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# taz.de -- Gaspreise in Deutschland: Warten auf den Preishammer
> Manche Gaskonzerne haben sich beim Import fast nur auf Russland verlassen
> und straucheln jetzt. Das müssen bald die Gaskund:innen bezahlen.
Bild: Bald auf Sparflamme: Ein Gasherd
Berlin taz | Alles muss man selbst machen – sogar Gaskonzerne retten.
Nämlich die, die sich verzockt haben, indem sie bei ihren Importen quasi
nur auf einen Lieferanten gesetzt haben: Russland. Jetzt fließt von dort
weniger Gas und sie straucheln durch die hohen Preise am Weltmarkt, die sie
bislang ihren Bestandskund:innen nicht einfach entgegen dem
vereinbarten Vertrag weitergeben können. Der Energieriese Uniper ist der
bekannteste Kandidat. Für ihn gibt es sogar einen milliardenschweren
staatlichen Rettungsschirm. Ab Herbst aber dürfen die Mehrkosten auf den
Rechnungen erscheinen.
Es zahlen auch nicht nur die Kund:innen, die direkt oder indirekt Gas der
besonders betroffenen Importeure beziehen, sondern auch der Rest. So ein
Umlageverfahren ist laut Energiesicherungsgesetz möglich, wenn plötzlich
weniger Gas kommt. Es soll dafür sorgen, dass sich die Kosten auf vielen
Schultern verteilen, damit es nicht Einzelne in astronomischer Höhe trifft.
Ab September oder Oktober soll das Programm starten.
„Das wird uns alle als Bürgerinnen und Bürger und auch die Unternehmen
früher oder später treffen“, räumte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei der
Vorstellung des Plans für Uniper ein. „You’ll never walk alone“, verspra…
er den Menschen, die sich wegen der Preissteigerungen Sorgen machen, und
verkündete auch einige Entlastungsmaßnahmen. Die genaue Höhe der Umlage ist
noch nicht klar. Erst einmal müssen die fraglichen Unternehmen ihren Bedarf
anmelden. Als Richtgröße hat Scholz aber schon 2 Cent pro Kilowattstunde
genannt. Laut dem Kanzler könne das für einen Haushalt jährliche 200 bis
300 Euro zusätzlich bedeuten.
Wie viel es im Einzelfall wirklich wird, ist allerdings schwer
einzuschätzen: Der Gasverbrauch hängt stark von der Heizungsart, der
Warmwassergewinnung, der Wohnungsgröße, Deckenhöhe und Wärmedämmung sowie
vom Wetter ab. Der Berliner Gasanbieter Gasag gibt als Durchschnittswert
für eine Wohnfläche von 100 Quadratmetern 14.000 Kilowattstunden
Jahresverbrauch an. Ein solcher Haushalt käme auf 280 Euro Umlage für ein
Jahr, also etwa zusätzliche 23 Euro pro Monat.
## Verbraucherzentralen sind besorgt
Die Energiebranche ist zufrieden. „Es ist richtig, dass die Bundesregierung
gleich am Anfang der Gaslieferkette ansetzt“, lobte Kerstin Andreae, Chefin
des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft. „Die
Handlungsfähigkeit der Gasimporteure muss im Fall von Gaslieferkürzungen
sehr kurzfristig gesichert werden, damit sie die erforderlichen
Gasersatzmengen trotz extrem steigender Börsenpreise beschaffen und liefern
können.“
Die Verbraucherzentralen sind hingegen besorgt. Sie finden nicht, dass die
angekündigten Entlastungsprogramme reichen. Das meint zum Beispiel Ramona
Pop, früher Grünen-Energiesenatorin in Berlin, jetzt Chefin des
Verbraucherzentrale Bundesverbands. Sie fordert zusätzliche Entlastungen.
„Die Unterstützung muss kommen, wenn die Preise weitergereicht werden,
damit die Verbraucher:innen sicher durch den Winter kommen“, sagt sie.
Für den Volkswirtschaftler Jens Südekum von der Heinrich-Heine-Universität
Düsseldorf müsste die Umlage eigentlich noch mehr leisten, als Uniper & Co
zu retten. Er wünscht sich mehr Anreiz zum Gassparen. „Es wird überall
gesagt: Energiesparen ist das Gebot der Stunde“, sagt er der taz. „Das
funktioniert aber nicht durch Appelle allein, ein Preissignal ist nötig.“
Die rund 2 Cent würden dafür nicht ausreichen, Südekum stellt sich eher das
Zehnfache vor. „Sonst fehlt die Lenkungswirkung“, so der Ökonom. Die wäre
aus seiner Sicht nötig, damit auch die Verbraucher:innen jetzt schon
Gas sparen, die noch vergleichsweise günstige Bestandsverträge haben. „Bei
neuen Verträgen wird das Vierfache fällig, aber manche Leute zahlen jetzt
noch 6, 7, 8 Cent pro Kilowattstunde“, so Südekum. „Der Preishammer kommt
da auch noch, aber erst im nächsten Jahr.“
Wäre eine gigantische Umlage nicht umso mehr ein soziales Problem? „Mit
den Einnahmen könnte man ja wiederum alle möglichen Entlastungen für
Haushalte mit geringem Einkommen bezahlen, die Finanzminister Christian
Lindner gerade mit Verweis auf die Schuldenbremse ablehnt“, argumentiert
Südekum.
Die Frage ist allerdings, ob sein Vorschlag überhaupt gesetzlich machbar
wäre. Schließlich ist die Umlage gar nicht zur Lenkung des Verbrauchs
gedacht. Das Energiesicherungsgesetz grenzt genau ein, wofür sie genutzt
werden darf. „Die Anspruchsberechtigten des finanziellen Ausgleichs sind
die von der erheblichen Reduzierung der Gasimportmengen nach Deutschland
unmittelbar betroffenen Energieversorgungsunternehmen“, heißt es da. Über
die Umlage auch noch Gassparen und Sozialausgleich zu organisieren, könnte
also schwierig werden. Südekum sieht den Einwand entspannt: „Wenn das
gesetzlich nicht über die Umlage geht, dann muss man eben ein anderes
Instrument danebensetzen“, meint der Ökonom.
Derweil hat Russland am Montag angekündigt, die ohnehin schon gedrosselten
Gaslieferungen nach Deutschland weiter zu senken. Ab Mittwoch soll die
Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 nur noch auf 20 Prozent ihrer Kapazität Gas
transportieren, aktuell sind es rund 40 Prozent. Staatskonzern Gazprom
bleibt dabei, dass das an einer Turbine liegt, die sich in Reparatur in
Kanada befand – was weithin als vorgeschobenes Argument bewertet wurde.
Jetzt wurde die Turbine zwar zurückgeliefert, Gazprom bemängelt aber die
erhaltenen Begleitdokumente. Diese würden „zusätzliche Fragen“ aufwerfen,
hieß es. Zudem müsse eine weitere Turbine in Reparatur gehen.
25 Jul 2022
## AUTOREN
Susanne Schwarz
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Erdgas
fossile Energien
Heizung
Gazprom
Energie
Energiepreise
Energie
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Energiepreise
Handelskammer
Benedikt Lux
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