# taz.de -- Parteitag der Grünen: Ein bisschen Frieden | |
> In der Ukraine-Politik sind die Grünen-Delegierten klar: Sie fordern mehr | |
> Waffenlieferungen. Ärger gibt es über Exporte an Saudi-Arabien. | |
Bild: Annalena Baerbock am Samstag auf dem Grünen-Parteitag in Bonn | |
BONN/BERLIN taz | Das gibt es im Jahr 2022 also auch noch: Ein | |
Grünen-Mitglied wirbt um Gespräche mit dem Kreml. Hans Schmidt heißt der | |
Mann, er ist pensionierter Ingenieur und Stadtrat im oberbayerischen | |
Wolfratshausen. Am frühen Samstagnachmittag steht er am Redepult des grünen | |
Bundesparteitags und präsentiert seinen Friedensplan. | |
„Wenn wir weiter auf die Rückeroberung der von Russland besetzten Gebiete | |
setzen, bedeutet das, dass noch viel mehr ukrainische Soldaten getötet | |
werden“, sagt Schmidt. Seine Lösung: „Sofortige Aufnahme ernsthafter | |
diplomatischer Verhandlungen unter dem Dach der UN.“ | |
Schade nur: Kaum einer der rund 800 Delegierten im Bonner Kongresszentrum | |
hört ihm zu. Unmittelbar vor Schmidt hat die Außenministerin gesprochen, es | |
liegt deshalb aufgeregtes Gemurmel im Saal. „Könnt ihr bitte leiser sein“, | |
ruft der Tagungsleiter dazwischen. „Man versteht Hans gerade kaum.“ Kurz | |
wird es daraufhin leiser in der Halle. Viel Gehör findet Schmidt trotzdem | |
nicht. | |
Zum ersten Mal seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine kommen | |
[1][die Grünen an diesem Wochenende zu einem Bundesparteitag] zusammen. Die | |
Veranstaltung ist ein Gradmesser: Wie kommt die Partei mit all den | |
Entscheidungen zurecht, die Regierung und Parlament in den letzten Monaten | |
entgegen alter Grundsätze getroffen haben? | |
Als am Samstag das Thema Außenpolitik auf der Tagesordnung steht, wird | |
schnell klar: Zumindest Fragen des Ukraine-Krieges, Fragen von | |
Waffenlieferungen oder Verhandlungen mit Russland, stellen kaum eine Gefahr | |
für die grüne Harmonie dar. Positionen wie die von Schmidt kommen in der | |
Partei zwar weiterhin vor. Sie sind aber deutlich in der Minderheit. | |
## Waffen bis zum Sieg | |
Die Mehrheit folgt der Position, die Annalena Baerbock unmittelbar vor ihm | |
formuliert: Waffenlieferungen sind nicht schön, müssen in diesem Fall aber | |
sein. „Wir unterstützen die Ukraine, weil wir eine Friedens- und | |
Menschenrechtspartei sind“, sagt die Außenministerin. Geradezu logisch | |
folgt die grüne Position demnach aus dem eigenen Grundsatzprogramm. | |
Vorstandsmitglied Pegah Edalatian klingt noch deutlicher als Baerbock: | |
Solange die Ukrainer „kämpfen wollen, stehen wir an ihrer Seite“, ruft sie | |
mit ordentlich Druck hinter der Stimme. „Und wenn es sein muss, liefern wir | |
ihnen die Waffen, die sie brauchen, um diesen Krieg zu gewinnen!“ | |
Am Rand der Halle steht währenddessen eine Handvoll Grüner, die alte | |
Plakate der Partei hochhalten: „Mit einer Neutronenbombe kann man keinen | |
Frieden machen“, steht auf einem. „Ein bewaffneter Friede ist Ruhe vor dem | |
Sturm“, auf einem anderen. Weitere Basis-Mitglieder formulieren in der | |
Debatte ihre Angst vor einem drohenden Atomkrieg, fordern wie zuvor schon | |
Hans Schmidt neue internationale Verhandlungen. | |
Doch jenseits von ihnen gibt es zur Position von Baerbock und dem | |
Bundesvorstand keinen Widerspruch. Als es zur Abstimmung über den | |
Leitantrag geht, sind die Verhältnisse klar: Anträge gegen | |
Waffenlieferungen oder für Verhandlungsangebote sind in der Minderheit. | |
Beschlusslage der Grünen wird stattdessen, dass die Bundesregierung | |
„verstärkt und beschleunigt“ Waffen liefern sollte. | |
## Rüstungsexporte für den Sozialstaat | |
Viel stärker als in der Ukraine-Politik gab es zuletzt in der Frage | |
kommerzieller Rüstungsexporte Ärger in der Partei, nicht nur an der Basis, | |
sondern bis weit in die Funktionärsebene hinein. Anlass war die | |
Entscheidung der Bundesregierung, [2][Rüstungsexporte an Saudi-Arabien und | |
andere Beteiligte des Jemen-Kriegs] zu genehmigen. Im Bundessicherheitsrat | |
stimmten Annalena Baerbock und Robert Habeck als grüne Minister*innen | |
zu; publik wurde das pünktlich vor dem Parteitag. | |
Die Außenministerin rechtfertigt in ihrer Rede in Bonn auch diese | |
Entscheidung. Viele hätten auf den ersten Blick nicht verstanden, worum es | |
geht, sagt sie: Die Lieferungen beruhten auf Altverträgen, die man „nicht | |
einfach wegzaubern könnte“. Und die Rüstungsgüter – vor allem Zubehör f… | |
Kampfjets – gingen nicht direkt nach Saudi-Arabien, sondern in andere | |
europäische Staaten, in denen die Flugzeuge als Gemeinschaftsprojekt | |
zusammengebaut werden. Diese Partner, vor allem Frankreich und England, | |
haben weniger Probleme mit Exporten an die Saudis. | |
Es sei eine schwierige Abwägung, sagt Baerbock. Auf der einen Seite stehen | |
die eigenen Werte, auf der anderen der Wunsch nach mehr europäischer | |
Rüstungskooperation. Durch Synergie-Effekte, so der Plan der Koalition, | |
sollen die Kosten der Produktion und somit der Aufrüstung der Bundeswehr | |
begrenzt werden. „Ansonsten reichen die 100 Milliarden nie aus, und ich | |
will nicht, dass wir noch mehr im sozialen Bereich sparen“, sagt Baerbock. | |
Waffenlieferungen für den Jemen-Krieg mit finanziellen Interessen | |
Deutschlands zu begründen: Von der grünen Lehre ist das eigentlich weit | |
entfernt. Rhetorisch verpackt Baerbock ihre Position aber geschickt, | |
spricht von einem Dilemma und erzählt, wie „schwer für Robert und mich“ d… | |
Entscheidung gewesen sei. Sie schlägt den Bauchweh-Sound der | |
Verantwortungsethik an, der sich durch den ganzen Parteitag zieht und bei | |
den Grünen aktuell gut ankommt. Am Ende ihrer Rede erhält Baerbock trotz | |
allem Standing Ovations. | |
## „Bullshit“ | |
Erledigt ist das Thema für die Partei dennoch nicht. Den Unmut der Basis | |
trägt Jenny Laube vor, Grünen-Mitglied aus Kreuzberg. Die Basis klammere | |
sich nicht an Prinzipien, sondern trage allerlei Kompromisse mit. Aber | |
Waffen für Saudi-Arabien? Wenn jemand von vertraglichen Verpflichtungen | |
rede, so Laube, dann sage sie: „Bullshit“. Verträge stünden nicht über d… | |
Würde der Menschen im Jemen. | |
Von Funktionär*innen – Abgeordneten oder Landesvorständen – gibt es | |
derartige offene Kritik am Redepult nicht. Mit einem Dringlichkeitsantrag | |
hatten viele von ihnen aber [3][schon vor dem Parteitag ihren Ärger | |
kundgetan]. Lieferungen an die Saudis seien „inakzeptabel“, hieß es darin. | |
Der Parteivorstand und Baerbock selbst hatten offenbar den Eindruck, dass | |
dieser Antrag in einer Kampfabstimmung Erfolg haben würde. Sie ließen sich | |
daher vorab auf Verhandlungen ein. Als Kompromiss kam eine Version heraus, | |
in der Waffenexporte nach Saudi-Arabien weiterhin abgelehnt werden – | |
gestrichen wurde allerdings jeder Hinweis darauf, dass die Regierung gerade | |
erst solche Exporte nach Saudi-Arabien genehmigt hat. | |
In den Augen der Beteiligten ist die Einigung geschickt: Die Botschaft ist | |
gesetzt. Die Hoffnung ist da, dass sich Baerbock und Habeck im | |
Bundessicherheitsrat künftig an die Vorgabe halten. Offene Kritik an den | |
Frontleuten, gar eine große Auseinandersetzung auf dem Parteitag, wurde | |
aber vermieden. Etwas schräg wirkt das Ergebnis trotzdem. Die jüngst | |
genehmigten Exporte stehen da wie der Elefant im Raum. Bei den Grünen ist | |
diese Form der Konfliktbearbeitung aber mehrheitsfähig. | |
Die Delegierten des Parteitags stimmen am Ende zumindest zu. Von der Basis | |
kommt zwar noch ein Gegenantrag. Der Parteitag sollte die | |
Exportgenehmigungen verurteilen und die Bundesregierung möge sie rückgängig | |
machen, heißt es darin. In der Abstimmung fällt diese Forderung aber klar | |
durch. | |
15 Oct 2022 | |
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[1] /Parteitag-der-Gruenen/!5888259 | |
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## AUTOREN | |
Tobias Schulze | |
Sabine am Orde | |
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