Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Romantische Komödie „No Hard Feelings“: Warnung vor einer Mens…
> Die Komödie „No Hard Feelings“ macht Jennifer Lawrence zur Verführerin
> mit geballter Faust. Sie balanciert zwischen Genderklischee und modernem
> Blick.
Bild: Mühsamer Aufstieg zum Ziel: Maddie (Jennifer Lawrence) in „No Hard Fee…
Bei Hall & Oates klang es damals, 1982, wie eine Mischung aus Bewunderung
und Muffe: „Oh here she comes / Watch out boy she’ll chew you up / Oh here
she comes / She’s a maneater“. „Maneater“, den größten Hit des
beeindruckend geföhnten Duos aus Philadelphia, könnte man als Popsong
gewordene Angst vor der „Vagina dentata“ deuten, einem Begriff aus Sigmund
Freuds (vermutlich aus demselben Sentiment entwickelter) Theorie zur
angeblichen männlichen Kastrationsfurcht. Für die feministische
Kulturhistorikerin Camille Paglia ist die „bezahnte Vagina“ ein „Sinnbild
weiblicher Macht und männlicher Angst“.
Eventuell ist Maddie genauso ein „Maneater“, eine Femme fatale im
Hall-&-Oats’schen Sinne, aber braungebrannt, mit Shorts und Spaghettitop:
Die 32-Jährige gehört zu den wenigen ständigen Einwohner:innen des
[1][schnieken Ortes Montauk an der Ostspitze Long Islands, eines
Lieblingsreise- und Sehnsuchtsort wohlhabender, weißer Amerikaner:innen].
Während diese dort die heißen Monate in piekfeinen Sommerresidenzen
verbringen, schlägt sich Maddie mit ihrer Schrottkiste als Uber-Fahrerin
durch und sammelt in ihrer Freizeit One-Night-Stands wie andere Menschen
Briefmarken.
Mit gutmütigen Montauk-Bewohnern wie dem Abschleppdienstleister Gary (Ebon
Moss-Bachrach) vergnügt sie sich mit dem gleichen Eifer wie mit namenlosen,
muskelspielenden Surf-Touris. Die Männer lässt sie allesamt nach wenigen
verschwitzten Nächten fallen – Maddie hat kein Interesse an einer
Beziehung.
Als Gary mit gebrochenem Herzen ihr Auto abschleppt, sieht sich die junge
Frau in einer wirtschaftlichen Zwangslage: Ohne Auto kann sie nicht
arbeiten und die Raten für ihr geliebtes, von der Mutter geerbtes Haus
nicht zahlen. Wegzugehen aus Montauk, wo sie ohne den Vater aufwuchs, kommt
aber nicht in Frage.
Weil die Sommermonate vor der Tür stehen, lässt sich Maddie auf ein
Craigslist-Angebot ein: Ein gutsituiertes Elternpaar (Matthew Broderick und
Laura Binanti) sucht jemanden, der gegen Bezahlung (ein Auto) ihren
19-jährigen Sohn Percy (Andrew Barth Feldman) in die Liebe einführt.
## „Date him hard“
So genau wollen es die beiden Feingeister aber nicht ausdrücken, als sie
Maddie in ihrem minimalistischen Wohnzimmer gegenübersitzen. „You mean date
him, or DATE HIM“?, fragt Maddie darum sicherheitshalber nach. „Date him
hard“, antwortet der Vater verlegen. Und Maddie verspricht: „I’m gonna da…
the hell out of him.“
Trotz des eher um der Gags willen behaupteten Altersunterschieds – Lawrence
sieht nicht wirklich älter aus als Anfang 20, wird aber von Percys
livebloggenden Insel-Peers ständig [2][mit Ageismus konfrontiert] – bahnt
sich ein valider Deal zwischen den Helikopter-Eltern und der energischen
Verführerin an.
Der Ausweg aus der Finanzmisere lockt – dass sie damit zur „Sex Workerin“
wird, sieht Maddie pragmatisch: „Der ist süß“, sagt sie, als die Eltern i…
ein Foto ihres Häschens zeigen. Und „Ich hab auch schon für weniger als
einen Buick mit jemandem herumgemacht“, verteidigt sie sich gegenüber ihren
Freund:innen. Allein die männliche Jungfrau weiß noch nichts von ihrem
„Glück“.
Die Prämisse von Gene Stupnitskys Komödie „No Hard Feelings“ erinnert som…
zunächst an die Kernidee von so komischen wie prüden, teils misogynen
[3][50er-Jahre-Komödien wie „Some Like It Hot“]: Wäre das nicht lustig,
wenn eine Sexbombe mit vollem Körpereinsatz versucht, einen verklemmten
Mann herumzukriegen, hihi?
Das vom Comedyserien-erfahrenen Autor Stupnitsky erhoffte Gekicher basiert
darauf, dass ein verklemmter Mann, der die Avancen einer heteronormativ
hübschen Frau ablehnt, zur Witzfigur taugt: Kein „echter“ Mann würde eine
solche Chance ausschlagen. Weshalb Tony Curtis in Billy Wilders Film auch
nur so tut, als sei er schüchtern.
## Immer groteskere Annäherungen
Percy dagegen ist es wirklich. Und so nehmen Maddies Versuche, ihn in
Minikleid und High Heels zu „daten“, immer groteskere Formen an: Unter dem
Vorwand, sich einen Hund anschaffen zu wollen, sucht sie den tierlieben
Percy bei seinem Nebenjob im Tierheim auf (Percy, schlotternd vor
Aufregung: „Wieso möchten Sie einen Hund adoptieren?“, Maddie, mit festem
Blick: „Weil ich keinen eigenen kriegen kann.“).
Sie zwingt Percy in einen Van und fährt Umwege nach Hause, bis er vor Angst
sein Pfefferspray zückt. Schließlich schafft sie es, Percy davon zu
überzeugen, dass sie ihn wirklich kennenlernen möchte – das erste Date
steht. Und im Restaurant läuft, wie könnte es anders sein: „Maneater“.
Aber zieht man die sexuelle Konnotation ab und übersetzt „Maneater“
wortgetreu, dann heißt es „Menschenfresser“. Vor einem solchen Monster hat
Percy Angst, wie er Maddie gesteht: „She’ll only come out at night / The
lean and hungry type“ – wie kann man so etwas nicht fürchten?! Damit
etabliert Maddies Gegenspieler eine andere, weniger klischierte Gender- und
Gefühlsebene des Films: Es sind eben doch nicht alle (Hetero-)Männer
permanent so sexfixiert, dass sie jegliche Angebote normativ hübscher
Frauen prinzipiell annehmen.
Gleichzeitig, und das ist der noch wichtigere Punkt, den Regisseur
Stupnitsky und sein Co-Drehbuchautor John Phillips erzählen, brauchen,
suchen oder ersehnen mitnichten alle Frauen eine Beziehung. Man kann, für
klassische Hollywoodkomödien fast eine radikale Idee, auch im Mainstream
Frauenfiguren erzählen, die ihre Heldinnenreise allein bestreiten.
## Klassismus und Gentrifizierung
Für „No Hard Feelings“ bedeutet das: Nachdem viel, teils viel zu alberner
Slapstick passiert ist, nachdem einige amüsante Sprüche gefallen sind und
„Maneater“ als dramatische Klavierversion (gespielt von Percy) noch mal
den Ernst der Lage verdeutlichen durfte, wartet kein Mann auf eine
geläuterte Heldin. Maddies Erkenntnisgewinn bewegt sich stattdessen auf
einem anderen Gebiet.
Dass Stupnitsky sachte die Themen Klassismus und Gentrifizierung – Maddie
und ihre Freund:innen können sich ihre Heimat Montauk kaum noch leisten –
und die Autoversessenheit der USA mitbehandelt, steht der Geschichte ganz
gut: Das Auto als Sinnbild für Selbstständigkeit, Wohlstand und Freiheit
liegt Maddie mehr am Herzen als ein Mensch. Für sie gilt: Ohne
umweltschädliches Fahrzeug lässt sich die Schönheit der Insel mit ihren
grünen Küstenlandschaften und felsigen Stränden nicht vermitteln – ein
Dilemma.
Zudem schauen sie und die anderen Inselbewohner:innen mal
verzweifelt, mal wütend mit an, wie Zugezogene sich über ihre Deals freuen
und dreist die Notlagen der ständigen Bewohner:innen ausnutzen.
Das macht aus dem großartig gespielten, strikt nach
Sitcom-Punchlines-Struktur geordneten Film ein ambivalentes Phänomen:
Einerseits wimmelt der Inhalt von genderstarren Stereotypen, die normative
Perfektion der meist knapp bekleideten Hauptdarstellerin lässt auf den
ersten Blick auf klassischen Male Gaze schließen. Und irgendwo unter der
Oberfläche scheint ein „Beauty & the Nerd“-Klischee zu schlummern, nach der
Nerdtum stets mit sozialer Unfähigkeit zusammengeht.
Aber auf der anderen Seite ist „No Hard Feelings“ mit seiner
selbstermächtigten, angstfreien und blitzgescheiten Heldin eine sehr
moderne Komödie, deren Male Gaze immer wieder durch die Handlung gebrochen
wird. Denn Haut an sich muss nicht für Sex stehen: Sogar splitternackt
schlägt sich Maddie immer noch besser als alle anderen. Und „Schlagen“ ist
in diesem Fall durchaus wörtlich gemeint – da braucht sie die „Vagina
dentata“ nicht mal ansatzweise auszupacken.
22 Jun 2023
## LINKS
[1] /Volker-Schloendorff-inszeniert-die-Reue/!5381652
[2] /Studie-zur-Altersdiskriminierung/!5899382
[3] /Marilyn-Monroe-Biopic-Blond-auf-Netflix/!5880265
## AUTOREN
Jenni Zylka
## TAGS
Spielfilm
Komödie
Sex Education
Sex
Klischee
Klassismus
Gentrifizierung
Schwerpunkt LGBTQIA
Film
Komödie
## ARTIKEL ZUM THEMA
Queere romantische Komödie „Bros“: Schwuler wird’s nicht
„Bros“ ist die erste schwule romantische Komödie im Mainstream. Das
Ergebnis ist provokanter und zeitgemäßer, als das Genre erwarten lässt.
Romantische Film-Komödien: Wo sind die Rom-Coms geblieben?
Der Kinofilm „The Lost City“ bringt ein verloren geglaubtes Filmgenre
zurück: die romantische Komödie. Warum werden diese kaum mehr gedreht?
Ungewöhnliche deutsche Komödie: Sag „VPN-verschlüsselt“!
Ein Mann, eine Frau und die Costa Concordia: „Liebesfilm“ von Emma Rosa
Simon und Robert Bohrer ist ein wunderbar unstimmiges Ungetüm.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.