| # taz.de -- Experte über Sicherheit und Hass im Netz: „Ursache für Hass sin… | |
| > Das Europaparlament hat jüngst für das neue Digitale-Dienste-Gesetz | |
| > gestimmt. Dem Datenschutz-Experten Patrick Breyer geht es nicht weit | |
| > genug. | |
| Bild: Die Hand, die dich füttert, gehört manchmal zum Arm, der dich unterdrü… | |
| taz: Herr Breyer, das neue Digitale-Dienste-Gesetz ([1][Digital Service | |
| Act, DSA)] wird oft als Grundgesetz für das Internet bezeichnet. Wird es | |
| diesem Anspruch gerecht? | |
| Patrick Breyer: Das DSA verdient absolut nicht die [2][Bezeichnung | |
| digitales Grundgesetz]. In einem Grundgesetz stehen vorne die Grundrechte | |
| drin. Das DSA versagt beim [3][Grundrechtsschutz], vor allem beim Schutz | |
| unserer Privatsphäre vor dem Überwachungskapitalismus im Netz, aber auch | |
| beim Schutz der freien Meinungsäußerung, vor Zensur durch willkürliche | |
| Plattformregeln, auch vor grenzüberschreitenden Löschanordnungen zum | |
| Beispiel aus Ungarn. Es ist vorgesehen, dass Ungarn auch in Deutschland | |
| legal veröffentlichte Inhalte löschen lassen kann, nur weil sie angeblich | |
| gegen ungarische Gesetze, die Orbáns Regierung erlassen hat, verstoßen. | |
| Das ist unglaublich, das müssen Sie erläutern. Darf Viktor Orbán künftig | |
| das Internet in Deutschland oder Frankreich zensieren? | |
| Ja, genau das ist vorgesehen. Man kann dagegen klagen – vor ungarischen | |
| Gerichten. Die ungarische Behörde kann eine Löschanordnung auch an deutsche | |
| Anbieter schicken. Denkbare Themen sind Seenotrettung als Beihilfe zu | |
| illegaler Immigration oder Proteste gegen Orbán als verbotene Demoaufrufe. | |
| Die Klage in Ungarn wird in der Tat kaum nutzen. | |
| Sie fürchten auch um den Schutz der freien Meinungsäußerung. Dabei wird | |
| [4][das DSA von seinen Befürwortern] doch gerade dafür gepriesen, dass es | |
| das Internet von Hassrede, Fake News und Desinformation befreien soll. Wie | |
| sieht es damit aus? | |
| Die eigentliche Ursache für die weite Verbreitung von Hass, Gewalt und | |
| Falschinformationen im Netz sind die Konzernalgorithmen, die im | |
| Profitinteresse die kontroversesten Inhalte am schnellsten verbreiten. Die | |
| Nutzerinnen und Nutzer erhalten kein Recht, [5][diese Algorithmen] | |
| abzuwählen oder die eigene Timeline von einem nichtkommerziellen, offenen | |
| Algorithmus ihrer Wahl sortieren zu lassen. Desinformation ist nicht durch | |
| Zensur beizukommen. Es wäre viel sinnvoller, die Verbreitung zuverlässiger | |
| Informationen zu fördern und die Nutzer einzubinden, damit sie Fake News | |
| selbst erkennen. | |
| Journalisten und Verleger warnen vor einer Gefahr für die Pressefreiheit. | |
| Die EU habe alle Bemühungen zurückgewiesen, die Presse gegen Zensur großer | |
| Plattformen wie Facebook zu schützen. Wie sehen Sie das? | |
| Das DSA schützt legale Inhalte, einschließlich Medienberichte, nicht davor, | |
| fehleranfälligen Uploadfiltern zum Opfer zu fallen. Auch schwammige bis | |
| absurde Nutzungsbedingungen der Plattformen können dazu führen, dass | |
| wichtige Informationen und Bilder verschwinden. Nicht zuletzt sind auch die | |
| grenzüberschreitenden Löschanordnungen ein Instrument, mit dem wichtige | |
| Presseveröffentlichungen aus politischen Gründen unterdrückt werden können. | |
| Unsere Bemühungen, Abhilfe zu schaffen, sind im Wesentlichen gescheitert. | |
| Das Europaparlament wollte das Geschäftsmodell von Internet-Giganten wie | |
| Amazon, Facebook oder Google brechen und schädliche Algorithmen offenlegen. | |
| Was ist daraus geworden? | |
| Wenig. Man setzt vorwiegend auf Selbstregulierung und Co-Regulierung durch | |
| Audits. Man glaubt, man könnte von den Plattformen verlangen, ihre | |
| Algorithmen sozusagen weniger schädlich zu gestalten. Das ist aber deswegen | |
| aussichtslos, weil ja gerade das Geschäftsmodell dieser großen | |
| Werbeplattformen darauf beruht, dass sie die Nutzer möglichst lange online | |
| halten. Das geht am besten, indem die Algorithmen die kontroversesten und | |
| problematischsten Inhalte ganz nach oben ausspielen, weil das zu vielen | |
| Reaktionen führt, weil die Leute dann darauf reagieren und weiter online | |
| bleiben. Es ist ein Irrtum, zu glauben, die Plattformen würden aufgrund | |
| rechtlicher Vorgaben sozusagen ihre eigenen Profite freiwillig schmälern. | |
| Künftig müssen die Kriterien, nach denen Algorithmen großer Plattformen | |
| Inhalte empfehlen, offengelegt werden. Das ändert im Wesentlichen aber | |
| nichts. | |
| Das Geschäftsmodell der US-Konzerne beruht auch darauf, die User zu | |
| tracken, also auszuspähen. Wird die EU dem einen Riegel vorschieben? | |
| Das Geschäftsmodell der Werbeplattformen beruht nicht nur darauf, möglichst | |
| viel Werbung anzuzeigen, sondern auch darauf, möglichst viel Werbung zu | |
| verkaufen. Und das wird gemacht, indem man den Anzeigenkunden über die | |
| Nutzer dieser Werbeplattform unheimlich viele Informationen und Datenpunkte | |
| liefert, über die Interessengebiete, über die Vorlieben, über die Schwächen | |
| der einzelnen Nutzer, über ihre Persönlichkeit. Das geht bis hin zur | |
| Gesundheit und zu sexuellen Präferenzen. Schwangerschaften kann man zum | |
| Beispiel auch ableiten aus solchen Daten. Das Geschäftsmodell des | |
| Überwachungskapitalismus beruht darauf, dass man quasi den Nutzer total | |
| überwacht und das zu Geld macht. Daran wird sich im Kern nichts ändern. | |
| Immerhin soll das umstrittene Werbetracking bei Minderjährigen nun verboten | |
| werden … | |
| Ja, das stimmt. Aber das Verbot gilt nur für Minderjährige, bei denen die | |
| Plattform weiß, dass sie minderjährig sind. Wenn Sie Google nutzen, weiß | |
| Google nicht, wie alt Sie sind. Bei Facebook wissen sie es, wenn Sie selbst | |
| angegeben haben, dass Sie minderjährig sind. Viele machen es aber nicht. | |
| Also ist es insofern ein sehr eingeschränktes Verbot, das an den meisten | |
| Nutzern vorbeigeht. Zum Schutz unserer Wahlen vor Manipulation wie im Fall | |
| Cambridge Analytica taugt ein Verbot, das nur für Minderjährige gilt, von | |
| vornherein nicht. | |
| Und wie sieht es mit Volljährigen aus? Dort soll doch die Profilbildung | |
| aufgrund sensibler Daten wie politische oder sexuelle Präferenzen | |
| eingeschränkt werden? | |
| Das Verbot der Verwendung sensibler Daten ist stark verwässert und | |
| weitgehend ausgehebelt worden. In vielen Fällen wird Überwachungswerbung – | |
| selbst anhand sensibler Personenmerkmale – keine Profilerstellung im Sinne | |
| des neuen Verbots darstellen und erlaubt bleiben. Und was | |
| Überwachungswerbung allgemein angeht, habe ich nicht mal mehr ein Recht | |
| darauf, das Tracking in meinem Browser generell abzulehnen. Der sogenannte | |
| Do-not-track-Mechanismus, für den wir gekämpft haben, steht nicht im | |
| Gesetz. Das heißt, das Einzige, was mir bleibt, ist, auf jeder Webseite auf | |
| die Einstellungen zu gehen und Cookies abzulehnen. Und das bei jeder | |
| Website und bei jedem Besuch, was völlig unzumutbar ist. Das zeigt: Das | |
| überwachungskapitalistische Geschäftsmodell bleibt im Kern intakt. | |
| Trotzdem haben Sie für das DSA gestimmt. Also muss es ja auch Fortschritte | |
| geben? | |
| Das Beste daran ist, dass die überzogenen nationalen Regelungen abgelöst | |
| werden, [6][wie das deutsche NetzDG] und ähnliche Gesetze in Frankreich und | |
| einigen Mitgliedsstaaten. Die Länder haben versucht, im Alleingang | |
| exzessive Löschfristen wie zum Beispiel 24 Stunden festzuschreiben. Sie | |
| wollten sozusagen die Plattformen zum Richter machen und das auch noch | |
| innerhalb einer Zeit, die eine sorgfältige Prüfung kaum zulässt. Das ist im | |
| DSA besser gelöst. Das wird künftig verhältnismäßiger und einheitlicher | |
| umgesetzt werden. Deswegen ist das eine gewisse Verbesserung gegenüber dem | |
| Status quo. Außerdem haben wir einiges verhindert, was ansonsten noch | |
| schlimmer geworden wäre. Es wird keine Zensur von Suchmaschinen geben, | |
| keine Unterbrechung von Livestreams durch die Industrie und auch keine | |
| Identifizierungspflicht für Sexarbeiter. Aber das ist nur | |
| Schadensbegrenzung. Von den positiven Ansätzen des Europaparlaments ist | |
| fast nichts übrig geblieben. | |
| Gibt es gar nichts, worauf sich die User freuen dürfen? | |
| Doch. Beim DMA, dem Marktkontrollgesetz, ist uns ein großer Erfolg | |
| gelungen. Wir haben die sogenannte Interoperabilität bei den | |
| Messenger-Diensten durchgesetzt. Damit wird eine echte Wahlmöglichkeit | |
| geschaffen. Sie können künftig zum Beispiel mit Whatsapp-Nutzern auch über | |
| andere Messenger kommunizieren – und umgekehrt. Das wird den Markt | |
| verändern. Ich hoffe, dass sich dann die Messenger mit dem besten | |
| Datenschutz durchsetzen. | |
| 13 Jul 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/eu-regeln-online-plattformen-1… | |
| [2] /Schaerfere-Regeln-fuer-Internetkonzerne/!5827268 | |
| [3] /Frauenrechte-in-Europa/!5866312 | |
| [4] /Digital-Services-Act/!5846955 | |
| [5] /Oeffentlich-rechtliche-auf-Social-Media/!5859599 | |
| [6] /Digital-Services-Act/!5846955 | |
| ## AUTOREN | |
| Eric Bonse | |
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