| # taz.de -- Soziale Initiativen in der Energiekrise: Keine Heilung von Gaspreis… | |
| > Das HeileHaus in Kreuzberg kämpft mit den stark steigenden Gaspreisen. | |
| > Diese bedrohen Einrichtungen in allen sozialen Bereichen. | |
| Bild: Insbesondere Bedürftige leiden darunter, dass Warmduschen sehr teuer wird | |
| Berlin taz | Der Hinterhof vom [1][HeileHaus e. V.] in der Waldemarstraße | |
| mitten in Kreuzberg ist eine kleine Oase. An den Backsteinwänden hangelt | |
| sich Efeu empor, weiter im Hinterhof liegt ein Café, das thailändische | |
| Küche anbietet. Bänke laden zum Verweilen ein. In dem Altbau, der 1981 von | |
| Menschen aus der Naturheilkundeszene besetzt, aber schon länger legalisiert | |
| wurde, wird unter anderem eine Badestube angeboten. Bedürftige können hier | |
| ihre Wäsche waschen, in einem Badezimmer gibt es mehrere Duschen und sogar | |
| Badewannen. | |
| Die Zukunft des HeileHauses aber ist ungewiss. „Wir wissen nicht, ob wir | |
| die Badestube diesen Winter noch anbieten können“, sagt Mitarbeiter Andreas | |
| Borutta der taz. | |
| Der Grund sind die enorm steigenden Gaspreise, die das HeileHaus – dessen | |
| Gasverbrauch wegen der Badestube naturgemäß hoch ist – besonders stark | |
| treffen. „Dabei fangen wir mit unserem Angebot doch bereits diejenigen auf, | |
| die es sich nicht mehr leisten können, sich zu Hause zu waschen und zu | |
| duschen“, sagt Borutta. „Wenn Einrichtungen wie unsere pleite gehen, weil | |
| wir uns das Gas nicht mehr leisten können, ist das eine soziale | |
| Katastrophe.“ | |
| Wie sehr gemeinnützige Einrichtungen von den explodierenden Gaspreisen | |
| betroffen sind, weiß auch Gabriele Schlimper, Geschäftsführerin des | |
| Paritätischen Wohlfahrtsverbands Berlin. „Bei uns rufen laufend besorgte | |
| Mitglieder an, die nicht wissen, wie sie die kommenden Energierechnungen | |
| bezahlen sollen“, so Schlimper. | |
| ## Alle sozialen Bereiche bedroht | |
| Das betreffe „alle sozialen Bereiche“, von Kitas über Einrichtungen für | |
| betreutes Wohnen bis zu Pflegeeinrichtungen. Von Steigerungen von bis zu 50 | |
| Prozent würden die Verbandsmitglieder:innen berichten. „Das können die | |
| sozialen Träger nicht allein stemmen.“ Doch auf politischer Ebene hat sich | |
| bisher wenig getan. Im Juni hat das Abgeordnetenhaus zwar einen | |
| Härtefallfonds von 380 Millionen Euro wegen der steigenden Energiepreise | |
| beschlossen. | |
| SPD-Landeschef Raed Saleh hatte sogar gefordert, diesen auf eine Milliarde | |
| Euro aufzustocken. An wen, wann und wie das Geld aber fließen soll, ist | |
| noch nicht geklärt. Die Landesregierung scheint zunächst abzuwarten, was | |
| der Bund so unternimmt. Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) hatte zuletzt | |
| gesagt, dieser solle beginnen, sein [2][„enormes Umverteilungspotenzial“] | |
| zu nutzen. | |
| Gut möglich ist, dass es zu Verteilungskämpfen zwischen Mieter:innen, | |
| Schulen, Behörden, Sozialhilfeempfangende und gemeinnützige Initiativen um | |
| das knappe Geld kommt. Stefan Strauß, Sprecher der Senatssozialverwaltung, | |
| warnte gegenüber der taz vor „drohenden Reduzierungen der Angebote“ im | |
| sozialen Bereich. Dann sagte er aber lediglich, man sei „in Gesprächen“, um | |
| die sozialen Einrichtungen zu unterstützen. „Ihre Angebote sind jetzt | |
| besonders wichtig“, so Strauß. Das habe man „in Bezug auf unsere | |
| Förderprogramme“ im Blick. | |
| ## Gaspreise wie für Industriebetriebe | |
| Für das HeileHaus ist die Situation besonders dramatisch. Weil der | |
| vorherige Gasanbieter der Initiative im Oktober letzten Jahres pleite ging, | |
| ist das Haus auf die Ersatzversorgung des Berliner Energieunternehmens | |
| Gasag angewiesen. Das hat Folgen, denn in der Ersatzversorgung berechnet | |
| die Gasag sozialen Initiativen, die mehr als 10.000 Kilowattstunden im Jahr | |
| verbrauchen, nicht dieselben Preise wie Haushaltskunden. Stattdessen stuft | |
| die Gasag sie als „sonstige Letztverbraucher“ ein. Solche sind ansonsten | |
| etwa Industriebetriebe. | |
| Seit Dezember 2021 gilt für diese Gruppe eine andere Preispolitik. Betrug | |
| der Brutto-Gasarbeitspreis in der Ersatzversorgung bis dahin 6 Cent pro | |
| Kilowattstunde, verdreifachte er sich am Stichtag plötzlich auf 18 Cent. | |
| Privathaushalte mussten dagegen nur etwa 8 Cent bezahlen. Seit Juni dieses | |
| Jahres bezahlen Privathaushalte 10 Cent brutto, für „sonstige | |
| Letztverbraucher“ blieb der Betrag gleich. Das HeileHaus muss also | |
| weiterhin etwa das 1,8-fache von Privathaushalten bezahlen. | |
| Dass gemeinnützige Einrichtungen in dieselbe Gruppe wie die Industrie | |
| eingeordnet werden, kann Borutta nicht verstehen. „Wir machen keine | |
| Profite, wir haben kaum Geld“, sagt er. Seine Forderung: „Wir wollen, dass | |
| gemeinnützige Vereine so behandelt werden wie private Haushalte.“ | |
| ## Keine Angebote verfügbar | |
| Gegenüber der taz rechtfertigt die Gasag diese Unterscheidung mit dem | |
| Energiewirtschaftsgesetz. Das erlaubt zwar gesonderte Preise für „sonstige | |
| Letztverbraucher“, gibt die Ausgestaltung der Preispolitik aber keineswegs | |
| vor. In einem der taz vorliegenden Schreiben der Gasag an das HeileHaus | |
| heißt es hierzu, diese seien wegen „Änderungen der Kosten für | |
| Energiebeschaffung und Vertrieb“ notwendig geworden. | |
| Pressesprecher Rainer Knauber teilte der taz zudem mit, die Preisdifferenz | |
| gelte nur in der Ersatzversorgung. In die könne eine Organisation nur | |
| abrutschen, wenn sich diese nicht um einen anderen Vertrag kümmere. Man | |
| habe den betroffenen sozialen Einrichtungen bereits „andere Tarife | |
| angeboten“, so Knauber. | |
| Tatsächlich habe es ein Angebot gegeben, sagt Borutta, doch inzwischen sei | |
| dieses nicht mehr abrufbar. „Wir sind seit Monaten auf der Suche nach einem | |
| neuen Vertrag, doch nun kann die Gasag uns nichts anbieten.“ Auch andere | |
| bezahlbare Anbieter seien auf dem Markt derzeit nicht zu finden. | |
| Stefan Strauß von der Senatssozialverwaltung schrieb der taz, Berlin habe | |
| „keinen direkten gesetzgeberischen Einfluss“ auf die Tarifgestaltung der | |
| Gasag – und könne deshalb nicht regulierend eingreifen. Einen Weg, wie das | |
| wieder möglich werden könnte, hat allerdings Kultursenator Klaus Lederer | |
| (Linke) am Dienstag [3][ins Gespräch gebracht]. Während der | |
| Senatspressekonferenz schlug dieser vor, Energieunternehmen zu | |
| vergesellschaften. Wäre die Gasag in kommunaler Hand, könnte sie wohl auch | |
| Einfluss auf die Preispolitik nehmen. | |
| 20 Jul 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://heilehaus-berlin.de/unser-haus/ | |
| [2] https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2022/07/berlin-sozialsenatorin-gasknap… | |
| [3] https://m.tagesspiegel.de/berlin/steigende-gas-und-strompreise-lederer-schl… | |
| ## AUTOREN | |
| Timm Kühn | |
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