| # taz.de -- Siezen und Duzen im Journalismus: Letzte Bastion deutscher Sprache | |
| > Es duzt auf einmal im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Geht das? Die | |
| > journalistische Duz- und Siez-Haltung ist kompliziert. Und sie ändert | |
| > sich. | |
| Bild: Duzen gern: Ingo (Zamperoni) und Aline (Abboud), hier mit Caren (Miosga) | |
| „Und jetzt zu weiteren Nachrichten des Tages. Damit zu dir, Constantin.“ | |
| Aline Abboud und Constantin Schreiber haben es letzte Woche wieder getan. | |
| Ingo Zamperoni und Judith Rakers auch. Duzen mitten in der ARD. Und jetzt | |
| auch noch in den „Tagesthemen“. Ja geht’s noch, [1][Marcus Bornheim]? Sie | |
| sind Erster Chefredakteur von ARD-aktuell und sollten doch noch einen | |
| Restanspruch haben, das Niveau hochzuhalten. | |
| Fällt da nach dem Angriff der Gender-Wokerati jetzt auch noch die letzte | |
| Bastion, die unsere deutsche Sprache so einzigartig macht? „Eigentlich | |
| nicht“, sagt die Mitbewohnerin. „Denn durchs neue sie-Bewusstsein beim | |
| Gendern und dem Wegfallen des förmlichen Sie ist doch alles wieder im | |
| Gleichgewicht.“ Na, hoffentlich! | |
| Aber es macht einen Unterschied, ob hier wer wie weiland Waldi Hartmann mit | |
| der Dampframme eloquente Sportler*innen plattduzt. Solche Ranschmeiße | |
| will keineR, auch wenn es gerade im Sport leider viel zu oft vorkommt. Oder | |
| ob hier Kolleg*innen, die sich eh kennen und duzen, vor der Kamera jetzt | |
| bei ihrer Anrede bleiben und sich nicht verstellen. | |
| Das „Du“ bedeutet auch nicht automatisch die ganz große Gleichmacherei. Das | |
| hat selbst die Bild gemerkt. Die hatte bei der Sommermärchen-WM 2006 die | |
| ganz große Ranwanzerei ausgerufen und getitelt: „Wollen wir uns alle | |
| duzen?“ Worauf der Tagesspiegel mit der hübschen Frage „Wollt ihr das | |
| totale Du“ konterte. | |
| ## „Das können Sie halten wie du willst“ | |
| Wenn wir ehrlich sind, ist die Frage „Siezt du noch oder duzt du schon?“ | |
| nicht nur in schwedischen Möbelhäusern längst obsolet. [2][Rezo] findet | |
| siezen bei Social Media sogar krass unhöflich-respektlos und fragt schon | |
| mal boshaft „Seit wann siezen wir uns?“ Dass wir uns in Deutschland über so | |
| etwas echauffieren, hat Tradition. „Manche erklären es mit deutscher Kultur | |
| und haben Angst, es würde ihnen was weggenommen“, meint die Mitbewohnerin | |
| und zitiert Herbert Wehner. „Das können Sie halten wie du willst!“, brachte | |
| der das Ganze trocken auf den Punkt. | |
| Wohin die Reise geht, ist klar. Die Internetwelt spricht Englisch und da | |
| gibt es schon seit Shakespeares „thou“ kein „Sie“ mehr. Im britischen | |
| Journalismus sind selbst Minister*innen „on first name terms“, ohne | |
| dass dies britischen Journalismus gegenüber der Politik besonders handzahm | |
| oder unkritisch gemacht hätte. | |
| Im persönlichen Bereich wird erst recht klar, dass ein Du allein keine | |
| völlig distanzlos-konfliktfreie Zonen schafft. Auch in der kleinen Zeitung | |
| pflegen wir immer schon das totale Du, mit allen menschlichen Fiesheiten, | |
| die sich auch ohne „Sie“ bestens um die Ohren hauen lassen. | |
| 21 Oct 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Steffen Grimberg | |
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