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# taz.de -- Queere romantische Komödie „Bros“: Schwuler wird’s nicht
> „Bros“ ist die erste schwule romantische Komödie im Mainstream. Das
> Ergebnis ist provokanter und zeitgemäßer, als das Genre erwarten lässt.
Bild: Nur ein unverbindliches Grindr-Date? Aaron (Luke Macfarlane, l.) und Bobb…
Welche Filme in die Geschichte eingehen werden, hängt von vielen nicht
vorhersagbaren Faktoren ab. Mitunter von der Liebe des Publikums,
vielleicht der Gunst der Kritik, sicherlich auch vom Timing. Größte Skepsis
ist in der Regel angebracht, wenn einer Produktion bereits vor ihrer
Veröffentlichung zugeschrieben wird, historisch bedeutsam zu sein.
Insbesondere, wenn die Macher dies selbst behaupten.
„Bros“ wurde im Vorfeld gleich in zweifacher Hinsicht eine gewisse
Geschichtsträchtigkeit zugeschrieben: einerseits als erste schwule
romantische Komödie eines großen Hollywoodstudios und andererseits als
erster Film mit einer komplett queeren Hauptdarstellerriege, der eine
breite Kinoauswertung erfährt. Eine Produktion, die sich in ihrer eigenen
Bedeutung derart ernst zu nehmen scheint, ist eigentlich zum Scheitern
verurteilt.
Zu groß ist die Gefahr, in dem Wissen, ein „erstes Mal“ zu sein, in
allgemeine Gefallsucht abzugleiten und so allzu bemüht, konstruiert und
damit leblos zu wirken. Dass all das auf „Bros“ nicht zutrifft, ist zuerst
dem Charme zu verdanken, der von der überraschend provokanten Haltung des
von Hauptdarsteller Billy Eichner („Parks and Recreation“) und Regisseur
Nicholas Stoller („Bad Neighbours“) geschriebenen Films ausgeht.
Sie durchzieht einen Plot, der wider Erwarten keine Angst davor erkennen
lässt, anzuecken. Weder bei seinen heterosexuellen Zuschauern, die man zum
Glück nicht vor Ausflügen in die LGBT-Geschichte und halbwegs expliziten
schwulen Sexszenen „bewahrt“, wie Mainstream-Produktionen es gemeinhin tun.
Noch bei seinem queeren Publikum, das man angenehmerweise nicht
infantilisiert, indem man es als empfindliche Minderheit behandelt, die
keinerlei Witz auf ihre Kosten verträgt.
## Aus der schnelllebigen Dating-Welt
Das dürfte überhaupt das Erstaunlichste an „Bros“ sein: Die
Selbstverständlichkeit, mit der der Humor in aktuelle Debatten, momentane
Trends und sonstige Eigenheiten der queeren Community einsteigt. Anders als
der Titel vermuten lässt, dreht sich die erste an eine breite Masse
gerichtete schwule romantische Komödie nicht etwa um die abgedroschene
Geschichte einer Männerfreundschaft, zu der mindestens ein vermeintlicher
Hetero gehört, der es noch nicht gewagt hat, sich zu outen.
Stattdessen wählt der Film ein zeitgemäßes Szene-immanentes Klischee und
erzählt von zwei offen schwulen Männern, die sich in einer schnelllebigen
Dating-Welt bewegen, die von der für unverbindliche Treffen bekannten
„Grindr“-App dominiert wird. Einer von ihnen ist Bobby Leiber (gespielt von
Eichner), der sich selbst als bindungsunfähig bezeichnet und fast stolz
angibt, im Alter von 40 Jahren noch nie verliebt gewesen zu sein.
Dass er sich insgeheim doch nach einer tieferen menschlichen Verbindung
sehnt, wird ihm nach diversen, immer gleich verlaufenden Chats, die sich um
wenig mehr als explizite Bilder drehen, bewusst und lässt sich spätestens
dann nicht mehr leugnen, als er im Club auf Aaron (Luke Macfarlane) trifft.
Äußerlich ist der zum bebrillten, etwas hageren Bobby als muskelbepackter
Sunny Boy das pure Gegenteil, was diesem im als oberflächlich geltenden,
mitunter auf stereotype Maskulinität fixierten schwulen Kosmos als
unüberwindbares Hindernis erscheint.
Aaron wiederum fühlt sich von Bobbys Intellekt, seinem Dasein als
Aktivistengröße eingeschüchtert. Das auf beiden Seiten vorhandene Gefühl,
dem anderen nicht zu genügen, wird zum treibenden Handlungselement, das
dazu führt, dass sich die beiden Männer zwar regelmäßig verabreden, aber
krampfhaft darum bemüht sind, kein übermäßiges Interesse zu zeigen, das
enttäuscht werden könnte.
## Ab wann ist Sex mehr als nur Sex?
Im Erzählen vom unbeholfenen Hin und Her zwischen Bobby und Aaron, der
Darstellung ihrer Unsicherheit in der frühen Phase ihres Kennenlernens, in
der die Frage, ab wann Sex mehr als nur Sex sein könnte, zu einer von
existenziellem Rang aufsteigt, ist „Bros“ eine typische romantische
Komödie. Der Film begeht allerdings nicht den Fehler, die Logik des
heteronormativsten Genres schlechthin schlicht einem homosexuellen Paar
überzustülpen.
Die lebenslange Beziehung, die womöglich in der Ehe mündet, wird ebenso
wenig als Heilsversprechen behandelt wie Monogamie als einzige Form des
Zusammenlebens. Auch hier bedient sich „Bros“ eigener Klischees der
schwulen Welt und lässt seine Protagonisten zuerst in einer
irrwitzig-unangenehmen Vierer-Konstellation aufeinandertreffen – Sex zu
zweit wäre schließlich viel zu intim. Statt ewiger Treueschwüre verspricht
man sich, es drei Monate miteinander zu versuchen, dann sehe man weiter –
alles andere wäre wiederum viel zu verbindlich.
Eichner und Stoller nähern sich den beiden Männern dabei nicht über
Dating-Zusammenhänge und ihr humoristisches Potenzial allein. Besonders
wenn es um die unterschiedlichen Umgangsweisen mit der eigenen
Homosexualität geht, nimmt sich „Bros“ mehrmals die Freiheit, schmerzhafte
Erfahrungen von Zurückweisung in ernsten, aber niemals rührseligen Dialogen
zu beleuchten. Auch darin erweist sich das Drehbuch als erstaunlich
zeitgemäß: Nicht mehr die Frage, ob man geoutet ist, steht im Fokus.
Sondern die danach, wie wohl man sich in der eigenen Haut nach diesem
Outing fühlt.
Während Aaron sein Schwulsein – wie sich zeigt, auch aufgrund einer
gewissen internalisierten Homophobie – als bloße sexuelle Orientierung
abtut, der man bei aller Offenheit im Umgang mit ihr keine Bedeutung
beimessen sollte, um dem heterosexuellen Umfeld nicht unangenehm zu werden,
hat Bobby gelernt, das Gefühl, seinen Mitmenschen bei aller Akzeptanz doch
stets ein wenig „zu viel“ zu sein, außer Acht zu lassen und Homosexualität
selbstbewusst als die identitätsstiftende Eigenschaft zu behandeln, die sie
für ihn ist.
## Die anderen Farben des Regenbogens
Über Bobbys Engagement weitet „Bros“ den Blick auf die queere Community als
Ganzes. Zu Beginn der Handlung betreibt er den Podcast „Der elfte Backstein
von Stonewall“, wobei der Name ein Seitenhieb auf das Sendungsbewusstsein
des schwulen weißen Cis-Mannes ist, das die anderen Farben des Regenbogens
in der medialen wie gesellschaftlichen Wahrnehmung lange überschattete.
Ohne jemals belehrend zu wirken, vermittelt der Film über Gags wie diese
Eckdaten zur queeren Geschichte. In diesem Fall, dass es schwarze trans
Frauen und Lesben waren, die sich 1969 als erste gegen Polizeigewalt zu
Wehr setzten und so den [1][Stonewall-Aufstand, der als Auslöser der
queeren Bewegung gilt], ins Rollen brachten.
Spannungen über die Deutungshoheit der eigenen Vergangenheit, wie es sie
heute innerhalb der Community gibt, werden in herrlich-witzigen Szenen im
Verwaltungsrat eines zu gründenden Museums für LGBT-Geschichte verhandelt,
dessen Leitung Bobby übernehmen soll. Ein Vorhaben, das dem Film als
Rahmenhandlung dient und an das sich weitere Fragen um das queere
Selbstverständnis der Gegenwart anschließen.
Der Lächerlichkeit gibt „Bros“ seine Figuren niemals preis. Im Gegenteil,
an gängigen stereotypen Charakterisierungen des Mainstreamkinos wie dem
„tragischen Schwulen“, der die Gunst des Publikums durch Mitleid gewinnt
und etwa aus [2][Filmen wie „Brokeback Mountain“] bekannt ist, wird genauso
offen Kritik geübt wie am „schwulen besten Freund“, der seine
Daseinsberechtigung aus seiner überschäumenden Hilfsbereitschaft schöpft
und durch das [3][Reality-Format „Queer Eye“] derzeit ein Revival erfährt.
## Im eigenen queeren Kosmos
Insofern hat „Bros“ innerhalb der Filmwelt, die sich an ein Massenpublikum
richtet, einen bedeutenden Neuigkeitswert: Homosexualität ist zu keinem
Zeitpunkt etwas Abseitiges, etwas Randständiges. Anders ausgedrückt: Nie
zuvor dürften sich nichtheterosexuelle Figuren im Mainstreamkino derart
konsequent innerhalb eigener Sinnzusammenhänge, einem eigenen queeren
Kosmos, bewegt haben.
Ob das letztlich für ein historisches Moment genügt, das seine Macher ihm
zusprechen, sei dahingestellt. Wie auch die damit verbundene Frage, ob es
sich grundsätzlich um eine erstrebenswerte Entwicklung handelt, dass queere
Liebesgeschichten in den gleichen Kontexten verhandelt werden wie
heterosexuelle. Man kann darin einen Schritt in Richtung begrüßenswerter
Gleichbehandlung sehen. Oder aber bedauern, dass sie damit letztlich weiter
genauso trivialisiert, in gleichem Maße kommerzialisiert werden.
Dass der Film die großen Hollywoodstudios auf die Idee gebracht haben
könnte, sich künftig stärker auf das queere Publikum zu konzentrieren, ist
allerdings nicht anzunehmen. Zumindest in den USA ist der Film an den
Kinokassen gefloppt.
Zu Unrecht, denn glänzende Unterhaltung ist „Bros“, solange man
grundsätzlich seine Freude aus dem genretypischen Einsatz von Klischees
ziehen kann, auf jeden Fall. Da es Eichner und Stoller so gekonnt gelingt,
diese in bislang ungesehene queere Entsprechungen zu übersetzen, haben sie,
wenn vielleicht nicht das historische, so doch zumindest das
Überraschungsmoment fest auf ihrer Seite.
26 Oct 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Arabella Wintermayr
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