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# taz.de -- Baltische Länder und Ukrainekrieg: Vom Sockel gehauen
> In Estland, Litauen und Lettland werden sowjetische Denkmäler entfernt.
> Aus Solidarität mit der Ukraine. Und für die eigene Selbstbehauptung.
Bild: Sowjetische Sterne vom Himmel holen: Entfernung eines Denkmals mit Panzer…
Russlands Präsident Wladimir Putin setzt Prioritäten. Mehr als einmal hatte
er in der Vergangenheit gesagt, er sehe eine seiner Hauptaufgaben darin,
Denkmäler zur Erinnerung an den Sieg im Großen Vaterländischen Krieg zu
schützen.
In den baltischen Staaten Estland, Litauen und Lettland wird daraus wohl
nichts. Hier, aber auch in Polen oder Finnland, hat Moskaus Angriffskrieg
gegen die Ukraine die Diskussion, wie mit dem in Stein gemeißelten Erbe der
Sowjetunion umzugehen sei, auf die politische Tagesordnung gesetzt.
In der [1][lettischen Hauptstadt Riga] wurden an diesem Montag erste
Vorkehrungen getroffen, um ein Monument aus der Sowjetzeit zu entfernen.
Der 75 Meter hohe Gedenkkomplex war 1985 aus Anlass des 40. Jahrestages des
Sieges der Sowjetunion über Nazideutschland errichtet worden.
Am 31. März 2022 verabschiedete das lettische Parlament, die Saeima, ein
Gesetz, das öffentliche Veranstaltungen an sowjetischen Kriegsdenkmälern
innerhalb eines Radius von 200 Metern verbietet. Dennoch kamen am 9. Mai,
wie jedes Jahr, Zehntausende Russ*innen (sie stellen 35 Prozent der rund
zwei Millionen Einwohner*innen) in den Park des Sieges, um einem Festakt
beizuwohnen. Die Kundgebung wurde gewaltsam aufgelöst, kurz darauf musste
Innenministerin Marija Golubevan zurücktreten.
## Alte Wunden aufgerissen
Am 16. Juni legte die Saeima nach: Ein neues Gesetz sieht die Demontage von
allen Gedenkstätten vor, die das Sowjet- und Naziregime verherrlichen.
[2][In Estland] wurden ebenfalls Fakten geschaffen. Auf Beschluss der
Regierung vom 4. August sollen sämtliche sowjetischen Monumente abgebaut
und verlegt werden. „Es ist klar, dass die russische Aggression in der
Ukraine die Wunden in unserer Gesellschaft aufgerissen hat, an die uns
diese kommunistischen Denkmäler erinnern“, hatte Estlands
Ministerpräsidentin Kaja Kallas Anfang August gesagt. Daher sei deren
Entfernung aus dem öffentlichen Raum notwendig, um zusätzliche Spannungen
zu vermeiden.
Die gab es trotzdem in der Stadt Narwa, in der 90 Prozent der
Einwohner*innen russische Muttersprachler*innen sind. In der
vergangenen Woche wurde dort ein sowjetischer Panzer T-34 vom Sockel geholt
und ins estnische Kriegsmuseum verbracht. Die Entscheidung hatte heftige
Kontroversen ausgelöst, doch zu Ausschreitungen kam es nicht.
Das war 2007 noch ganz anders gewesen, als am 27. April in Tallinn ein
sowjetisches Kriegsdenkmal (Soldat aus Bronze) in einer Nacht- und
Nebelaktion abgebaut und auf einen Soldatenfriedhof gebracht wurde. Zwei
Nächte randalierten aufgebrachte Demonstrant*innen in Tallinn, ein
russischstämmiger Mann kam dabei ums Leben.
## Mahnmale der Besatzung
Auch Litauen will sich seiner sowjetischen Altlasten entledigen. Seit Juni
2022 liegt dem Parlament in Vilnius ein Gesetzentwurf zur
„Entsowjetisierung“ vor. Dieser sieht vor, dass nicht nur alle Statuen und
Denkmäler aus dem öffentlichen Raum verschwinden, sondern auch Namen von
Straßen und Plätzen geändert werden sollen, die an die Sowjetzeit erinnern.
Das Gesetz zum „Verbot der Förderung totalitärer und autoritärer Regime und
ihrer Ideologien“ soll zum 1. November in Kraft treten und innerhalb der
kommenden Jahre umgesetzt werden.
[3][Laut The Conversation], ein internationales Netzwerk gemeinnütziger
Medien, würden sowjetische Denkmäler in den baltischen Staaten als Mahnmale
der Besatzung angesehen, die jetzt gleichermaßen für das stünden, was
Russland seinem Nachbarland Ukraine antue.
„Vor dem Hintergrund der russischen Aggression in der Ukraine ist die
Entfernung und Verlegung der Statuen und Denkmäler nicht nur ein Ausdruck
der Solidarität mit der Ukraine. Es ist eine Art und Weise, festzulegen,
wie die Geschichte der Sowjetzeit erinnert werden soll.“ In Lettland geht
es um 300 Gedenkstätten, in Estland liegt ihr Zahl zwischen 200 und 400.
24 Aug 2022
## LINKS
[1] https://www.dw.com/de/abriss-von-sowjetischem-siegesdenkmal-in-riga/a-62904…
[2] https://www.spiegel.de/ausland/estland-radiomoderator-ueber-die-russische-m…
[3] https://theconversation.com/ukraine-war-prompts-baltic-states-to-remove-sov…
## AUTOREN
Barbara Oertel
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