warum?
Atomenergie ist teuer und [1][eine Hochrisikotechnologie]. Sie kann die
Verstromung von Gas nur sehr begrenzt ersetzen und verdrängt erneuerbare
Energien im Netz. Mein Eindruck ist, dass wir uns in den letzten Wochen
teilweise sehr stark von den Fakten entfernt haben. Ich weiß zumindest
nicht, auf welche Fakten sich die Annahme stützt, mehr Atomenergie zu
brauchen oder mit Atomenergie ein Mehr an Energiesicherheit gewinnen zu
wollen. Ein Blick nach Frankreich zeigt, dass diese Rechnung nicht aufgeht.
In Frankreich wurde die Hälfte der Atomkraftwerke [2][wegen Wassermangels
runtergefahren].
Ja, und auch weil Risse entdeckt wurden. Der World Nuclear Report, der
gerade neu erschienen ist, zeigt zudem, dass weltweit kein Atomkraftwerk
krisenresistent gebaut ist.
Aber jetzt werden in Deutschland Kohlekraftwerke wieder hochgefahren und
Wirtschaftsminister Robert Habeck denkt sogar über Ölkraftwerksschiffe
nach, richtige CO2-Schleudern. [3][Fürs Klima] sind das keine guten
Alternativen, oder?
Kohlekraftwerke sind für Reserveleistungen technisch besser einsetzbar als
Atomkraftwerke. Und auch die Annahme, dass Gaskraftwerke jetzt entsprechend
durch Atomenergie ersetzt werden könnten, ist falsch.
Weshalb?
Dies ginge nur bei rein Strom liefernden Kraftwerken, hingegen nicht bei
Wärme gewinnenden oder Kraft-Wärme-Kopplungen.
Das Verhältnis von eingespeistem und nachgefragtem Strom muss immer gleich
hoch sein, damit die Frequenz im Netz stabil bei 50 Hertz bleibt, richtig.
Die Atomkraft blockiert also einen Teil der Leitungen?
Atomkraftwerke liefern zwar kontinuierlich Strom. Das kann aber auch zu
einem Teil des Problems werden, wenn dies Netzkapazitäten bindet. Bereits
heute werden erneuerbare Energien zu einem erheblichen Teil abgeregelt,
weil die Netze nicht mehr so viel Energie aufnehmen können. Da erneuerbare
Energien fluktuierende Energien sind, ist dies bei Strom-, aber etwa auch
Sonnenspitzen der Fall. Selbst Photovoltaikanlagen müssen nun teilweise
schon zwangsabgeschaltet werden. Denn das oberste Gebot ist die
Netzsicherheit, sie gibt sogar der Atomenergie in dem Moment, wo sie
gefährdet ist, faktisch Vorrang vor erneuerbaren Energien, obwohl der
grundsätzliche Vorrang eigentlich andersherum ist. Je mehr Atomkraftwerke
wir in Deutschland also am Netz haben, desto weniger können wir den Anteil
der Erneuerbaren steigern, ohne zugleich in Kauf zu nehmen, dass wir immer
mehr von den erneuerbaren Energien abregeln müssen.
Dann muss eben der Ausbau der Netze parallel erfolgen.
Die Lösung lautet, dass wir auch den systemischen Umstieg auf erneuerbare
Energien brauchen. Denn so viel Netzausbau können wir gar nicht leisten,
dass wir beides zusätzlich auffangen könnten. Wer heute neue Brennelemente
für AKWs fordert, der sagt zugleich, dass wir den Ausbau und die Nutzung
der erneuerbaren Energien, um die Mengen zu produzieren, die wir bräuchten,
nicht wollen. Die Strommengen, die uns die Atomenergie heute liefert,
können wir auch durch die verstärkte Nutzung und den Ausbau erneuerbarer
Energien gewinnen – in Kombination mit Speichern, Sektorkopplung und
Netzmanagement.
Aber der Ausbau der Erneuerbaren kostet ja auch Zeit, kurzfristig steht
dieser Strom nicht zur Verfügung.
Es gibt auch kurzfristige Maßnahmen. Erst Ende September haben wir mit der
dritten Novelle des Energiesicherungsgesetzes verstärkte
Auslastungsmöglichkeiten von Bioenergie, Wind- und Solar beschlossen. So
müssen etwa Windenergieanlagen nun für die nächsten Monate in der Nacht
weniger gedrosselt werden, als bisher aus Lärmschutzgründen vorgeschrieben.
Wobei der Grenzwert für Straßenverkehr nach wie vor höher liegt. Da gäbe es
auch noch weiteres Potenzial. Und auch für Bioenergie haben wir bis Ende
2024 Begrenzungen aufgehoben. So kann nach Branchenangaben ungefähr 7,7 TWh
Strom beziehungsweise circa 19 TWh mehr Gas gewonnen werden.
Aber untergräbt das nicht die Akzeptanz von Windkraft?
Meine Beobachtung ist, dass diese Frage dort, wo erneuerbare Energien am
stärksten genutzt werden, am wenigsten gestellt wird. Die Leute schütteln
eher den Kopf, wenn Windkraftanlagen gebaut werden, aber dann stillstehen.
Wir können noch mehr tun, damit die Menschen vor Ort den Mehrwert der
Energiewende unmittelbar spüren – etwa, indem wir die Kommunen noch stärker
beteiligen und die Hemmnisse weiter beseitigen.
Erreichen wir eigentlich noch die Klimaziele? Bis 2030 soll 80 Prozent des
Stroms aus erneuerbaren Energien stammen, heißt es im Koalitionsvertrag.
Ja, das ist erreichbar. Es muss nur alles noch einfacher und
selbstverständlicher werden. Die Schnelligkeit, mit der wir jetzt
Flüssiggas-Terminals zur Diversifizierung der Gasimporte bauen, muss auch
beim Ausbau der Erneuerbaren gelingen. Dafür brauchen wir übrigens auch die
Sicherung von Produktionsstandorten in Deutschland und Europa. Es kann
nicht sein, dass wir hier eine so hohe Importabhängigkeit haben – für
Solarmodule aktuell über 90 Prozent von China.
Woran liegt das?
Es ist leichter, im Garten einen Gartenzwerg aufzustellen als eine
Photovoltaikanlage. Hier haben wir schon Erleichterungen geschaffen;
weitere müssen aber folgen, auch auf Länderseite. Letztlich sind sowohl die
Sicherung des Ausbaus erneuerbarer Energien als auch ausreichende Netze
eine Frage von Daseinsvorsorge, für die im Zweifel auch der Staat eine
Garantenstellung übernimmt muss.
Also staatliche Netzbetreiber und Versorger wie in Frankreich?
Ich fände es sinnvoll, wenn für die Daseinsvorsorge wichtige Infrastruktur
in staatlicher Hand ist und der Eintritt des Staates sowohl beim Netzausbau
als auch dem Ausbau erneuerbarer Energien eine reale Option ist, wenn die
Energiesicherheit oder das Erreichen unserer Ziele das gebieten.
17 Oct 2022
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## AUTOREN
Anna Lehmann
Anja Krüger
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