Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ende des Grünen-Parteitags: Konflikte lieber im Stillen
> Geschmeidig klären die Grünen Dissens lieber hinter den Kulissen.
> Fraglich ist, ob die eigenen Grundsätze so noch sichtbar bleiben.
Bild: Eine Art Sigmar Gabriel mit Herz für Kinder: Baerbock auf dem Parteitag
Laut Zeitplan wäre [1][der Grünen-Parteitag] eigentlich schon vorbei
gewesen, als es zum ersten mal knallte. Am Sonntagnachmittag diskutierte
die Partei über Kohle, Klima und das Dorf Lützerath – und das zum ersten
mal an diesem Wochenende in einer wirklich kontroversen Debatte. Zum ersten
und einzigen Mal endete eine Diskussion auch in einer Abstimmung, deren
Ausgang nicht schon vorher absehbar war.
Die Kritiker*innen des grünen Regierungshandeln verloren zwar knapp.
Mit 294 zu 315 Stimmen scheiterte ihr Antrag, mit dem sie die von grünen
Regierungen [2][beschlossene Abbaggerung von Lützerath] verhindern wollten.
Bei den grünen Minister*innen in Bundes- und Landesregierungen dürfte
die Botschaft ob des knappen Ergebnisses trotzdem angekommen sein: In
Klimafragen dürfen sie sich nicht mehr viele Kompromisse erlauben. Alles
wird ihre Partei nicht mitmachen.
Es war der einzige Moment des Wochenendes, in dem die offene Rebellion in
der Luft lag. In anderen Themenfeldern ging es weit weniger aufregend zu.
Heißt das im Umkehrschluss, dass sich die Partei jenseits von Klimafragen
in der Beliebigkeit eingerichtet hat; dass sie im Namen der Vernunft alle
Zumutungen abnickt, die ihnen die Spitze vorgibt?
Der Eindruck liegt nahe, aber täuscht. Zwar reicht das Verständnis für
Pragmatismus und Kompromissbereitschaft inzwischen tatsächlich bis in die
Breite der Partei. Trotzdem setzten die Delegierten am Wochenende auch
jenseits von Lützerath eigene Akzente und Grenzen für das grüne
Regierungshandeln. Es knallte nur weniger: Wenn es geht, machen sie es
lieber im Stillen.
## Klarer Beschluss zur AKW-Frage
Besonders deutlich zeigen das die Beschlüsse [3][zu längeren Laufzeiten für
Atomkraftwerke]. Der Parteitag hat festgeschrieben, was die grüne
Bundestagsfraktion in den vergangenen Wochen vorbereitet hat: enge Vorgaben
für den eigenen Wirtschaftsminister. Robert Habeck würde sich im Konflikt
mit der FDP womöglich noch weiter strecken als bisher, um einen Kompromiss
zu erzielen. Die Partei aber geht höchstens bei ein paar Wochen
Streckbetrieb für zwei AKWs mit. Dass sie Habeck nicht mehr erlaubt, ist
jetzt Beschlusslage.
Richtig sichtbar wurden dieser parteiinterne Konflikt und viele andere in
Bonn aber nicht. Das liegt am Modus des Konfliktmanagements, das in der
grünen Funktionärsebene und darüber hinaus alle verinnerlicht haben: Den
Dissens trägt man nach Möglichkeit nicht auf der Bühne aus. Man sucht schon
vorher hinter den Kulissen den Kompromiss, feilt an gemeinsamen
Formulierungen und geht dadurch Kampfabstimmungen aus dem Weg, wo es geht.
Kritische Positionen fließen so oft auch ohne großen Knall in die
Beschlüsse ein, im Fall der Atomkraft sogar beinahe im Wortlaut. Diese Art
des innerparteilichen Korporatismus passt gut zum Land: Zerstrittene
Parteien mögen die Wähler*innen in Deutschland nicht.
## Verwässerte Anträge
Der Nachteil dieses Verfahrens: Kompromisse tragen es in sich, dass
Forderungen verwässern. Nicht immer setzen sich die
Antragsteller*innen so umfassend durch wie im Fall der Atomkraft. So
heißt es im Beschluss zu höheren Bürgergeldsätzen nicht mehr, dass diese
noch in dieser Legislatur kommen müssen, sondern nur noch, dass sich die
Grünen noch in dieser Legislatur dafür einsetzen.
Aus einem Antrag für eine Vermögensabgabe ist gar der Begriff
Vermögensabgabe verschwunden. Und Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien? Der
Parteitag bestätigt in seinem geeinten Beschluss zwar, dass er solche
Lieferungen ablehnt. Dass die Bundesregierung mit grüner Beteiligung gerade
erst welche genehmigt hat, wird aber nicht mehr erwähnt. Neu hinzugekommen
ist dafür das Zugeständnis, dass solche Entscheidungen eben nicht leicht
seien.
Bei so viel Verständnis für die eigenen Leute im Kabinett: Was haben die
grünen Minister*innen denn zu befürchten, wenn sie sich nicht an den
Beschluss halten? Wenn sie sich bald wieder vor die eigenen Leute stellen
und beichten, dass sie mit ganz großen Bauchschmerzen weiteren Exporten
zustimmen mussten?
## Waffenexporte wegen Kindergrundsicherung
Abwegig ist das nicht. Auf dem Parteitag klang Annalena Baerbock an dieser
Stelle zumindest nicht einsichtig. Die Außenministerin trat als eine Art
Sigmar Gabriel mit Herz für Kinder auf: [4][Sie rechtfertigte die
Waffenexporte an die Saudis damit, dass ohne sie soziale Projekte wie die
Kindergrundsicherung in Deutschland] in Gefahr seien. Am Ende der Rede –
bloß keine Risse zeigen – erhielt sie dennoch Standing Ovations.
Widerspruch am Redepult gab es dagegen nur von vereinzelten
Basismitgliedern. Bei den Grünen von heute belächelt man diese Leute gerne
als schrullige Gestalten von vorgestern. Jenseits der Klimapolitik gilt
jedoch: Dass der Streit hinter den Kulissen ausreicht, damit die Partei im
Ergebnis bei allem Pragmatismus die eigenen Grundsätze nicht vergisst, dass
müssen die Grünen nach diesem Parteitag erst noch beweisen.
16 Oct 2022
## LINKS
[1] /Parteitag-der-Gruenen/!5888259
[2] /Faktencheck-Luetzerath/!5884175
[3] /Gruener-Kurs-zu-Atomkraftwerken/!5880400
[4] /Parteitag-der-Gruenen/!5888261
## AUTOREN
Tobias Schulze
## TAGS
Schwerpunkt Atomkraft
Bündnis 90/Die Grünen
Schwerpunkt Klimawandel
Ampel-Koalition
Schwerpunkt Atomkraft
Grüne
Schwerpunkt Atomkraft
Schwerpunkt Atomkraft
## ARTIKEL ZUM THEMA
Berlin hat jetzt eine „Klima-Tram“: Es tut noch viel Aufklärung not
Berlin hat jetzt eine „Klima-Tram“, die mit ihrer Aufmachung über die
Klimakrise aufklären soll. Bei der Vorstellung wurde deutlich, wie nötig
das ist.
Streit um Atomkraft in der Ampel: Krachender Streit, vager Optimismus
Die Positionen von Grünen und FDP im AKW-Streit sind festgefahren. Dennoch
sind alle zuversichtlich, dass man sich bald einigt.
Grüne lehnen längere AKW-Laufzeit ab: „Der falsche Weg für Deutschland“
Im Ampel-Streit über die weitere Nutzung von Atomkraftwerken zeichnet sich
bislang kein Kompromiss ab. Grünen-Chefin Ricarda Lang wird deutlich.
Parteitag der Grünen: Ein bisschen Frieden
In der Ukraine-Politik sind die Grünen-Delegierten klar: Sie fordern mehr
Waffenlieferungen. Ärger gibt es über Exporte an Saudi-Arabien.
Jürgen Trittin über Parteitagsbeschluss: „Fachlich nicht völlig abwegig“
Jürgen Trittin hat lange gegen die Atomkraft gekämpft, jetzt hat er der
Ersatzreserve zugestimmt. Danach sei Schluss, das müsse die FDP einsehen.
Parteitag der Grünen: Atomkraft und andere Zumutungen
Die Grünen stimmen den zwei AKWs im Süden als Einsatzreserve zu, lassen
ihrem Minister darüber hinaus aber kaum Spielraum.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.