Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Carlo Masala über die Bundeswehr: „Ich will eine wehrhafte Demok…
> Politikwissenschaftler Carlo Masala ist als Militäranalyst präsent wie
> fast niemand. Er macht sich stark für eine diverse, woke und bewaffnete
> Armee.
Bild: Hält „Frieden schaffen ohne Waffen“ für „totalen Unsinn“: Polit…
Wir treffen uns morgens um 8 Uhr. Carlo Masala lebt in Leipzig. Auf die
Frage, wie viele Tweets er schon lanciert hat, antwortet er: „Nur zwei.“
Aus dem Wohnzimmer kommt leise Jazz. Im Flur stehen Musikinstrumente, er
spielt selbst viel. Er serviert Stempelkaffee, er redet, wie er bei
Fernsehauftritten spricht: erfrischend offen, wach.
taz am wochenende: Herr Masala, die Bundeswehr hat nach wie vor in linken
Kreisen keinen guten Ruf. Nach den bekannt gewordenen Fällen
[1][rechtsradikaler Sympathisantenschaften] kann es auch gar nicht anders
sein, oder?
Carlo Masala: Es gibt diese rechtsextremistischen oder rechtsradikalen
Soldaten in der Bundeswehr, ja. Aber wenn man die ganze Bundeswehr nimmt,
ist ihre Anzahl dann doch klein. Das heißt nicht, dass nicht jeder einer zu
viel ist, aber ihre Anzahl ist vergleichsweise geringer als in der
deutschen Gesellschaft insgesamt. Aber sie dominieren zeitweise das
öffentliche Bild.
Der Militärhistoriker Sönke Neitzel sagt, die Bundeswehr solle man ohnehin
nicht allzu sozialpädagogisch handelnd sehen. Sie sei ein Militärkorpus.
Tatsächlich gibt es die Bundeswehr, die bei der Coronapandemie extrem viel
geholfen hat, im Ahrtal bei den Hilfen für die Flutopfer war sie auch
segensreich präsent. Aber richtig ist auch, dass es in der Bundeswehr
archaische Rituale gibt und auch braucht. Ein großer Fehler in den
vergangenen Jahrzehnten war, dass die Politik nie den Kernaspekt der
Armeen thematisiert hat.
Und der wäre?
Der dreckige Kernaspekt von Armee, nämlich dass es darum geht, auch
gegebenenfalls unter gewissen Umständen zu töten beziehungsweise getötet zu
werden. Darüber sprach man nicht, weder die Generalität noch die Politik.
Auch nicht, als die Bundeswehr in [2][Afghanistan] Station bezog.
Ich kenne das noch aus der Zeit, wo ganz, ganz viele meiner Absolventen an
der Universität nach Afghanistan gegangen sind. Mit vielen habe ich Kontakt
gehalten, und vielen von denen, die ich für sehr gute Studierende und
Soldatinnen gehalten habe. Dann kamen sie zurück und haben gesagt: Nee, ich
werde kein Berufssoldat.
Warum?
Sie sagten, sie hätten das Gefühl gehabt, dort etwas zu machen, was hier in
dieser Gesellschaft, in der Heimat verschwiegen wird. „Und dazu habe ich
keine Lust, das für den Rest meines Lebens zu machen.“ Sie wollten einen
Beruf, zu dem sie nicht nur stehen können, sondern der auch nicht
gesellschaftlich beschwiegen wird.
Ist diese politische Entwicklung, auf die Kanzler Scholz seit Ende Februar
mit seiner Rede von der [3][„Zeitenwende“] reagiert hat, so neu?
Sie begann mit dem Fall der Mauer. Wir hatten vorher eine Armee, die für
einen hypothetischen Fall trainiert hat, der nicht eingetreten ist, Gott
sei Dank. Es begann die Zeit der Auslandseinsätze, aber schon unter Kanzler
Kohl galt, die Bundeswehr wird lediglich als ein bewaffnetes Technisches
Hilfswerk verkauft. Wir gehen raus und tun Gutes. Also kein großer
Unterschied zu Brot für die Welt oder zu anderen, halt nur mit einem
G36-Sturmgewehr in der Hand. Aber die Aufgaben sind sozusagen die guten
Aufgaben.
Das hat sich ja offenbar geändert.
Das Militär an sich ist nicht mehr umstritten, das ist Konsens der
Parteien, abgesehen von der AfD und der Linken. Es geht nicht mehr um die
Frage, ob wir militärische Macht brauchen – sondern ob bestimmte Einsätze
Sinn machen oder nicht.
Viele Soldat*innen, die aus Afghanistan heimkehrten, beklagten, dass die
Mission, die sie erfüllen sollten, Menschenrechte durchzusetzen
beispielsweise, durch den Rückzug aus dem Hindukusch verraten wurde. Die
das sagten, sind politisch superempfindsame Männer und Frauen.
Die Bundeswehr hat einen langen Weg hinter sich. Noch vor wenigen Jahren
hat man sich um die Soldat*innen, die mit einer posttraumatischen
Belastungsstörung versehrt zurückkamen, kaum gekümmert. Man dachte, so wie
einst, ach, diese Erschütterungen, die geben sich. Nein, wir haben gelernt,
dass die nicht einfach weggehen. Über 20 Jahre wurden 60.000
Soldat*innen nach Afghanistan geschickt – aber wir haben keine
Erinnerungskultur für sie und ihren Einsatz geschaffen. Wir haben über
diesen Einsatz geschwiegen.
Ist das eine Folge der nationalsozialistischen Gewaltjahre – dass man das
Militärische in der Bundesrepublik lieber unerwähnt lässt?
Politiker*innen glaubten immer, dass etwa Auslandseinsätze der
Bundeswehr nicht populär sind, dass sie politische Zustimmung kosten.
Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist nichts, was Menschen in
ihrem tagtäglichen Leben berührt. Aber wenn ich Zustimmung für diese
politischen Bereiche, auch Auslandseinsätze haben will, muss ich dafür
werben. Das sollte genauso normal sein wie Debatten um irgendwelche
Gasumlagen. Ich kann den Fernseher nicht mal einschalten, ohne dass mir
nicht die gesamte Riege von Regierung und Opposition über den Weg läuft und
erklärt, warum das richtig, gut, falsch oder wie auch immer ist.
Sie sind in Köln als Kind von sogenannten Gastarbeitern aufgewachsen und
haben, wie es so heißt, nicht gedient. Würden Sie heutzutage?
Damals hätte ich verweigert. Ich bin damals, schulisch geprägt, in einem
linksliberalen Milieu aufgewachsen. Hätte ich damals gewusst, dass die
Bundeswehr auch ein Studium, eine Ausbildung finanziert, wäre das für mich
interessant gewesen.
Ein Lockmittel, das Studium.
Warum auch nicht? Alle Großorganisationen werben mit allen möglichen
Benefits.
Waren Sie, generationstypisch, Pazifist?
Nein, nie. Ich habe auch damals die Funktion von Armeen eingesehen.
1982, zu den Hochzeiten der bundesdeutschen Friedensbewegung, gab es im
Bonner Hofgarten die legendäre Demonstration gegen die Nato-Nachrüstung.
Waren Sie dabei?
Nein, ich war noch zu jung. Viele meiner Bekannten und Freunde waren aber
dabei.
Jene, die diese Jahre erlebt haben, sprechen von einer Zeit der Angst vor
atomarer Zerstörung. Hatten Sie die auch?
Nie. Ich hatte nie Angst vor diesem nuklearen Armageddon. Ich bin nicht
jeden Tag glücklich drüber aufgewacht, dass am Ende der Nacht keiner die
Atombombe geschmissen hat.
„Frieden schaffen ohne Waffen“, hieß es, unter anderem.
Ist totaler Unsinn. Das wird nicht funktionieren. Wir leben in einem
internationalen System, in dem das große Problem für Staaten ist, dass
keiner für ihre Sicherheit sorgt. Und deshalb müssen Staaten für ihre
Sicherheit selbst sorgen. Und die Vorstellung, dass man eine Welt ohne
Waffen hat und dass sich jeder daran hält, ist illusorisch. Wir sehen ja so
viele Täuschungsversuche in der internationalen Politik. Wie soll
garantiert werden, dass eine Welt ohne Waffen existiert und fortbesteht?
„Schwerter zu Pflugscharen“ – hätte dieses DDR-Credo etwas für Sie sein
können?
Das war der Beginn einer Bewegung, die am Ende zum Kollaps der DDR führte.
Ich bin Gegner von überdrehten Rüstungsspiralen. Warum hatten die
Sowjetunion und die USA sich damals auf das jeweils siebenfache Potenzial
der gegenseitigen Vernichtung geeinigt? Ich dachte mir schon während meines
Studiums, dass das nicht logisch ist. Die jeweils einmalige Vernichtung
würde doch reichen – wozu die siebenfache Möglichkeit?
Es war eine hochgefährliche Situation – aber eine im sogenannten Kalten
Krieg, der im Unterschied zum Heißen Krieg nicht wirklich beginnt.
Der Unterschied zu heute ist nur, dass die Sowjetunion eine
Status-quo-Macht war, der es in Europa also darum ging, das Bestehende zu
erhalten, nicht zu erweitern. Russland hingegen ist eine revisionistische
Macht. Und deswegen wird dieser Kalte Krieg 2.0, in den es zumindest auf
einer europäischen Ebene hinausläuft, nicht stabiler sein als der, der 1990
endete, sondern unberechenbarer sein als der Kalte Krieg.
Hat sich eigentlich das Bild von Männlichkeit im Laufe Ihres Lebens
geändert?
Bei mir persönlich ja. Aber nicht bedingt durch die Bundeswehr. Ich sehe
jetzt zum Beispiel wieder die Gefahr, wo wir in so einem Landes- und
Bündnisverteidigungsszenario sind, dass wir die praktischen Fragen nicht
geklärt kriegen: Wie bekommen wir gegebenenfalls große Teile der Truppe in
vier Tagen von hier nach Irgendwo verlegt?
Ist das eine Frage toxisch-männlicher Tugenden?
Nein, aber seit einiger Zeit schleicht sich in die Bundeswehr wieder diese
Kultur toxischer Männlichkeit ein – und dabei müsste es, wie ich sagte, um
konkrete militärpraktische Fragen gehen.
Die ehemalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat sich in der
Bundeswehr keinen guten Ruf eingehandelt, weil sie Fragen aufwarf, die in
dieser Szene nicht üblich sind zu stellen: Frauenteilhabe an der
Bundeswehr, Soldaten und Vätermonate, homosexuelle und trans
Soldat*innen …
… ihr großes Verdienst war es zumindest, dieses Tor zur Diversität in der
Bundeswehr geöffnet zu haben. Und meine große Befürchtung ist, dass in der
Bundeswehr Kräfte stärker werden, die dieses Tor gerne wieder schließen
würden. Dass überhaupt trans Leute in der Bundeswehr sein können, dass
Homosexualität kein Nichtthema ist, sondern, wie die restaurativeren Kräfte
sagen, überbetont wurde.
Die Bundeswehr könnte doch öffentlich bekunden, stolz auf dieses
Selbstverständnis als diversitätsbewusste Armee zu sein.
Ja, das sollte sie auf jeden Fall, macht sie aber nicht. Und das halte ich
für einen großen Fehler. Wir wissen es ja auch wissenschaftlich, dass
Armeen umso besser sind, wie sie die Diversität ihrer Gesellschaften
widerspiegeln, und zwar komplett, sei es sexuell, sei es religiös. Eine
militärische Großorganisation wie die Bundeswehr sollte keine Armee der
Spartaner sein, mit entsprechendem Elitebewusstsein. Wie soll die
funktionieren, wenn sie den Staat und die Gesellschaft, die sie
verteidigen, aus ihrer Eliteposition verachten.
Ist Virilität noch an Männliches geknüpft, können auch Soldatinnen viril
sein?
Ich kenne Soldatinnen. Die einen sind Mütter, andere sind Lesben, wiederum
andere ohne Kinder. Wenn die auf dem Kasernenhof stehen, wenn die ihre
sportliche Leistungsfähigkeit bringen, wenn es darum geht, Zähne
zusammenzubeißen und durchzuziehen: 80 Prozent aller Typen lassen die
hinter sich. Mehr muss man dazu nicht sagen.
In der Ukraine, so wissen wir, kämpfen queere Menschen gegen die russischen
Angreifer. Sie melden sich an der Front, sind hochrespektiert. Ist das
nicht ein Vorbild – so wie es auch in der israelischen Armee üblich ist?
Ja, absolut. Ich will eine Bundeswehr, die woke im besten Sinne des Wortes
ist, wehrhaft und bis an die Zähne bewaffnet. Ich will eine wehrhafte
Demokratie, und ich will auch eine Armee, die die Diversität dieser
Gesellschaft widerspiegelt.
Trauen Sie das den höheren Ebenen der Bundeswehr zu, für solch ein modernes
Verständnis von Diversität einzutreten?
Das muss politisch verordnet werden, sonst tut sich wenig, die erreichten
Fortschritte bleiben sonst stecken.
In den Niederlanden, in Israel werben die Armeen auf CSD-Paraden für sich –
mit dem Selbstbewusstsein, Angehörige von Armeen der Diversität zu sein.
Ja, das ist erschütternd, dass das bei uns nach wie vor kein offensiver
Punkt ist. Bundeswehr mit mächtigem Auftritt auf CSDs oder auf queeren
Straßenfeste? Ist nicht der Fall. Das ist sehr schade, und es schadet der
Bundeswehr, denn sie bringt sich um Chancen und um Personal, das sie dort
werben könnte.
Brauchen wir wieder eine Wehrpflicht?
Sie war gut, aber jetzt wäre sie es nicht. Sie ist sicherheitspolitisch
nicht ableitbar. Wir werden keine sechs russischen Panzerdivisionen in
absehbarer Zeit an der deutsch-polnischen Grenze haben. Der Krieg des 21.
Jahrhunderts ist nicht der Krieg, der gerade im Donbass geführt wird. Die
Russen würden einen anderen Krieg gegen uns führen. Da braucht man keine
Massenheere, da brauchen wir Profis, die bestens ausgebildet sind.
Die Bundeswehr, so hieß es früher, sei die Schule der Nation.
So ein Quatsch. Alles, was militärisch wichtig ist und wird, ist mit einem
Durchlauferhitzer namens Wehrpflicht nicht zu haben. Jene, die ihre
Wiedereinführung fordern, sind am Ende Sozialpolitiker, die damit auch
gleich den Zivildienst wiederbekommen wollen. Oder es sind Nostalgiker, die
das befürworten.
Woher holt die Bundeswehr auf leerer werdenden Arbeitsmärkten ihr Personal?
Ich bin dafür, dass diejenigen, die hier geboren wurden, aber keine
deutsche Staatsbürgerschaft haben, rekrutiert werden können. So eine Art
Modell wie in den USA. Verpflichte dich für x Jahre, und du gehst raus mit
deutschem Pass. Das ist der richtige Weg. Wir würden die Bundeswehr zu
einer wesentlich größeren Integrationsmaschine machen, als sie ist.
Eine Idee, die in konservativen Kreisen Ärger macht, oder?
Wahrscheinlich.
In Ihren zahlreichen Tweets gehen Sie ja auch keinem Ärger aus dem Weg. Sie
nannten eine, die Sie blöde anging, „Mausebärchen“ …
Das geht immer: So ein bisschen verniedlichen, das bringt die auf die
Palme, und das freut mein sportliches Gemüt.
Sie wären beim Sport auch so?
Ich war beim Taekwondo auch immer besser im Angriff als in der
Verteidigung, obwohl das von der Logik des Taekwondo doof ist.
Warum?
Ich bin ja wesentlich ruhiger geworden die letzten zwanzig, dreißig Jahre.
Aber der Modus, den ich immer habe, ist: Attacke. Wer den ersten Schlag
vernichtend setzt, gewinnt alles.
9 Oct 2022
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Hannibals-Schattennetzwerk/!t5549502
[2] /Schwerpunkt-Afghanistan/!t5008056
[3] /Deutsche-Reaktion-auf-Russlands-Krieg/!5876987
## AUTOREN
Jan Feddersen
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Afghanistan
Bundeswehr
Aufrüstung
Militär
Lesestück Interview
Diversität
Schwere Waffen
IG
wochentaz
Bundeswehr
Schwerpunkt Afghanistan
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Cyberwar
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
## ARTIKEL ZUM THEMA
Verteidigungsexpertin Claudia Major: „Raus aus der Kuschelecke“
Zum Krieg Russlands gegen die Ukraine bezieht Claudia Major klar Stellung.
Ein Gespräch über die Chancen von Verhandlungen und deutsche Versäumnisse.
Biefang legt Verfassungsbeschwerde ein: trans Soldatin geht nach Karlsruhe
Ihr Tinder-Profil eckte bei der Bundeswehr an. Jetzt klagt die pansexuelle
Kommandeurin gegen den gerichtlich bestätigten Verweis.
Unterdrückte Frauen in Afghanistan: Neue US-Sanktionen gegen Taliban
Höhere Schulen sind für Mädchen in Afghanistan tabu. Außenminister Blinken
kündigt nun Einschränkungen bei der Visavergabe für Taliban-Mitglieder an.
Deutsche Reaktion auf Russlands Krieg: Was wurde aus der Zeitenwende?
Vor sechs Monaten verkündete Olaf Scholz die „Zeitenwende“ und 100
Milliarden für die Bundeswehr. Was wurde daraus?
Technik-Akademie für Rüstungsforschung: Die Zivilklausel soll fallen
Die Akademie der Technikwissenschaften plädiert für einen Ausbau der
Rüstungsforschung. Zivilklauseln sollen „kritisch überdacht“ werden.
Umgang mit Autokrat Putin: Naive Regime-Change-Fans
Auf einen Regimewechsel zu setzen, ist leichtfertig. Nicht mit Putin
verhandeln zu wollen, ist verständlich, aber falsch. Eine Antwort auf Claus
Leggewie.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.