Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Grüne Jugend im Gespräch: „Die Ampel reagiert erst auf Druck“
> Timon Dzienus und Sarah-Lee Heinrich stehen vor der Wiederwahl als
> Bundessprecher*innen der Grünen Jugend. Ein Gespräch.
Bild: Die alte und wohl auch neue Doppelspitze: Sarah-Lee Heinrich und Timon Dz…
taz am wochenende: Frau Heinrich, Herr Dzienus, auf einer Skala von 1 bis
10 – wie zufrieden Sind Sie mit der Regierungsarbeit der Grünen?
Timon Dzienus: Wir sind eigentlich gegen Noten. Aber vielleicht 5 für die
Ampel?
Sarah-Lee Heinrich: Und 7 für die Grünen?
Dzienus: Es gibt lange überfällige Verbesserungen in
gesellschaftspolitischen Bereichen, wie [1][die Abschaffung des Paragrafen
219a]. Im Klima- und Sozialbereich ist die Bilanz dagegen ernüchternd, weil
SPD und FDP oft blockieren und die Ampel erst dann reagiert, wenn der Druck
groß genug wird. Auch einige Projekte, die die Ampel schnell umsetzen
wollte, lassen auf sich warten. Wo bleibt die Ausbildungsplatzgarantie oder
das Aufnahmeprogramm für die Menschen aus Afghanistan?
[2][Es gibt jetzt 200 Milliarden Euro], mit denen unter anderem der
Gaspreis gedeckelt werden soll. Was ist denn daran ernüchternd?
Heinrich: Wie gesagt: In sozialen Fragen reagiert die Ampel erst, wenn der
Druck hoch genug ist. Die Faktenlage, dass der Gaspreis auf den Grundbedarf
gedeckelt werden muss, und die Konzepte dafür gibt es schon seit Monaten.
Und dass die Gasumlage keine gute Idee ist, war schon in dem Moment klar,
als sie angekündigt wurde. Es hat also nicht das bessere Argument gefehlt,
sondern der Druck aus der Gesellschaft. Wir freuen uns, dass der jetzt
wirkt. Und wir werden weitermachen damit.
An welchen Stellen sind Sie unzufrieden mit der Rolle, die Ihre Partei in
all dem spielt?
Heinrich: Wir sehen, dass es oft die Grüne Partei ist, die sich für die
Menschen und das Klima einsetzt. Aber den Leuten, die ihre Rechnungen
gerade nicht bezahlen können, ist es egal, wer im Kabinett die notwendigen
Maßnahmen vorantreibt und wer sie blockiert. Sie erwarten noch mehr von der
Regierung, und das zurecht. Wir stehen vor einer krassen sozialen Krise im
Winter. Und die Klimakrise holt uns jetzt schon an vielen Orten der Welt
ein. Die Grünen müssen sich nicht nur für das Richtige einsetzen, sondern
sich auch durchsetzen.
Im Grundsatz liegen die Grünen also immer richtig? Auch bei der jetzt
gekippten Gasumlage, die aus dem Hause Habeck kam?
Heinrich: Der Kanzler und der Finanzminister wollten die Uniper-Rettung
damals nicht über den Haushalt finanzieren, nur deswegen kam es dazu. Es
war trotzdem falsch, dass das Wirtschaftsministerium die Gasumlage
mitgetragen hat. Man hätte in die Auseinandersetzung gehen müssen. Uns war
schnell klar, dass die Umlage ein gravierender Fehler ist. Das haben wir
sehr früh kommuniziert. Gut, dass die Umlage jetzt vom Tisch ist.
Am Dienstag hat Robert Habeck angekündigt, dass [3][zwei Atomkraftwerke
wohl übers Jahresende hinaus laufen werden]. Zwei Tage später kam die
Einigung beim Gaspreis. Lohnt sich dieser Deal?
Dzienus: Ich glaube nicht, dass es einen solchen Deal gibt. Es geht um zwei
unterschiedliche Komplexe. Das eine ist eine soziale Frage von einem
notwendigen Gaspreisdeckel und das andere eine Frage der
Versorgungssicherheit. Es ist nicht seriös, beides zu vermischen.
In der Grünen-Fraktion gab es Verärgerung über Habecks Vorstoß. Bei Ihnen
auch?
Dzienus: Die Entscheidung, ob die Reserve gezogen wird, steht in einigen
Wochen an. Im Moment liegen noch gar nicht alle Parameter vor, die für so
eine Bewertung nötig sind. Im Stresstest ging es ja nicht nur um die
maroden Atomkraftwerke in Frankreich, deren Inbetriebnahme unklar ist,
sondern auch um Faktoren wie Stromeinsparungen und Lastenmanagement.
Was findet die Grüne Jugend schlimmer: Kompromisse bei Kohle oder bei Atom?
Dzienus: Das Festhalten an der Hochrisikotechnologie Atomkraft oder am
Klimakiller Kohle ist beides nicht Teil einer langfristigen Lösung. Was wir
brauchen ist ein Turbo beim Ausbau der Erneuerbaren.
Wie bitter waren für Sie die Entscheidungen hin zu fossilen Energien, die
die Grünen in den vergangenen Monaten getroffen haben?
Dzienus: Wir verstehen, dass die Versorgungssicherheit gerade eine wichtige
Frage ist. Wenn man jetzt aber auf eine Kohlereserve oder provisorische
LNG-Terminals setzt, müssen an anderen Stellen Ausgleichsmaßnahmen her, um
Emissionen einzusparen und die Klimaziele zu erreichen. Wir erwarten, dass
die Ampel da liefert. Zudem muss ein neuer fossiler Log-in verhindert
werden, deshalb fordern wir eine Strategie für einen Gasausstieg.
An diesem Samstag findet der Bundeskongress der Grünen Jugend statt. Im
Leitantrag geht es vor allem um soziale Fragen. Wird der Klimaschutz auch
bei Ihnen zum Opfer der Krise?
Dzienus: Nein. Wir sagen immer wieder, dass das Klima jetzt nicht hinten
angestellt werden darf, da erwarten wir auch eine klare Haltung der
Bundesregierung. Es braucht eine solidarische Bewältigung aller Krisen, bei
der nicht das eine gegen das andere ausgespielt wird.
Heinrich: Das eine bedingt das andere. Die Akzeptanz für Klimaschutz
schwindet im Moment, weil die Menschen Angst haben, dass alles noch teurer
wird. Klar, in Wirklichkeit steigen die Preise wegen fossiler Energien,
aber ich kann die Sorgen verstehen. Immerhin glänzt die Ampel nicht, wenn
es um soziale Fragen geht. Deswegen müssen wir als Klimabewegung und
deswegen muss auch die Grüne Partei eine klare soziale Alternative
formulieren und diejenigen zur Kasse bitten, die wirklich von der Krise
profitieren.
Traditionell wird die Grüne Jugend weniger stark wahrgenommen als etwa die
Jusos. Im Moment steigt Ihre mediale Präsenz aber. Woran liegt das?
Heinrich: Als Grüne Jugend sparen wir nicht an Kritik an der
Ampelregierung, sowohl in der Partei als auch in der Zivilgesellschaft.
Dabei nehmen wir oft eine Oppositionsrolle ein, obwohl wir natürlich
irgendwie zum grünen Projekt gehören. Die Resonanz zeigt uns, dass wir mit
unserer Kritik nicht alleine sind.
Beschäftigt es Sie, dass Sie durch eine politische Laufbahn persönlich an
Radikalität verlieren könnten? Das beobachtet man bei früheren Vorsitzenden
von Jugendorganisationen gelegentlich.
Dzienus: Spannende Frage. Aber ich engagiere mich politisch nicht für ein
Amt oder Mandat, sondern weil ich die herrschende Ungerechtigkeit
beschissen finde und das ändern möchte.
Heinrich: Ich habe mir diese Frage tatsächlich schon zu dem Zeitpunkt
gestellt, als ich Bundessprecherin der Grünen Jugend wurde. Ich habe ja
vorher viel Aktivismus gegen Hartz IV und Kinderarmut gemacht. Wir haben
unsere Kritik am Koalitionsvertrag sehr deutlich gemacht, weil er
bestenfalls mittelmäßig war und die vielen Menschen in Armut mehr verdient
haben. Politisch war es in der Situation zwar trotzdem richtig, keine
No-Ampel-Kampagne vom Zaun zu brechen. Aber mir ist dabei auch flau
geworden.
Diese Abwägung zu treffen, gehört zu meinen Aufgaben dazu. Gefährlich ist
es, wenn die eigene Rolle etwas an der eigenen Analyse ändert. Wäre doch
schlimm, wenn ich mir jetzt einreden würde, das Bürgergeld ist okay, nur
weil ich nicht mit diesem Widerspruch klar komme. Deswegen machen wir uns
jetzt auch weiter dafür stark, nicht nur den Namen, sondern das System zu
ändern.
Was wollen Sie in Ihrer zweiten Amtszeit anders machen als in der ersten?
Heinrich: Wir sind ja zwischen Sondierungen und Koalitionsverhandlungen ins
Amt gekommen und wollten natürlich alles richtig machen. Das war ein irrer
Druck. Aber man lernt mit jedem Mal dazu. Beim Koalitionsvertrag haben wir
was gelernt, beim Sondervermögen was anderes – zum Beispiel, welche große
Rolle die gesellschaftliche Stimmung im Verhältnis zum Handlungsspielraum
einzelner Abgeordneter spielt. Im Herbst und Winter werden wir in
Bündnissen auf der Straße sein und für mehr Solidarität und Gerechtigkeit
kämpfen. Diese Erfahrungen würden wir natürlich gerne mit ins nächste Jahr
nehmen.
Soll es deshalb auch längere Amtszeiten für den Vorstand geben? Bisher ist
nur eine Wiederwahl möglich. Sie wollen die Satzung in dem Punkt ändern.
Dzienus: Wir diskutieren verschiedene Anträge, um die Grüne Jugend weiter
zu entwickeln. Wir wollen ein Verband der Vielen werden und unsere
Schlagkraft erhöhen. Die Wiederwahlregelung ist einer der Anträge. Wir
diskutieren beispielsweise aber auch eine antirassistische Strategie für
den Verband, um migrantisierte Menschen besser anzusprechen und zu fördern.
Und die Struktur unserer Ortsgruppen, um vor Ort noch stärker sein zu
können.
Sie haben gerade angesprochen, dass die Grüne Jugend im Herbst an
Sozialprotesten teilnehmen wird. Wer sind dort Ihre Partner?
Heinrich: Wir haben uns der [4][„Genug ist genug“-Kampagne] angeschlossen,
die gemeinsam mit Gewerkschaften Bündnisse auf die Straße bringen und
Solidarität für die Tarifverhandlungen im Winter organisieren will. Es gibt
auch einen Zusammenschluss vom Paritätischen, dem BUND und Verdi, die zum
22. Oktober zu Demonstrationen aufrufen. Daran werden wir uns beteiligen.
Und es gibt viele kleine und lokale Bündnisse.
Kann man als Jugendorganisation einer Regierungspartei glaubwürdig gegen
die Regierungspolitik demonstrieren?
Dzienus: Sehr glaubwürdig sogar. Genau das ist unsere Aufgabe. Wir
verstehen uns als Scharnier und setzen uns dafür ein, die Forderungen aus
Sozial- und Klimabewegung in Partei und Parlament zu tragen. Wir dürfen uns
jetzt nicht auf das Regierungshandeln zurückziehen, sondern müssen mit der
Zivilgesellschaft zusammenarbeiten.
Heinrich: Es gibt natürlich einen Widerspruch in so einer Situation. Wir
müssen uns Glaubwürdigkeit erst erarbeiten. Aber viele Verbündete haben im
letzten Jahr gemerkt, dass wir unsere Positionen auch in unserer neuen
Rolle nicht aufweichen.
Die Klimabewegung hat gerade die grüne Parteizentrale in
Nordrhein-Westfalen wegen der drohenden Abbaggerung von Lützerath im
Rheinischen Braunkohlerevier besetzt. Die sagen doch nicht: Die Grüne
Jugend ist okay, wir besetzen nur die erwachsenen Grünen.
Dzienus: Ich kann verstehen, dass es in der Klimabewegung wegen Lützerath
Unmut gibt. Wir waren in der Vergangenheit bei den Protesten vor Ort, und
wenn die Bagger kommen, werden wir wieder da sein. Um unsere Klimaziele
einzuhalten, darf die Kohle unter Lützerath nicht abgebaggert werden. Der
Bundestag hat sich bereits für den Erhalt des Dorfes ausgesprochen. Wir
erwarten von der Bundes- und der Landesregierung, dass sie eine
Entscheidung im Sinne des Klimaschutzes treffen und Lützerath retten.
Sind mit Blick auf Sozialproteste im Herbst Bündnisse mit der Linkspartei
denkbar?
Heinrich: Sie ist in vielen lokalen Bündnissen vertreten und ich finde, man
muss den Vernünftigen in der Partei den Rücken stärken. Wir wollen nicht
den Rechten die Straße überlassen und distanzieren uns deutlich von denen,
die gemeinsame Sache mit ihnen machen.
30 Sep 2022
## LINKS
[1] /Abschaffung-von-Paragraf-219a/!5863226
[2] /Bundesregierung-verkuendet-Gaspreisbremse/!5880548
[3] /Streckbetrieb-von-zwei-AKWs/!5880373
[4] https://www.wirsagengenug.de/
## AUTOREN
Sabine am Orde
Tobias Schulze
## TAGS
Bundeskongress
Protest
GNS
Bündnis 90/Die Grünen
Doppelspitze
Grüne Jugend
Schwerpunkt Klimawandel
Energiekrise
Grüne Jugend
Autonome Kurdenregion
Grüne Jugend
LNG
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kohlepolitik in NRW: Wo bleibt die CO2-Minderung?
NRW will acht Jahre früher aus der Kohle aussteigen. Zugleich sollen
Braunkohlekraftwerke länger laufen. Wie man das nennt? Eine unschöne
Mogelei.
Kohleabbau in der Energiekrise: Lützerath wird nicht gerettet
Wegen der Energiekrise will RWE die Kohle unter dem Ort in NRW abbauen.
Gleichzeitig plant der Konzern, den Kohleausstieg bereits 2030 zu
vollziehen.
Bundeskongress der Grünen Jugend: Bloß nicht erwachsen werden
Ältere Mitglieder, mehr Amtszeiten? Die Grüne Jugend stimmt gegen
Reformvorschläge ihres Vorstands. Für ihre Doppelspitze ist somit bald
Schluss.
Türkischer Angriff auf Kurden: Grüne Jugend fordert klare Worte
Vor der Türkeireise von Annalena Baerbock gibt es aus der eigenen Partei
Druck auf die Außenministerin.
Grüne Jugend zum Sondervermögen: Weniger Ärger mit den jungen Leuten
Die Grüne Jugend protestierte gegen das Bundeswehr-Sondervermögen – doch
junge Abgeordnete sagten ja. Wie viel Einfluss hat der Nachwuchs noch?
Umweltverbände zu LNG-Terminals: Scharfe Kritik an Flüssiggas-Gesetz
An der Küste sollen schnell LNG-Terminals gebaut werden. Umweltverbände und
Grüne Jugend halten die Pläne für überdimensioniert.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.