# taz.de -- IHK für Schwimmbad-Schließungen: „Springt doch in den See“ | |
> Wenn Vertreter des Kapitals mit Sparvorschlägen kommen, meinen sie nie | |
> sich selbst. Was sie offenbaren, ist der Zynismus der Wohlhabenden. | |
Bild: So wird man zum Leistungsträger | |
Es gibt ganz unterschiedliche Vorstellungen des Begriffs „jeder“. Manche | |
meinen damit alle Mitglieder der Gesellschaft, unabhängig von ihrem Status. | |
Andere, vor allem Vertreter:innen des Kapitals, denken nur an jene, die | |
sich nicht wehren können. Den Gürtel enger schnallen müssen in dieser | |
Denkart nur die, die eh schon beim letzten Loch angekommen sind. Es ist | |
der ganz normale Zynismus der Wohlhabenden in einer Gesellschaft, die | |
sozial immer weiter auseinanderfällt. | |
Ein besonders trostloses Beispiel dieser Auswüchse einer Plutokratie, also | |
Herrschaft der Reichen, lieferte in einem Inforadio-Interview Jan Eder, | |
Chef der Industrie- und Handelskammer Berlin. Zu drohenden | |
Gasversorgungsengpässen sagte er: „Jeder muss seinen Beitrag leisten.“ Im | |
Sinn hat Eder damit einerseits den Senat, von dem er „Überbrückung und | |
Unterstützung“ für die Unternehmen forderte, also ihre Priorisierung | |
gegenüber allen anderen Bereichen. | |
Vor allem aber denkt Eder an all jene, denen die [1][drohende Explosion der | |
Heizkostenabrechnung] schon jetzt schlaflose Nächste bereitet, und jene, | |
die sich nicht durch privates Kapital von der Nutzung öffentlicher | |
Infrastruktur freikaufen können. „Was nützt es, wenn mein Badezimmer nach | |
wie vor mollig warm ist, ich aber meinen Arbeitsplatz verloren habe“, fragt | |
er also, um im Subtext zu sagen: „Arbeiter! Friert für Siemens und | |
Daimler!“ | |
Noch konkreter wird er mit dem Satz: „Wir müssten eigentlich die | |
Schwimmbäder schließen und den Leuten sagen: Ihr müsst jetzt in den See | |
springen, um Gas zu sparen“ – auch wenn er sich sprachlich das | |
Hintertürchen offen hält, um bei Kritik zu sagen: „So war es gar nicht | |
gemeint.“ | |
## Keine Infrastruktur für Reiche | |
Aber genauso ist es gemeint. Wir wissen nicht, ob Eder in seiner | |
Kleinmachnower Residenz nur einen Blick auf den Machnower See oder auf | |
einen beheizten Pool hat, ganz sicher aber kann er sich ihn leisten. Schon | |
2016 betrug sein Gehalt inklusive Prämien 275.000 Euro. Geschlossene | |
Schwimmbäder müssen so einen nicht interessieren – und das tun sie auch | |
nicht. | |
Denkt man Eders Idee weiter, denkt an den Herbst und Winter, wenn die | |
Gasknappheit vielleicht wirklich greifbar wird, müssten die Schwimmhallen | |
geschlossen bleiben. Na und, wird er denken: Wer sich im kalten See | |
abhärtet, wird in der eigenen unterkühlten Bude wenigstens nicht krank. Und | |
Kinder, deren Schwimmkurs gleichzeitig Eisbaden ist, werden bestimmt mal | |
echte Leistungsträger. | |
Am liebsten würde man sagen: Was das Kapital zur „Gestaltung“ der | |
Gesellschaft zu sagen hat, interessiert uns nicht. Leider ist es jedoch so, | |
dass die Mutter, die bei der Heizung sparen muss, aber mit ihren Kindern | |
mal ins Schwimmbad will, öffentlich kaum gehört wird, die Eders dieser Welt | |
aber umso mehr. Richtigerweise dürfen die Prioritäten aber nicht von der | |
Wirtschaft gesetzt werden. Sie müssen ausgehandelt werden. Zwischen allen. | |
25 Jul 2022 | |
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## AUTOREN | |
Erik Peter | |
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