# taz.de -- Reservebetrieb von Atomkraftwerken: Etliche Grüne für Habeck-Brem… | |
> Ist der Streckbetrieb wirklich nötig? Nach dem Vorpreschen des | |
> Wirtschaftsministers fordern Abgeordnete ein Mitspracherecht und | |
> gesetzliche Kriterien. | |
Bild: Habeck macht’s möglich: Isar 2 wird wohl noch länger als geplant Atom… | |
BERLIN taz | Ginge es nur nach Wirtschaftsminister Robert Habeck, wäre der | |
Streckbetrieb für die Atomkraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim so gut wie | |
durch. „Stand jetzt“ halte er den Weiterbetrieb bis ins Frühjahr für nöt… | |
hatte er am Dienstag gesagt und zur Begründung [1][auf unerwartet viele | |
Ausfälle französischer AKWs verwiesen]. Etliche grüne Abgeordnete wollen | |
das nicht hinnehmen und pochen auf ihr Mitspracherecht. Einen Hebel haben | |
sie über die Gesetze, die der Bundestag zur Vorbereitung des | |
Reservebetriebs schon im Oktober ändern soll. | |
„Ich rate dazu, nicht vor dem Vorliegen eines Gesetzentwurfs schon das | |
Ergebnis des in dem Gesetz vorgesehenen Verfahrens zu verkünden“, sagte | |
Jürgen Trittin – als Ex-Umweltminister einer der größten grünen | |
Kritiker*innen von Laufzeitverlängerungen – am Donnerstag der taz. „Es | |
könnte sonst der Eindruck der Voreingenommenheit entstehen.“ Trittin | |
verwies darauf, dass es nicht nur an der Lage in Frankreich liege, ob | |
deutsche Atomkraftwerke wirklich weiterhin gebraucht würden. | |
Als das Wirtschaftsministerium im Sommer in einem Stresstest ausrechnen | |
ließ, ob die Atomkraft länger gebraucht wird, rechnete es tatsächlich noch | |
mehr Faktoren hinein. In den kalkulierten Extremszenarien waren nur wenige | |
Kohlekraftwerke aus der Netzreserve an den Markt zurückgekehrt. Außerdem | |
wurde davon ausgegangen, dass wegen niedriger Flusspegel zu wenig Kohle | |
angeliefert werden könne und dass die Stromnetze zusätzlich belastet seien, | |
weil sich zu viele Menschen elektrische Heizstrahler zulegten. | |
Alle vier Kriterien tauchen auch in der Vereinbarung zum Reservebetrieb | |
auf, die das Ministerium diese Woche mit den Kraftwerksbetreibern | |
geschlossen hat. | |
„Seriosität gebietet es, alle diese Kriterien einem gründlichen | |
‚Monitoring‘ – so die Eckpunkte – zu unterwerfen, anstatt auf der Basis… | |
Annahmen vermeintliche Ergebnisse zu verkünden“, sagt Trittin jetzt. | |
## Nicht überzeugt | |
Während einer Pressekonferenz am Dienstagabend hatte Habeck seine neue | |
Lageeinschätzung vorgestellt. Die Grünen-Abgeordneten hatte er erst | |
unmittelbar zuvor in einer Fraktionssitzung informiert. Dem Vernehmen | |
fühlten sich viele der Anwesenden überrumpelt. Zur Begründung soll Habeck | |
auch in der Fraktion nur auf die AKW-Ausfälle in Frankreich verwiesen haben | |
und selbst seine Ausführungen dazu empfanden viele Abgeordnete nicht als | |
überzeugend. Bis hinauf in den Fraktionsvorstand wird Habecks Atomkurs | |
[2][ohnehin schon seit längerem kritisch gesehen]. | |
„Es ist richtig, dass Robert Habeck auf die schlechte Situation in den | |
französischen Atomkraftwerken hinweist. Das zeigt, dass Atomkraft nicht | |
zuverlässig ist“, sagt Jan-Niclas Gesenhues, der umweltpolitische Sprecher | |
der Fraktion. „Ob der Streckbetrieb kommt oder nicht, muss dann entschieden | |
werden, wenn alle Fakten auf dem Tisch liegen. Aus den jetzigen Szenarien | |
folgt noch kein Automatismus, die Reserve zu ziehen.“ Das Gesetz und die | |
Kriterien für die Einsatzreserve würden „im Parlament gemacht“. | |
Aktuellen Planungen zufolge soll der Bundestag die nötigen | |
Gesetzesänderungen in der dritten Oktoberwoche beschließen, unmittelbar | |
nach dem Grünen-Parteitag. Bis dahin sind noch etliche Detailfragen zu | |
klären. Es geht nicht nur darum, welche Kriterien für den Einsatz der | |
Reserve im Gesetz festgeschrieben werden und wie präzise sie formuliert | |
sein müssen. Hinzu kommt die Frage, wer zum Jahresende abschließend | |
beurteilen darf, ob die Bedingungen eingetreten sind: Die Regierung oder | |
das Parlament? | |
„Wir sollten alle Kriterien aus dem Stresstest und klare, überprüfbare | |
Parameter im Gesetz verankern“, sagt dazu der Haushaltspolitiker | |
Sven-Christian Kindler. „Damit stellen wir klar: Die Reserve wird nur dann | |
im äußersten Notfall genutzt, wenn alle anderen Maßnahmen nicht | |
ausreichen. Dass der Bundestag abschließend über den Einsatz der Reserve | |
aktiv zustimmen muss, ist für mich ohnehin klar.“ | |
Die Vorstellungen des Wirtschaftsministeriums sehen anders aus: Es hat | |
schon Anfang September nach Ende des Stresstests einen Variante | |
präsentiert, demzufolge die Regierung die Kraftwerke auf Vorschlag des | |
Ministeriums per Verordnung zurück ans Netz bringen dürfte. Der Bundestag | |
hätte nur ein Veto-Recht, müsste also aktiv widersprechen. Dass es für so | |
einen Einspruch inner- oder außerhalb der Koalition eine Mehrheit gäbe, ist | |
extrem unwahrscheinlich. Die Regierung würde sich in dieser Variante also | |
eine weitere Parlamentsdebatte ersparen – und hätte bei der | |
Entscheidungsfindung viel mehr freie Hand. | |
29 Sep 2022 | |
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## AUTOREN | |
Tobias Schulze | |
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