| # taz.de -- Energiepreiskrise in Berlin: Unterstützen, deckeln und enteignen? | |
| > Die Energiepreise steigen rasant. Was kann das rot-grün-rot regierte | |
| > Berlin allein regeln? Wichtige Fragen – die taz liefert Antworten. | |
| Bild: Geht kochen künftig nur noch auf Sparflamme? | |
| Was tut der rot-grün-rote Senat gegen die Energiepreiskrise? | |
| Bisher wartet der Senat ab, was der Bund tut. Bereits verabschiedet hat das | |
| Abgeordnetenhaus aber einen 380 Millionen Euro umfassenden Härtefallfonds | |
| zur Bewältigung der Energiepreiskrise. Mit diesem sollen Mieter:innen, | |
| öffentliche Einrichtungen, und soziale Initiativen entlastet werden. Es ist | |
| damit zu rechnen, dass auch Wirtschaftsvertreter:innen Bedarf | |
| anmelden werden. Zuletzt ins Spiel gebracht hatte Sozialsenatorin Katja | |
| Kipping (Linke) auch ein Moratorium für Strom- und Gassperren. | |
| Wird das reichen? | |
| Vermutlich nicht. [1][Wenn sich ab 2023] die Abschläge für Gaskunden | |
| verdreifachen, wie die Bundesnetzagentur warnt, und Mieter:innen | |
| Nachzahlungen in Höhe von zwei Monatsmieten drohen, wie der Mieterverein | |
| sagt, dann könnten mit dem Geld wohl nicht einmal die Mieter:innen | |
| ausreichend entlastet werden. | |
| SPD-Landeschef Raed Saleh hat bereits gefordert, den Fonds auf 1 Milliarde | |
| Euro aufzustocken – Sozialsenatorin Kipping hat das begrüßt. Der Fonds ist | |
| aber zunächst dafür gedacht, dort auszugleichen, wo der Bund nicht genug | |
| liefert. | |
| Könnten die Gaspreise nicht einfach gedeckelt werden? | |
| Klar, im Bund könnte die Ampel das tun. Auch Konzepte dafür liegen schon | |
| auf dem Tisch. Die Ökonom:innen Sebastian Dullien und Isabella Weber | |
| hatten bereits im Februar in der [2][Süddeutschen Zeitung] gefordert, einen | |
| Grundbedarf an Energie festzulegen, der zum Leben schlichtweg notwendig ist | |
| – und den Preis für diesen Grundbedarf durch Subventionen staatlich zu | |
| garantieren. Für alles, was darüber hinausgeht, müsste der Marktpreis | |
| gezahlt werden. Ähnliche Deckel fordern auf Bundesebene die Linken und der | |
| DGB. | |
| Aber, aber … Wir müssen doch Energie sparen, ist da ein Deckel nicht | |
| kontraproduktiv? | |
| Nein. Arme Haushalte haben schon vor der Energiepreiskrise gespart, wo es | |
| nur geht. Teuer würde durch den Deckel der Konsum, der über den Grundbedarf | |
| hinausgeht, also der Luxuskonsum der Ober- und der Mittelklasse. Das | |
| alternative Konzept – Steuersenkungen für fossile Brennstoffe – ist dagegen | |
| wirklich kontraproduktiv (erst recht fürs Klima!), weil so jeglicher Konsum | |
| verbilligt wird. Richtig ist aber, dass es Zusatzentlastungen bräuchte, um | |
| zum Beispiel ärmeren Familien in schlecht gedämmten Wohnungen unter die | |
| Arme zu greifen. | |
| Klingt super! Also kommt der Gaspreisdeckel? | |
| Leider ist auf Bundesebene davon nicht auszugehen. Dass die FDP krampfhaft | |
| alles ablehnt, was irgendwie nach Markteingriff aussieht, ist bekannt. Aber | |
| die Grünen sind auch nicht viel besser. Wirtschaftsminister Robert Habeck | |
| (Grüne) meint, [3][ein Deckel wäre das Signal]: „Energie ist nicht | |
| wertvoll, haut raus, was ihr wollt!“ | |
| Im Klartext sagte er damit, man dürfte ärmeren Menschen in dieser Krise | |
| nicht allzu sehr unterstützen, weil sie sonst verschwenderisch werden. Als | |
| wären arme Menschen arm, weil sie charakterlich schwach sind oder es ihnen | |
| an Disziplin mangelt – und nicht wegen kapitalistischer Verteilungslogiken. | |
| In der Hauptstadt regiert aber das sich progressiv gebende rot-grün-rote | |
| Bündnis. Kommt der Deckel also auf Landesebene? | |
| Wohl nicht – aber weniger aus politischen als aus juristischen Gründen. | |
| Grundsätzlich ist ein Gaspreisdeckel rechtlich möglich, denn das | |
| Energiesicherungsgesetz erlaubt ausdrücklich Preisgrenzen für Gas- und | |
| Strompreise. Die gesetzgeberische Kompetenz hierfür liegt aber beim Bund. | |
| Wenn der den Ländern nicht explizit erlaubt, einen Deckel einzuführen, | |
| dürfte das Vorhaben schwierig werden. Weil sich aber anders als bei der | |
| Mietenfrage die Situation in Berlin kaum von der auf Bundesebene | |
| unterscheidet, gibt es keinen Grund, warum der Bund das tun sollte – eher | |
| würde er wohl selbst einen Deckel einführen. | |
| Also kann das Land Berlin nichts tun? | |
| Moment, eine Möglichkeit gibt es. Wären die zentralen Energieunternehmen | |
| Berlins – allen voran die Gasag – im Landesbesitz, könnte Berlin natürlich | |
| Einfluss auf die Preise ausüben. | |
| Aber die Gasag ist nicht im Landesbesitz, oder? | |
| Nein, vom allgemeinen Privatisierungsrausch der 1990er Jahre blieb auch die | |
| Gasag, zuvor in Landesbesitz, nicht verschont. Sie gehört zu je grob einem | |
| Drittel dem Energiekonzernen Vattenfall, Eon und Engie – mit leichtem | |
| Besitzüberhang für Eon. | |
| Zur Zeit ihrer Privatisierung hatte die Gasag in Berlin eine | |
| Monopolstellung, seither hat sie aber etliche Kund:innen an die | |
| inzwischen etwa [4][150 konkurrierenden Anbieter] verloren. Weiterhin | |
| führen die Leitungen der Gasag aber zu etwa 360.000 Häusern und 780.000 | |
| Privat- und Gewerbekunden. | |
| Will Berlin die Gasag in Landesbesitz zurückholen? | |
| Ja, Gespräche darüber laufen seit Jahren zwischen Land und Gasag. SPD und | |
| Linke sind dafür, die Energieinfrastruktur in die öffentliche Hand | |
| zurückzuholen. Letztes Jahr gelang es, das Stromnetzinfrastruktur von | |
| Vattenfall zurückzukaufen. Die Anbieter sind in Berlin aber weiterhin | |
| private Unternehmen. | |
| Auch das Gasnetz will Berlin zurückkaufen. Hier hat das Land letztes Jahr | |
| in einem Rechtsstreit gegen die Gasag verloren. Bis Ende 2024 darf die | |
| Gasag nun das Gasnetz weiterbetreiben. Die Gasag kaufen kann Berlin aber | |
| weiterhin – ohne Gasnetzkonzession wäre das Unternehmen jedoch billiger | |
| gewesen. | |
| Wie ist denn der aktuelle Stand der Gespräche? | |
| Das Gasnetz zurückzuholen ist Konsens in der Koalition. In Politkreisen | |
| munkelt man, auch einige Konzerne, die die Gasag besitzen, seien | |
| verkaufsbereit. Die Gasag als Unternehmen kaufen wollen in der | |
| Regierungskoalition mindestens die SPD und die Linken. Die Grünen sollen | |
| sich sträuben, weil sie Gas für eine Übergangslösung halten, in die zu | |
| investieren nicht sinnvoll sei. Der genaue Stand der Gespräche ist aber | |
| nicht bekannt; sie sind vertraulich. | |
| Dauert das nicht alles viel zu lange? | |
| Ja, für die aktuelle Krisensituation ist die Rekommunalisierung nur | |
| interessant, wenn endlich Tempo in die Sache kommt. Rechtlich nicht möglich | |
| ist es wahrscheinlich, die Gasag zu enteignen, denn die Reglementierung des | |
| Energiesektors fällt in die Zuständigkeit des Bundes. Auch die SPD lehnt | |
| eine Enteignung ab – wie immer. | |
| Wegen der Möglichkeit, auf Landesebene Einfluss auf die Gaspreise zu | |
| nehmen, wäre eine schnelle Rekommunalisierung aber absolut geboten. Auch | |
| für die Gasag könnte sich eine Rekommunalisierung lohnen, denn es ist | |
| keineswegs gesichert, dass das Unternehmen unbeschadet durch die kommenden | |
| Krisenmonate und -jahre kommt. | |
| Welche Vorteile hat denn ein vergesellschaftetes Energienetz? | |
| Viele. Schon für die Energiewende ist eine Rekommunalisierung sinnvoll. | |
| Wärmepumpen müssen eingebaut, Gasleistungen für Wasserstoff umgebaut werden | |
| – all das geht einfacher, wenn dies nicht gegen den Widerstand | |
| profitorientierter Aktionäre durchgesetzt werden muss. Auch durch die | |
| Energiewende bedrohte Arbeitsplätze können so gerettet werden. | |
| Wirtschaftlich lohnt sich die Rekommunalisierung ebenfalls. Nicht nur wird | |
| die Versorgung günstiger, weil keine Renditeerwartung von Anleger:innen | |
| mehr befriedigt werden müssen – 2021 hat die Gasag 53 Millionen Euro an | |
| Dividenden ausgezahlt. Mit den Umsätzen könnten auch soziale Projekte in | |
| der Stadt finanziert werden. | |
| Und rechtlich wäre es okay, in der kommunalen Gasag einen Deckel | |
| einzuführen? | |
| Innerhalb des kapitalistischen Wettbewerbsrechts fraglich ist, ob Berlin in | |
| landeseigenen Unternehmen einfach die Preise senken und die Verluste dann | |
| mit staatlichen Geldern ausgleichen kann. Eine Möglichkeit könnte aber ein | |
| Umlagekonzept sein: Dass der Grundbedarf an Energie durch den Konsum von | |
| denjenigen refinanziert wird, die mehr als den Grundbedarf verbrauchen. | |
| Das wäre ein solidarisches Konzept, weil die Wohlhabenden, die tendenziell | |
| mehr Energie verbrauchen, den Grundbedarf der Ärmeren finanzieren – und es | |
| wäre günstiger, weil keine staatlichen Gelder gebraucht würden. Diese | |
| Möglichkeit müsste aber noch rechtlich geprüft werden. | |
| Hätte ein solcher Deckel bei der Gasag auch eine preisdämpfende Wirkung für | |
| alle anderen Anbieter? | |
| Davon kann nicht ausgegangen werden. Anders als Mineralölkonzerne wie | |
| Wintershall Dea, BP oder Shell, die fossile Brennstoffe fördern und derzeit | |
| Riesengewinne erzielen (die durch eine Übergewinnsteuer abgeschöpft werden | |
| sollten!), sind die Energieanbieter auf dem Berliner Markt | |
| Endkundenversorger. Deren Lieferanten machen momentan eher Verluste, weil | |
| Russland seine Gaslieferungen drosselt, weshalb sie kurzfristig | |
| zusätzliches Gas beschaffen müssen – was extrem teuer ist. Extragewinne | |
| machen die Berliner Anbieter also eher nicht, weshalb sie ihre Preise kaum | |
| senken können. | |
| Wäre das dann nicht unfair: günstige Preise bei der Gasag, hohe Preise | |
| überall anders? | |
| Senat und Bund müssten natürlich gegensteuern. Für Kund:innen der | |
| Privatanbieter – und alle, die in schlecht isolierten Wohnungen leben – | |
| könnte es Heizkostenzuschüsse geben, die aus dem Härtefallfonds bezahlt | |
| werden. Die Gasag-Kund:innen würden also über das Umlagesystem entlastet, | |
| die Kund:innen der Privatanbieter über öffentliche Gelder. Das wäre zwar | |
| teuer, aber ein notwendiger Zusatz zu dem sich selbst finanzierenden | |
| Umlagekonzept für die Gasag. | |
| Am besten wäre allerdings, wenn der Bund seiner Pflicht nachkommen würde – | |
| und die Energiepreise flächendeckend deckelt. | |
| 1 Aug 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Steigende-Preise-fuer-Gas-Heizoel-Strom/!5865765 | |
| [2] https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/inflation-energiepreise-gas-subventi… | |
| [3] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/verbraucher/habeck-gaspreisdeckel-101.… | |
| [4] https://www.gasauskunft.de/stadt/gasanbieter-in-berlin.html#tabGasanbieter-… | |
| ## AUTOREN | |
| Timm Kühn | |
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