# taz.de -- Öffentlich-rechtliche auf Social Media: Clickbait für die Algorit… | |
> Wie viel Einfluss haben Klicks und Likes auf die Inhalte | |
> öffentlich-rechtlicher Medien? Der Journalist Henning Eichler hat es | |
> untersucht. | |
Bild: Außergewöhnlich erfolgreich bei TikTok: das Traditionsformat „Tagessc… | |
„Wer zu viel am Handy ist, riskiert einen Hirntumor?“ Mit dieser Frage | |
beginnt ein Beitrag der „Tagesschau“. Der Teaser klingt verdächtig nach | |
Clickbait, schon im dritten Satz folgt die Klarstellung: „Dafür gibt es | |
laut einer Langzeitstudie aber keine Beweise!“ Untypisch für die | |
Nachrichtensendung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Doch der Beitrag | |
stammt auch nicht aus den 20-Uhr-Nachrichten, sondern vom TikTok-Kanal der | |
„Tagesschau“. | |
Das Traditionsnachrichtenformat zielgruppengerecht auf [1][TikTok] zu | |
übertragen: dieses Ziel scheint geglückt. 1,3 Millionen Follower*innen | |
hat der „Tagesschau“-Account mittlerweile auf TikTok – für ein deutsches | |
journalistisches Medium eine enorme Reichweite auf dieser Plattform, die | |
schwerpunktmäßig von der Generation Z genutzt wird. Dass | |
[2][öffentlich-rechtliche Medien] auch bei TikTok, YouTube, Instagram und | |
Co versuchen, ihre journalistischen Inhalte an ein Publikum zu bringen, ist | |
keine Neuigkeit. | |
Die „Tagesschau“ auf TikTok ist dabei nur ein Beispiel von vielen, Dutzende | |
Formate werden exklusiv für soziale Medien produziert. Es gehört laut | |
Bundesverfassungsgericht zu ihrem gesellschaftlichen Auftrag und ist durch | |
den Fakt, dass gerade Menschen unter 35 Jahren einen Großteil ihrer | |
Informationen aus sozialen Medien beziehen, nur verständlich. | |
Damit die Formate auch gehört und angesehen werden, müssen die Redaktionen | |
ihre Beiträge allerdings „plattformisieren“ – also nach Logiken der | |
jeweiligen Algorithmen gestalten und verbreiten. Egal ob TikTok oder | |
Instagram: Wie die Algorithmen der Plattformen funktionieren, ist nicht | |
transparent. Zahlreiche Studien haben aber belegt: Emotionale, | |
oberflächliche, zugespitzte und humorvolle Beiträge werden gegenüber | |
seriösen und faktenorientierten Nachrichten bevorzugt. | |
## Eine feste Währung | |
Wie können öffentlich-rechtliche Redaktionen vor diesem Hintergrund | |
gemeinwohlorientierte journalistische Qualitätsinhalte erfolgreich | |
verbreiten? Dieser Frage ist der Journalist Henning Eichler, der als | |
Redakteur beim HR und als Lehrbeauftragter an den Hochschulen Darmstadt und | |
Rhein-Main tätig ist, nachgegangen. Daraus entstanden ist die Studie | |
„Journalismus in sozialen Netzwerken – ARD und ZDF im Bann der Algorithmen�… | |
für die Otto-Brenner-Stiftung. | |
Für die nicht repräsentative Studie hat Eichler die verschiedenen Formate | |
von ARD, ZDF und Deutschlandradio in sozialen Medien analysiert und | |
Gespräche mit 18 Personen aus unterschiedlichen Redaktionen und aus dem | |
Management geführt. Grundsätzlich lässt sich zusammenfassen, dass Klicks | |
und Likes als feste Währung in den Redaktionen akzeptiert und genutzt | |
werden. | |
Wie viel Einfluss diese auf die inhaltliche Arbeit haben, unterscheidet | |
sich jedoch stark, wie sich durch zwei Zitate aus den Interviews | |
verdeutlichen lässt: Die Aussage „Ich werde nie ein Thema machen, das nur | |
auf Klicks im Social Web angelegt ist, also Clickbaiting betreiben, indem | |
wir zum Beispiel eine Schlagzeile dramatisieren“ steht dieser gegenüber: | |
„Im Endeffekt ist entscheidend: Die Zahl der Aufrufe, die steht bei jedem | |
TikTok-Video öffentlich daneben. […] Das ist für uns eigentlich das | |
Wichtigste.“ | |
Diese Aussagen markieren die zwei Extreme. Die meisten redaktionellen | |
Mitarbeiter*innen, mit denen Eichler gesprochen hat, sehen eine | |
tägliche Herausforderung in der Abwägung zwischen den Logiken der | |
Plattformen und journalistischen Standards. Was sie sich wünschen, sind | |
Richtlinien für die Arbeit mit den Netzwerken. Denn dass es eine | |
Abhängigkeit gibt, steht außer Frage. Diese zeigt sich nicht nur durch | |
intransparente Algorithmen, sondern auch durch die Infrastruktur. Sind | |
YouTube oder Instagram down, können die Sendungen der | |
Öffentlich-Rechtlichen nicht mehr ausgespielt werden. | |
Bei aller berechtigter Kritik an den Plattformen und den Schwierigkeiten, | |
die durch die Abhängigkeit entstehen, gibt es auch positive Effekte, die in | |
der Studie jedoch keinen Platz finden. Algorithmen arbeiten so, dass | |
Menschen möglichst lange auf der Plattform bleiben – sie belohnen also | |
beispielsweise gutes Storytelling. Und das Problem der Abhängigkeiten ist | |
auch nicht auf Plattformen wie Instagram begrenzt. Wie gut Texte gelesen | |
werden, hängt davon ab, wie sie bei Google ausgespielt werden. Die meisten | |
Redaktionen beschäftigen deswegen ganze Teams, die nur zur | |
Suchmaschinenoptimierung eingestellt wurden – damit die Texte besser | |
gefunden werden. | |
22 Jun 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Inszenierung-des-Kriegs-auf-Tiktok/!5838205 | |
[2] /Oeffentlich-Rechtliche/!t5011211 | |
## AUTOREN | |
Carolina Schwarz | |
## TAGS | |
TikTok | |
Öffentlich-Rechtliche | |
Algorithmen | |
Social Media | |
Tagesschau | |
Literatur | |
Social Media | |
Kommunismus | |
Kolumne Flimmern und Rauschen | |
Kolumne Flimmern und Rauschen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Autorinnen in den sozialen Medien: Das ganze Rumgeposte | |
Zeigen Autorinnen zu viel Bein auf Instagram? Das legt in der NZZ gerade im | |
Ernst eine Literaturwissenschaftlerin nahe. | |
Datenspeicherung auf TikTok: Die tanzende Datenkrake | |
Die Social-Media-App TikTok liest umfangreich Daten ihrer Nutzer:innen | |
aus. Google und Apple sollen die App deshalb aus ihren App-Stores | |
entfernen. | |
Twitter-Debatte über Schriftstellerin: Kommunismus als Clickbait | |
Mit einem Satz zum Kommunismus löste die Autorin Elisa Aseva eine schrille | |
Twitter-Debatte aus. Um politische Fragen geht es dabei längst nicht mehr. | |
Öffentlich-Rechtliche im Vergleich: Macht’s gut, Rundfunkgebühren! | |
Senior*innen-Freerate, geringere Gebühren, Filmförderung: Von der | |
Rundfunk-Politik in Irland könnte man sich einiges abschauen, findet unser | |
Autor. | |
ZDF-Intendant Thomas Bellut hört auf: ARD und ZDF sind nicht dasselbe | |
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk verspricht eine Vielfalt der | |
Sendeformate. Doch besonders ARD und ZDF gleichen sich allzu oft viel zu | |
sehr. |