# taz.de -- Parteitag am Wochenende: Grüne diskutieren wieder | |
> Alle nur pragmatisch? Nicht ganz: Auf dem Parteitag werden die | |
> Delegierten auch über Prinzipien reden, unter anderem bei der Atomkraft. | |
Bild: Hat bei der Diskussion um AKW-Laufzeiten viel Expertise: Grünen-Politike… | |
BERLIN taz | Gleich acht Änderungsanträge von Jürgen Trittin sind am | |
Donnerstag online gegangen. Alle acht beziehen sich auf einen Antrag zur | |
„Sicheren Energieversorgung für den Winter“, den der Bundesvorstand der | |
Grünen für den Parteitag am Wochenende vorgeschlagen hat. Genauer: auf | |
einen möglichen Weiterbetrieb von Isar 2 und Neckarwestheim 2, den beiden | |
AKWs im Süden. Ex-Umweltminister Trittin und seine | |
Mitunterzeichner*innen stimmen darin einer befristeten Einsatzreserve | |
der beiden Kraftwerke für den Notfall zu. | |
Man darf davon ausgehen, dass sie dies zähneknirschend tun. Aber sie wollen | |
[1][den Spielraum für ihren Wirtschaftsminister Robert Habeck], der FDP | |
noch weiteren Zugeständnisse zu machen, maximal verkleinern. | |
Die Einsatzreserve ist eines der Themen, die auf dem dreitägigen Parteitag | |
in Bonn kontrovers debattiert werden dürften. Auf der vollgepackten | |
Tagesordnung mit über 300 Anträgen stehen aber auch andere Themen, die es | |
in sich haben: Es geht etwa um Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien und die | |
Lieferung schwerer Waffen in [2][die Ukraine], auch um eine Bewertung des | |
Sondervermögens Bundeswehr und den Kohlekompromiss, den Habeck mit RWE | |
ausgehandelt hat und der das Abbaggern des Dorfes Lützerath vorsieht. | |
Zum ersten Mal seit dem Regierungsantritt kommen die Grünen zu einem | |
solchen inhaltlichen Parteitag zusammen. In Bonn wird sich zeigen, wie weit | |
der vielbeschworene Pragmatismus der Partei wirklich reicht und wo ihre | |
inhaltliche Flexibilität doch noch Grenzen hat. Für die Grünen ist das eine | |
Gratwanderung. „Die Partei braucht Debatten“, sagt etwa Emily Büning, die | |
Bundesgeschäftsführerin der Partei. Sie betont aber auch das große | |
Verantwortungsgefühl angesichts der aktuellen Krisen. Und natürlich soll | |
der Parteitag die eigenen Minister*innen nicht demontieren. | |
## Die FDP im Nacken | |
Bei der Einsatzreserve ist die Lage kompliziert. Nach ihrer [3][Niederlage | |
bei der Landtagswahl in Niedersachsen] will die FDP einem bereits | |
gefundenen Kompromiss nicht mehr zustimmen, sondern Laufzeitverlängerungen | |
aller drei verbleibenden AKWs durchsetzen, samt des Kaufs neuer Brennstäbe, | |
was für die Grünen ein No Go ist. Sollte es bis Freitagabend, wenn das | |
Thema in Bonn auf der Tagesordnung steht, noch keine Übereinkunft geben, | |
stimmen die Grünen also nicht über einen geeinten Vorschlag der Ampel ab, | |
sondern legen ihre eigene Kriterien fest. | |
Die Regierung habe vor der Niedersachsen-Wahl mehr aus | |
politisch-symbolischen als aus sachlichen Gründen eine Verabredung | |
getroffen, sagt dazu Trittin der taz. Er hält die Notwendigkeit des | |
Streckbetriebs nicht für erwiesen. „Wir wollen sicherstellen, dass die | |
Bedingungen dafür eingehalten werden: dass in dem Gesetz klare, | |
überprüfbare Kriterien für den Weiterbetrieb festgesetzt werden, dass | |
dieser am 15.4. endgültig endet und die beiden AKWs dann rückgebaut werden | |
– genauso wie sich die Betreiber gegenüber der Bundesregierung verpflichtet | |
haben.“ | |
Im Antrag des Bundesvorstands ist dies allgemeiner formuliert, andere | |
Anträge lehnen die Einsatzreserve ab und fordern – wie ursprünglich | |
vorgesehen – das Aus für alle AKWs zum Ende des Jahres. Sein Antrag, sagt | |
Trittin, sei der Versuch, „diejenigen von uns, die den Reservebetrieb | |
ablehnen wollen und die, die zustimmen wollen, weil sie unseren Ministerien | |
nicht in den Rücken fallen wollen, zusammenzuführen.“ | |
In den Anträgen heißt es auch, dass die Einsatznotwendigkeit von | |
Neckarwestheim im Januar 2023 noch einmal im Bundestag überprüft werden | |
muss. | |
## Kriegt der Bundestag mehr als ein Vetorecht? | |
„Der Einsatz der Reserve ist nicht voraussetzungslos“, heißt es zudem. „… | |
kann im Winter 2022/23 und nur dann eingesetzt werden, wenn die | |
Bundesregierung mit Zustimmung des Bundestages feststellt, dass die | |
Voraussetzungen eines Krisenszenarios wie in den Bedingungen des | |
Stresstests beschrieben vorliegen und auch unter Ausnutzung anderer | |
Maßnahmen eine kritische Situation weiterhin droht.“ | |
Das legt die Deutung nahe, dass der Bundestag nicht nur dem Gesetz, sondern | |
auch abschließend dem Einsatz der Kraftwerke aktiv zustimmen soll. Habeck | |
dagegen will sie per Verordnung zurück ans Netz bringen. Der Bundestag | |
hätte dann nur ein Veto-Recht, müsste also aktiv widersprechen. | |
„Dass der Bundestag abschließend über den Einsatz der Reserve für die zwei | |
AKW aktiv zustimmen muss, sollte eine demokratische Selbstverständlichkeit | |
sein“, sagt dazu der Haushaltspolitiker Sven-Christian Kindler, der | |
Trittins Anträge unterstützt. Ohnehin sei Bedeutung der beiden | |
Atomkraftwerke für die Netzstabilität gering. „Wenn die FDP die | |
Einsatzreserve für die zwei AKW im Süden nicht will, gilt die Rechtslage | |
mit der Abschaltung zum 31. Dezember diesen Jahres.“ | |
## Grüne Jugend will Lützerath retten | |
Während in der AKW-Frage mit Jürgen Trittin ein Grünen-Veteran in die | |
Debatte gehen wird, rebelliert in einer anderen Energiefrage vornehmlich | |
die junge Generation: Mehrere Anträge wenden sich gegen die Einigung, die | |
Habeck und NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur [4][in der vergangenen | |
Woche mit RWE getroffen haben]. Das Energieunternehmen darf demnach die | |
Braunkohle unter dem Dorf Lützerath im Rheinischen Revier abbaggern. | |
Anträge gegen den Deal kommen unter anderem von der Grünen Jugend sowie der | |
Bundestagsabgeordneten und Klimaaktivistin Kathrin Henneberger. Einen | |
Antrag, der den Plan rechtfertigt, haben dagegen NRW-Grüne um | |
Landesumweltminister Oliver Krischer eingereicht. | |
Während in vielen anderen Themenfeldern noch Verhandlungen zwischen | |
Antragsteller*innen und Bundesvorstand laufen und Kompromisse | |
formuliert werden, um offen ausgetragene Konflikte in Bonn zu verhindern, | |
läuft es hier ziemlich sicher auf eine Abstimmung zwischen beiden | |
Positionen hinaus. | |
„Vom Parteitag erwarten wir ein deutliches Zeichen, dass wir unseren | |
Einsatz für Lützerath nicht aufgeben und genau das haben wir beantragt“, | |
sagt Timon Dzienus, Bundessprecher der Grünen Jugend. Einerseits dürften | |
durch „die Zerstörerung rund um Lützerath“ keine Fakten geschaffen werden. | |
Andererseits müsse bei Stromeinsparungen und dem Ausbau der Erneuerbaren | |
mehr passieren. | |
Ob die Position mehrheitsfähig ist? Dagegen spricht, dass es jenseits | |
junger Grüner in der Partei keinen riesigen Aufschrei über den RWE-Deal | |
gab. Manchmal sind Parteitagsentscheidungen aber selbst bei den Grünen noch | |
unberechenbar. Dazu kommt, dass vor der Abstimmung am Sonntag | |
voraussichtlich Luisa Neubauer, Grünen-Mitglied und Organisatorin bei | |
Fridays for Future, als Gastsprecherin aus der Klimabewegung auftreten | |
wird. Zumindest die Aufmerksamkeit der Delegierten wird ihr sicher sein. | |
## Kompromiss zu Rüstungsexporten? | |
Möglich schien eine Einigung am Donnerstag dagegen in der Diskussion über | |
Rüstungsexporte an Beteiligte des Jemenkriegs. In der vergangenen Woche war | |
bekanntgeworden, dass der Bundessicherheitsrat Lieferungen an Saudi-Arabien | |
und dessen Alliierte genehmigt hat. Unter anderem geht es um Ausrüstung für | |
Kampfjets. | |
Im Koalitionsvertrag waren solche Genehmigungen eigentlich ausgeschlossen; | |
gegenüber der grünen Bundestagsfraktion rechtfertigten Kabinettsmitglieder | |
die Entscheidungen mit realpolitischen Zwängen: An den Rüstungsprojekten | |
sind Unternehmen aus mehreren europäischen Ländern beteiligt. Die | |
Partnerstaaten seien für die Lieferungen gewesen und man habe sie nicht vor | |
den Kopf stoßen wollen. | |
Überzeugt hat das viele Grüne nicht, auch weil die konkrete | |
Einzelfallentscheidung wegweisend sein könnte für die Diskussion um ein | |
neues Rüstungsexportgesetz. Darin will die Ampel neue generelle Regeln | |
erlassen. Unter anderem aus der SPD gibt es Forderungen, sie für gemeinsame | |
europäische Projekte nicht zu streng formulieren. | |
Die eigentliche Positionen der Grünen noch mal klar zu formulieren, ist das | |
Ziel eines Antrags des Bundestagsabgeordneten Max Lucks, der | |
flügelübergreifend breit unterstützt wird. Darin wird die Bundesregierung | |
aufgefordert, „zu einer vollständigen Umsetzung des Waffenembargos für | |
Saudi-Arabien zurückzukehren“. | |
Der Bundesvorstand würde den Antrag dem Vernehmen nach gerne entschärfen | |
und Passagen herausnehmen, die zu sehr als Kritik an den eigenen | |
Regierungsmitgliedern gelesen werden könnten. Denkbar ist ein Kompromiss, | |
der nach vorne gerichtet dennoch klare Erwartungen an die Bundesregierung | |
im Allgemeinen formuliert. | |
## Verhandlungen übers Geld | |
Gespräche liefen am Donnerstag ebenfalls noch zu Anträgen im Bereich | |
Sozialpolitik und Umverteilung. Im Leitantrag des Bundesvorstands werden in | |
erster Linie die Maßnahmen aus den bisherigen Entlastungspaketen der Ampel | |
sowie die geplante Gaspreisbremse gelobt. Mehrere Antragsteller*innen | |
wollen, dass die Partei darüberhinaus für konkrete weitere Maßnahmen | |
eintritt. | |
Eine flügelübergreifende Gruppe um Bundestagsvizepräsidentin [5][Katrin | |
Göring-Eckardt fordert beispielsweise eine einmalige Vermögensabgabe]. | |
Andere Anträge fordern, bei der Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze über die | |
bisher beschlossenen 50 Euro hinauszugehen. 100 Euro mehr will etwa die | |
Europa-Abgeordnete Katrin Langensiepen. | |
Der Bundesvorstand würde solche konkreten Formulierungen gerne vermeiden | |
und setzt sich in Verhandlungen mit Antragssteller*innen für weniger | |
verbindliche Forderungen ein. An manchen Stellen könnte er damit Erfolg | |
haben, an anderen sieht es nicht nach einer Einigung aus. Gut möglich also, | |
dass es wie bei der Kohle auch in sozialpolitischen Fragen zu offenen | |
Abstimmungen kommen wird. | |
13 Oct 2022 | |
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## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
Tobias Schulze | |
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