| # taz.de -- „Die Kriegerin“ von Helene Bukowski: Blumen und Härte | |
| > Helene Bukowskis neuer Roman „Die Kriegerin“ erzählt von Soldatinnen, d… | |
| > Verletzlichkeit überwinden wollen. Ein Porträt. | |
| Bild: Recherchierte für ihren Roman unter anderem im Blumenladen: Helene Bukow… | |
| Folgt man der Schriftstellerin Helene Bukowski auf Instagram, könnte man | |
| glauben, sie halte sich selbst oft in dieser postzivilisatorischen Welt | |
| auf, die sie für ihren [1][Debütroman „Milchzähne“] geschaffen hat. | |
| Gleißendes Licht hinter schweren Vorhängen, verdorrtes Gras, rissige | |
| Holzfassaden. Zum einen liegt das an Brandenburg, wo die 29-Jährige mit | |
| Freund:innen ein Haus besitzt und wo die Wälder in diesem Sommer | |
| besonders leicht entflammbar waren. Zum anderen an ihren Besuchen am Set in | |
| Mecklenburg-Vorpommern, wo „Milchzähne“ gerade verfilmt wird und die Hitze | |
| gleichermaßen sengte. | |
| Bukowski war angeboten worden, das Drehbuch selbst zu schreiben, sie lehnte | |
| aber ab, weil sie das erstens noch nie gemacht und es zweitens schön | |
| gefunden habe, den Stoff abzugeben an eine „junge und coole Frau“, die | |
| Regisseurin Sophia Bösch nämlich. | |
| Sie überließ ihr lediglich das Moodboard zum Roman, eine digitale | |
| Bildersammlung aus flirrenden Farben, die ihr beim Schreiben halfen. Diese | |
| Farben braucht sie schon lange nicht mehr, denn ihr neuer Roman „Die | |
| Kriegerin“ ist „eher pastellig“. | |
| ## Das Spiel mit der Toughness | |
| Wir treffen uns an einem heißen Nachmittag im Berliner Bergmannkiez. Hier | |
| um die Ecke befindet sich „Der Blumenstand“, wo Helene Bukowski lernte, | |
| dass man alles Vertrocknete auch einfach wegschneiden kann. Protagonistin | |
| Lisbeth arbeitet als Floristin, und Bukowski wollte wissen, wie viel | |
| Disziplin und körperliche Ausdauer es braucht, um Blühendes am Leben zu | |
| halten und damit zu handeln. | |
| „Denkt man an Blumen und Blumenladen, kommen einem als Erstes Schönheit und | |
| Fragilität in den Sinn“, sagt sie. In Wahrheit ist es ein Knochenjob: weit | |
| vor Sonnenaufgang zum Großmarkt, Auftragsflut in den Hochzeiten, Gestecke, | |
| die komplett ersetzt werden müssen, ist nur eine Blume verwelkt, schwere, | |
| hüfthohe Vasen, die täglich frisches Wasser brauchen. | |
| Lisbeth hat am Ende des Tages kribbelnde Hände und vom Pflanzensaft | |
| verfärbte Finger. Bukowski brauchte für ihre Hauptfigur einen Job, der sie | |
| abends gut schlafen lässt, denn Lisbeth leidet seit ihrer Kindheit an einer | |
| Hautkrankheit, und um die in Schach zu halten, muss sie ihren Körper | |
| herausfordern. | |
| Als Kind hört Lisbeth oft, sie müsse robuster werden. Doch ihre Hülle | |
| bleibt durchlässig. Weil Lisbeths Haut juckt, blutet und nässt, lernt sie, | |
| sich zu stählen. Erst beim Tanzen, dann bei der Bundeswehr. Sie beginnt | |
| eine Ausbildung zur Soldatin, um jede Verletzlichkeit zu überwinden, und | |
| lernt dort die Kriegerin kennen, die aus anderen Gründen die gleiche | |
| Absicht hat. | |
| Bukowskis Protagonistinnen sind wütende Frauen, traumatisierte Frauen. In | |
| Rezensionen zu ihrem ersten Roman hieß es oft, sie erschaffe „toughe | |
| Heldinnen“. „Dabei mag ich einfach vielschichtige Frauenfiguren“, sagt si… | |
| „Das wird dann immer gleich als unabhängig und stark gelesen.“ In ihrem | |
| neuen Roman spielt Bukowski mit dieser vermeintlichen Toughness. Lässt sie | |
| erst auf ein gesundes Maß anwachsen und dann kippen, sodass Lisbeth und die | |
| Kriegerin beinahe daran zugrunde gehen. | |
| Nach einem Vorfall in der Kaserne bricht Lisbeth ihre Dienstzeit ab, geht | |
| zurück nach Jena, gründet eine Familie, wird Floristin. Doch was in der | |
| Ausbildung geschah, holt sie ein. Sie flieht ans Meer, das ihrer Haut immer | |
| schon Linderung verschaffte, und trifft die Kriegerin wieder. Für die | |
| beiden beginnt eine Zeit, in der sie sich mit Gewalt aus der Vergangenheit | |
| auseinandersetzen müssen: der, die sich gegen sie richtete, und der, die | |
| von ihnen ausging. | |
| So wie „Milchzähne“ nicht als Parabel auf die Klimakrise gedacht war, ist | |
| auch die „Die Kriegerin“ kein Antikriegsroman. Trotzdem geben die äußeren | |
| Umstände den Geschichten Aktualität. Eigentlich sind es aber menschliche | |
| Beziehungen in Extremsituationen, die Bukowski interessieren. Und eben | |
| komplexe Akteurinnen an Orten, „an denen Frauen nicht unbedingt vorgesehen | |
| sind“, wie zum Beispiel in der Bundeswehr. | |
| ## Schreibende Figuren | |
| Am Anfang jeder Geschichte steht für Helene Bukowski meist ein Foto oder | |
| Bild, irgendwas Visuelles. Bei „Die Kriegerin“ waren es Aufnahmen der | |
| israelischen Fotografin Mayan Toledano, die vor ein paar Jahren israelische | |
| Soldatinnen inszenierte: wunderschöne junge Frauen in wunderschönen | |
| Landschaften – eigentlich normale Bilder in Instagram-Ästhetik – würden s… | |
| nicht Uniformen tragen, deren dunkles Grün sich an den rosastichigen Himmel | |
| schmiegt. Hier hat Helene Bukowski das „Pastellige“ für ihren Roman her, an | |
| dem sie seitdem festhielt. | |
| Diese Arbeitsweise hat sie schon aus der Grundschule. Helene Bukowski, | |
| 1993 in Berlin geboren, ging auf „so eine Montessorischule“, wo man viel | |
| machen darf, was man möchte, und richtige Grammatik oder Rechtschreibung | |
| erst mal keine so große Rolle spielen. | |
| Sie erinnert sich an ein Arbeitsheft, das dazu aufforderte, auf die linke | |
| Seite ein Bild zu malen und auf die rechte Seite eine Geschichte zu | |
| schreiben. „Das hat mir großen Spaß gemacht, und ich wurde viel bestärkt. | |
| Die Lehrerin fand: toll. Meine Eltern: toll. Andere Leute: toll“, sagt sie | |
| und lacht. | |
| Kindern sagt man ja oft, dass sie ihre Sache gut machen, aber bei Helene | |
| Bukowski und dem Schreiben ging es so weiter. In der Oberstufe motiviert | |
| sie ein anderer Lehrer, bei einem Wettbewerb mitzumachen; sie sollte zu | |
| einem Bild des Künstlers Jeff Wall eine Kurzgeschichte entwickeln. Sie | |
| gewinnt den Wettbewerb, und als sie nach der Schule und einem Au-pair-Jahr | |
| in London nicht genau weiß, wie es weitergeht, erinnert ihr Vater sie | |
| daran, dass man Schreiben auch studieren kann. | |
| Also geht sie nach Hildesheim für Bachelor und Master, insgesamt sechs | |
| Jahre lebt sie dort. Aus der Zeit geblieben sind ihr enge Freundschaften | |
| und die Erfahrung gemacht zu haben, Dinge einfach mal anzustoßen, nicht | |
| groß zu überlegen. „In Berlin gibt es diese Energie von ‚Alles schon mal … | |
| gewesen‘, die einen lähmt, überhaupt etwas anzufangen.“ In Hildesheim war | |
| das anders. | |
| Schon während ihres Studiums beginnt sie mit „Milchzähne“, aber das Proje… | |
| besteht lange nur aus Fragmenten, die sie nicht zusammengeschnürt kriegt. | |
| Was ihr hilft, ist, die Figur der Skalde zur Schreibenden zu machen, die | |
| sich mit Notizen ihrer selbst und des Vergangenen vergewissert. „Da hat | |
| sich für mich was gelöst“, sagt Bukowski. „Weil ich plötzlich wusste, wie | |
| sie es erzählt, konnte ich es selbst erzählen.“ | |
| Sowieso hat das Schreiben für ihre Protagonistinnen immer etwas | |
| Existenzielles. Die Kriegerin schreibt, weil das Schweigen mit dem „Gewicht | |
| von Gehwegplatten“ auf ihr liegt und zu sprechen unmöglich ist. | |
| ## Frau-lässt-Kind-im-Stich-Erzählung | |
| Ein anderes Motiv in ihren Romanen sind Mutter-Kind-Verhältnisse, die wohl | |
| unter den Begriff „Regretting Motherhood“ fallen würden. In „Milchzähne… | |
| fremdelt Edith immer wieder mit Tochter Skalde, sieht sie zwischenzeitlich | |
| gar als Gefahr, Zärtlichkeiten gibt es kaum. Lisbeth aus „Die Kriegerin“ | |
| verlässt Freund und Sohn gleich für mehrere Jahre. Im Buch hat die | |
| Frau-lässt-Kind-im-Stich-Erzählung eine schöne Beiläufigkeit, denn | |
| gedanklich befasst sich Lisbeth nicht allzu viel damit, Freund und Sohn | |
| kommen ohnehin ganz gut allein klar. | |
| Für ihren Roman hat Bukowski sehr viel recherchiert, und das merkt man | |
| auch. Sie hat Soldatinnen und Veteranen interviewt, sich mit Büchern, Dokus | |
| und Zeitungsartikeln Wissen zu Kampfhandlungen, posttraumatischer | |
| Belastungsstörung und sexualisierter Gewalt draufgeschafft. | |
| Nach „Milchzähne“ sei ihre Mutter häufiger darauf angesprochen worden, was | |
| denn mit der Helene los sei, ob sie eine ganz schlimme Kindheit gehabt | |
| habe, alles immer so schwer und düster. „Das ist ja das Komische, dass | |
| Leute denken, ich erzähle von mir.“ Dabei findet sie sich selbst relativ | |
| unspannend, zum Schreiben braucht sie Draufsicht. | |
| Bukowski ist das Gegenteil einer einsamen Kriegerin, Freund:innenschaften, | |
| Frauennetzwerke, ihre beiden Schwestern sind ihr sehr wichtig. Sie ist die | |
| „Wilde Hühner“-Generation, ihr Hausprojekt in Brandenburg sei eigentlich | |
| wie eine kleine Bande. | |
| Während sie an „Die Kriegerin“ schrieb, begann Bukowski sich für Körper … | |
| Abhärten zu interessieren. Sie fing mit Kickboxen an und macht das heute | |
| noch, mittlerweile in einem Verein, der nur Frauen aufnimmt. Dort habe sie | |
| gelernt, dass miteinander kämpfen auch aufeinander achtgeben bedeutet, dass | |
| man Sensoren braucht für die andere Person und sie jederzeit wahrnehmen, | |
| auf sie reagieren muss – sich Verletzlichkeit zunutze zu machen, statt sie | |
| zu überwinden. Ihre Figuren lernen das auf die harte Tour. | |
| 10 Sep 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Leonie Gubela | |
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