# taz.de -- Globaler Klimastreik: Eine neue Phase beginnt | |
> Trotz vieler Katastrophenmeldungen hat die Klimabewegung zuletzt weniger | |
> Menschen mobilisiert. Ein Scheitern ist das nicht, im Gegenteil. | |
Bild: An Massendemonstrationen wie im Sommer 2019 kommt Fridays For Future zurz… | |
Es war ein bis dato unvergleichlicher Erfolg für die Klimabewegung: 1,4 | |
Millionen Menschen zogen allein in Deutschland in über 500 Orten durch die | |
Straßen und standen mit lauten Sprechchören und ihrer schieren Masse für | |
etwas ein, was schon längst hätte passieren müssen: dass die Politik den | |
Klimawandel endlich ernst nimmt, sich an das 1,5-Grad-Ziel hält und für | |
eine lebenswerte Gegenwart und Zukunft sorgt. | |
Das war beim Globalen Klimastreik im September 2019. An der anschließenden | |
Demonstration im November nahmen schon deutlich weniger Menschen teil. Dann | |
kam die Coronapandemie und mit ihr das vorläufige Ende von Großdemos. Doch | |
auch jetzt, da die Zusammenkünfte wieder erlaubt sind, tut sich die | |
Klimabewegung schwer, die Massen zu mobilisieren. Von 1,4 Millionen | |
Teilnehmenden konnte sie zuletzt nur träumen. Und das, [1][während die | |
Folgen der Klimakrise auch in Deutschland immer krasser zu spüren sind]. | |
Ein Problem und ein fatales Signal für die nötige Transformation hin zur | |
Klimaneutralität. Oder? | |
Zunächst ist es vor allem eines: völlig normal. „Bei Demos gibt es meist | |
einen harten Kern aus Menschen, die quasi bei jeder Demo dabei sind und | |
sich dem Thema sehr verpflichtet fühlen“, erklärt Protest- und | |
Bewegungsforscher Simon Teune. „Um diesen Kern herum gibt es weitere | |
Schichten von Teilnehmenden. Dazu gehören Menschen, die vielleicht nur alle | |
paar Jahre mal zu einer Demo gehen.“ Sie seien deutlich schwieriger zu | |
mobilisieren und gingen nur auf die Straße, wenn etwa einschneidende, | |
historische Ereignisse vorangegangen sind, die bei ihnen das Bedürfnis | |
wecken, den eigenen Unmut kundzutun. | |
Einschneidend im Vorfeld des Globalen Klimastreiks 2019 war zum Beispiel | |
der Hitzesommer 2018. Hinzu kam eine Begeisterung und Inspiration durch | |
Greta Thunberg – ein Effekt, den Forscher*innen als „Greta-Effekt“ | |
beschreiben. Sorgen und Wut, aber auch Hoffnung waren die Gefühle, die | |
viele Teilnehmende damals beschrieben. Aber große Gefühle haben einen | |
Haken: Sie bleiben nicht konstant auf demselben Level – dafür ist unsere | |
Psyche einfach nicht gemacht. Sie ebben ab und bekommen vielleicht noch | |
Gesellschaft von Enttäuschung und Resignation, [2][wenn die Politik nicht | |
wie erwünscht auf eine Großdemo reagiert]. Dann fehlt die Motivation, | |
wieder zum nächsten Streik zu gehen. Und spätestens seit 2020 überlagern | |
noch andere Krisen und Sorgen die Klimakrise. | |
## „Soziale Bewegungen verlaufen in Phasen“ | |
Die sinkenden Teilnehmendenzahlen sind in Anbetracht dessen nicht nur | |
normal, sie lassen auch keine Rückschlüsse auf einen Misserfolg oder gar | |
ein Scheitern der Klimabewegung zu. „Dauerhaft große Zahlen auf die Straßen | |
zu bringen ist nicht die einzige Logik, nach der der Druck von sozialen | |
Bewegungen funktioniert“, erklärt Teune. „Soziale Bewegungen verlaufen in | |
Phasen und jede Phase bringt andere Aufgaben mit.“ | |
In der ersten Phase – und hier waren eindrucksvolle Zahlen bei den | |
Großdemos durchaus wichtig – sei es darum gegangen, ein Problembewusstsein | |
in der breiten Bevölkerung zu etablieren. Denn damit entstehe weiterer | |
Druck auf die Politik. Und das habe die Bewegung bereits erreicht. | |
Ein Forscherteam, das die Wirkung von Fridays for Future untersucht hat, | |
stellte 2020 einen Zusammenhang zwischen den Demos und der Zahl der | |
Google-Suchaufträge für „Klimawandel“ fest. Der absolute Höchstwert war … | |
20. September 2019 erreicht – am Tag der bisher erfolgreichsten Großdemo. | |
Und auch eine langfristige Bewusstseinsänderung ist in Zahlen ablesbar: | |
2021 zeigte das Eurobarometer, dass 93 Prozent der Befragten den | |
Klimawandel für ein ernstes Problem hielten. | |
Doch auch wenn es sich inzwischen keine Partei mehr leisten kann, sich | |
nicht zum Klima zu verhalten, reichen die politischen Maßnahmen längst | |
nicht aus, um eine ausreichende ökologische Transformation herbeizuführen. | |
Wäre es da nicht hilfreich, wenn jetzt noch einmal Rekorde auf der Straße | |
gebrochen würden, um an die Brisanz des Themas zu erinnern? | |
## FFF hat neue Forderungen in ihr Programm aufgenommen | |
„Eine Transformation ist ein Prozess, bei dem an keinem Punkt sicher ist, | |
dass er gelingt. Es kann immer sein, dass man irgendwo scheitert“, sagt | |
Kora Kristof, Transformationsforscherin und Abteilungsleiterin beim | |
Umweltbundesamt. Deshalb sei es auch wichtig, dass die Klimabewegung weiter | |
präsent ist und Menschen mobilisiert. „Demos sind gut für die | |
Sichtbarkeit“, so Kristof. Solange das Engagement der Bewegung auch durch | |
verschiedene andere Aktionen und konkretes Tun erkennbar bleibt und medial | |
begleitet wird, sei es aber nicht entscheidend, dass bei den Demos immer | |
wieder Maximalzahlen erreicht werden. | |
Und diese „anderen Aktionen“ gibt es: Mitglieder von Fridays for Future und | |
anderen Gruppen sitzen in Talkshows, arbeiten mit der Wissenschaft zusammen | |
an Lösungsvorschlägen, sprechen mit Politiker*innen, starten Petitionen, | |
organisieren oder begleiten Klimaschutzprojekte in Gemeinden und vieles | |
mehr. | |
Der Einschätzung Kristofs stimmt auch Protestforscher Teune zu. Es sei zwar | |
nicht egal, wie viele Menschen zu den Streiks gehen, wichtiger für die | |
Bewegung sei in der jetzigen Phase aber eine neue inhaltliche Ausrichtung. | |
„In der aktuellen Situation ist es die Aufgabe der Klimabewegung, die | |
Krisen, die wir erleben, in Verbindung zu bringen“, so Teune. | |
Als die Fridays for Future auf den Plan traten, waren ihre Forderungen auf | |
Klimaschutz begrenzt: Im Zentrum standen der Kohleausstieg und die | |
Energiewende. In Anbetracht der neuen Krisen reicht das nicht mehr, findet | |
der Protestforscher: „Die Bewegung muss jetzt vor allem darauf hinweisen, | |
dass wir nicht nur Lösungen brauchen, die dem Klima nutzen, sondern | |
[3][solche, die gleichzeitig auch sozial gerecht sind.]“ Die Klimabewegung | |
habe das auf dem Schirm, könnte es aber noch viel deutlicher machen. „Die | |
soziale Zuspitzung, die wir momentan erleben, könnte als Chance begriffen | |
werden, mehr Menschen anzusprechen“, so Teune. Und je mehr Menschen ein | |
Bewusstsein für die Klimakrise und sinnvolle Lösungen haben, desto besser. | |
Auch wenn sie es eben nicht unbedingt auf der Straße kundtun müssen. „Das | |
Engagement muss sichtbar bleiben. Große Zahlen auf Demos sind dafür aber | |
nicht der einzige Gradmesser.“ | |
22 Sep 2022 | |
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## AUTOREN | |
Lena Wrba | |
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