# taz.de -- Eklat um Harbour Front Literaturfestival: Mäzen mit zu vielen Make… | |
> Ein Autor gibt die Nominierung zum Kühne-Preis auf – wegen des Umgangs | |
> des Konzerns mit der NS-Vergangenheit. Die Stiftung droht mit Rückzug. | |
Bild: Belastet vom Makel der NS-Vergangenheit der Firma Kühne+Nagel: Klaus-Mic… | |
Eklat beim Harbour Front Literaturfestival in Hamburg: Die Kühne-Stiftung, | |
Hauptsponsor des Festivals und des Klaus-Michael Kühne-Preises, droht mit | |
einem Ende der Preisverleihung. Hintergrund ist die Absage und Kritik des | |
jungen Autors Sven Pfizenmaier. Eigentlich war er als einer von acht | |
AutorInnen mit seinem [1][Debütroman „Draußen feiern die Leute“] für den | |
Literaturpreis nominiert. Doch Pfizenmaier hat vor einer Woche | |
zurückgezogen: wegen des Umgangs des Namensgebers Klaus-Michael Kühne mit | |
der NS-Vergangenheit seines Logistik-Konzerns Kühne + Nagel. | |
Auf Anfrage der taz erklärte die Kühne-Stiftung: Sie habe das Harbour Front | |
Literaturfestival seit mehr als zehn Jahren mit erheblichen Beträgen | |
unterstützt und es seinerzeit überhaupt erst ermöglicht. Die Kühne-Stiftung | |
fühle sich „in dieser Angelegenheit im höchsten Grade ungerecht behandelt.�… | |
Und: „Sie hat mit Vorgängen, die ca. 80 Jahre zurückliegen, nichts zu tun | |
und wird die traditionelle Verleihung des Klaus-Michael Kühne-Preises jetzt | |
überdenken.“ | |
Seit 2010 wird der Klaus-Michael Kühne-Preis im Rahmen des Harbour Front | |
Literaturfestival vergeben, das vom 8. September bis 22. Oktober in Hamburg | |
läuft. Der mit 10.000 Euro dotierte Debütpreis ging bislang an namhafte | |
AutorInnen, darunter Dmitrij Kapitelman, Fatma Aydemir, Christian Baron und | |
zuletzt 2021 an Olivia Kuderewski. In diesem Jahr schickt eine unabhängige | |
Jury acht AutorInnen in die nähere Auswahl, darunter auch taz-Redakteur | |
Daniel Schulz mit seinem [2][Roman „Wir waren wie Brüder“]. | |
## Das Kühne-Imperium ist groß | |
Hauptsponsor des Literaturfestivals ist neben der Hamburger Kulturbehörde | |
von Beginn an auch die Kühne-Stiftung, nach dessen Gründer Klaus-Michael | |
Kühne der Literaturpreis benannt ist. Der Milliardär gehört zu den | |
reichsten Deutschen und ist Erbe des Logistikunternehmens „[3][Kühne + | |
Nagel]“. Auch das Luxushotel „The Fontenay“, in dem die Preisverleihung am | |
18. September geplant ist, gehört zum Kühne-Imperium. | |
Kühne ist in Hamburg ein umtriebiger Mäzen, fördert den Hamburger | |
Sportverein sowie die Elbphilharmonie. Sein Umgang mit der Vergangenheit | |
seiner Familie und deren Unternehmen stand dem bislang nicht im Wege. Bis | |
Ende Juli. Da schickte die Redaktion des linken Hamburger Blogs | |
„[4][Untiefen]“ den Nominierten eine Interview-Anfrage mit Hinweisen auf | |
die NS-Geschichte des Logistikunternehmens Kühne + Nagel. | |
Die Firma spielte während des Nationalsozialismus europaweit eine zentrale | |
Rolle beim Abtransport „arisierten“, also geraubten, jüdischen Eigentums | |
und dessen „Verwertung“. Frank Bajohr, der Leiter des Münchner Zentrums f�… | |
Holocaust-Studien, [5][attestiert den Geschäften der Spedition während des | |
Nationalsozialismus eine „relative Nähe zum Massenmord“]. 1933 hatte Kühne | |
+ Nagel seinen jüdischen Teilhaber Adolf Maass rausgedrängt, später wurde | |
Maass in Auschwitz ermordet. Werner und Alfred Kühne, Onkel und Vater von | |
Erbe Klaus-Michael, waren seit 1933 NSDAP-Mitglieder, Kühne + Nagel wurde | |
mehrfach NS-Musterbetrieb. In den Fußstapfen der Wehrmacht dehnte sich die | |
Firma international aus. | |
Statt die Geschichte transparent aufzuarbeiten, leugnete das Unternehmen | |
lange die Relevanz. In Bezug auf das Firmenarchiv verweist Klaus-Michael | |
Kühne darauf, dass es kein Material mehr gebe, weil die Geschäftshäuser in | |
Bremen und Hamburg ausgebombt wurden. Dabei gibt es starke Hinweise, dass | |
Geschäftsunterlagen von damals noch vorhanden sind: Kühne + Nagel | |
verlagerte sein Zentralkontor damals rechtzeitig ins bombensichere Konstanz | |
und das Verzeichnis Deutscher Wirtschaftsarchive gibt für Kühne + Nagel ab | |
1902 zehn laufende Meter an „Urkunden, Akten, Protokollen, | |
Geschäftsbüchern“ an. | |
## Nachkomme hält systematische Aufarbeitung für nicht nötig | |
Klaus-Michael Kühne spricht zwar mittlerweile von einem „Bedauern über die | |
Vorkommnisse im 'Dritten Reich’“, wie er etwa im Oktober 2021 in der Zeit | |
erklärte, eine systematische Aufarbeitung der Aktivitäten von Kühne + Nagel | |
durch Fachleute hält er aber weiterhin nicht für nötig. „Ich habe gesagt, | |
das ist nicht notwendig, denn mehr als das, was allgemein bekannt ist, | |
wissen wir nicht“, sagte Kühne weiter. | |
Unter anderem diese Haltung brachte die taz dazu, sich seit 2015 um ein | |
„[6][Arisierungs“-Mahnmal] zu bemühen, dessen Bau der Bremer Senat im | |
Februar 2022 beschlossen hat – in Sichtweite des Stammsitzes von Kühne + | |
Nagel in Bremen. | |
Pfizenmaiers Verlag „Kein und Aber“ hatte seinen Roman beim Festival und | |
auch für den ausgeschriebenen Preis angemeldet. Als er sich wegen der | |
Presseanfrage des Hamburger Blogs mit der Vergangenheit von Kühne + Nagel | |
beschäftige, entschloss er sich zur Absage: „Da sich Klaus-Michael Kühne | |
dagegen wehrt, die NS-Historie seines Unternehmens aufzuarbeiten, möchte | |
ich meinen Text nicht in einen Wettbewerb um sein Geld und eine | |
Auszeichnung mit seinem Namen stellen“, sagt Pfizenmaier. | |
Das Preisgeld, auf das er eine Chance gehabt hätte, hätte er gut für die | |
Arbeit an seinem zweiten Roman gebrauchen können. „Es ist eine | |
Entscheidung, die mir mit Hinblick auf meine Mitnominierten und die | |
Mitarbeitenden des Festivals nicht leicht gefallen ist. Daher möchte ich | |
sie explizit nicht als Vorwurf gegen diese Menschen verstanden wissen“, | |
sagte er. Pfizenmaier verweist auf einen ohnehin prekären Literaturbetrieb | |
und ein komplexes Verhältnis von GeldgeberInnen und Kulturschaffenden in | |
Deutschland. Die Absage sei sein persönlicher Weg, mit dem Wissen um Kühne | |
umzugehen. | |
Beim Harbour Front Festival versucht man bis jetzt, Pfizenmaiers Kritik und | |
Absage stillschweigend zu übergehen. Auf der Webseite findet sich kein | |
Hinweis auf den Rückzug des Autors. Im Gegenteil: [7][Eine Mitteilung über | |
die Nominierten, die auf den 26. Juni 2022 datiert ist], wurde kommentarlos | |
umgearbeitet, Pfizenmaiers Eintrag durch Przemek Zybowskis Debütroman „Das | |
pinke Hochzeitsbuch“ ersetzt. So, als wäre Pfizenmaier nie nominiert | |
gewesen. | |
Das Harbour Front Literaturfestival antwortete bis Redaktionsschluss nicht | |
auf Anfrage der taz. Die Hamburger Kulturbehörde erklärte, die Diskussion | |
um die Geschichte von Kühne + Nagel und anderer Unternehmen sei wichtig. | |
„Die Kühne-Stiftung leistet seit vielen Jahren insbesondere für die Kultur | |
und Wissenschaft gute und wichtige Unterstützung, die nicht ohne Weiteres | |
durch die öffentliche Hand ersetzt werden kann.“ | |
Kühne + Nagel erklärte: Das Unternehmen habe sich „zu seiner Geschichte | |
bekannt und [8][mehrmals öffentlich sein Bedauern über Vorkommnisse im | |
Dritten Reich zum Ausdruck] gebracht.“ Im Bezug auf die Aufarbeitung heißt | |
es von Kühne + Nagel, man gehe den Weg der „firmeninternen Dokumentation“. | |
Ärger gab es im Rahmen des Festivals bislang nur 2020 um einen Auftritt der | |
Autorin Lisa Eckhart. Nach angeblicher Drohungen wegen Eckharts | |
antisemitischer Witze wurde sie zunächst aus- und dann wieder eingeladen. | |
[9][Eckhart lehnte die erneute Einladung ab und trat dann später aber | |
ungestört im Literaturhaus Hamburg auf.] | |
1 Sep 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://keinundaber.ch/de/literary-work/draussen-feiern-die-leute/ | |
[2] https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/wir-waren-wie-brueder/978-3-446… | |
[3] /Kuehne-und-Nagel/!t5014559 | |
[4] https://untiefen.org | |
[5] /Kuehne-und-Nagels-NS-Vergangenheit/!5259911 | |
[6] /Bremer-Mahnmal-zur-Arisierung/!t5318116 | |
[7] https://harbourfront-hamburg.com | |
[8] https://newsroom.kuehne-nagel.com/kuhne--nagel--bekenntnis-zu-seiner-geschi… | |
[9] /Lesung-mit-Lisa-Eckhart-in-Hamburg/!5709372 | |
## AUTOREN | |
Jean-Philipp Baeck | |
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