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# taz.de -- Ehemaliges Haus von Hermann Göring: Neues Flair für Nazi-Villa
> In einem Dorf bei Nürnberg richtete die Stadt Hermann Göring ein
> Gästehaus ein. Jetzt wird die ehemalige Nazi-Villa zu einer
> Begegnungsstätte.
Bild: Frische Farben für historischen Ort
Pfeifferhütte taz | Das Blätterrauschen ist umwerfend. Schon bei leichtem
Wind nimmt einen die natürliche Geräuschkulisse in Beschlag. Das liegt am
reichen Baumbestand, der das frühere Jagdhaus „Schloss Hubertus“ umgibt.
Dichtes Blattwerk sorgt auch dafür, dass Spaziergänger:innen und
Radler:innen das Anwesen nicht wahrnehmen, wenn sie einen Steinwurf
entfernt am ehrwürdigen [1][Ludwig-Donau-Main-Kanal] vorbeiziehen.
## Das Haus mit Vergangenheit
Wir befinden uns in Pfeifferhütte, 20 Kilometer von Nürnberg entfernt. Ein
versprengtes Örtchen, das zur Gemeinde Schwarzenbruck gehört. Als es Mitte
des 19. Jahrhunderts eine Ladestelle am Alten Kanal bekam, florierte die
Wirtschaft. Häuser wurden gebaut, um 1910 zog man am heutigen Salachweg die
ersten Mauern hoch. Das Haus ist mehrmals vergrößert worden. Ein steinerner
Fuchs ziert das Portal beim Kanal. Ob er mit einer jüdischen Familie dieses
Namens von hier zu tun hat, ist offen. In den Unterlagen der Stadt Nürnberg
ist nur zu finden, dass die Kommune die Immobilie, die samt Wohn-, Wald-
und Rasenflächen 20.300 Quadratmeter umfasst, 1940 von den Kaufleuten Fritz
und Wilhelm Speyer erwarb.
Entscheidend für den Kauf waren die Reichsparteitage des NS-Regimes. Die
Stadt suchte nach einem repräsentativen Gästehaus für Hermann Göring, der
sich das Gebäude teuer umbauen ließ – mit feinstem Marmor, Sandstein und
Parkett. Und hartnäckig halten sich Gerüchte über einen unterirdischen Gang
bis nach Nürnberg. Obwohl dort keine Reichsparteitage mehr stattfanden,
wurde Göring samt Familie öfters in Pfeifferhütte gesichtet, wie der neue
Eigentümer der Immobilie von Zeitzeugen erfahren hat: [2][der Verein
Laissez-Faire].
## Ein Ort der Begegnung
Über zweieinhalb Jahre dauerte der Verhandlungsprozess mit Verwaltungen und
Banken, bis der 2015 gegründete Verein den Zuschlag für seine Idee einer
Kultur- und Begegnungsstätte erhielt. Tim Schenk, erster Vorsitzender und
Designer von Beruf, veranstaltete mit Gleichgesinnten ab 2017 zwei Jahre
Kulturevents. Seit Mai 2020 sitzt der 30-Jährige für die Bunte Liste im
Schwarzenbrucker Gemeinderat. Und er hat es geschafft, die
Entscheidungsträger vom Konzept des über 1.000 Mitglieder starken Vereins
zu überzeugen.
Mit Vollzug des Kaufvertrags haben im Juni die Sanierungsarbeiten für die
„Villa-Flaire“ begonnen. Röhrende Rasenmäher, Schleifgeräte und
Hip-Hop-Musik übertönen nun regelmäßig das Blätterrauschen. Bereits im
September soll die Gastronomie im Erdgeschoss eröffnet werden, verbunden
mit einem Biergarten. Ein Tonstudio ist im Keller, ein Co-Working-Space im
ersten Stock geplant. Neben Kunstraum, Erlebniswerkstatt, Jugendtreff, Café
Senior*ita und einem „Geheimen Garten“ gilt der „Gedächtnisraum“ in
einer noch von Spinnen bevölkerten Holzhütte als ein wichtiges Herzstück
der Villa-Flaire. Tims Mutter Lena Schenk will dort die Vergangenheit
dokumentieren.
Die zur Nazi-Villa erweiterte Jagdhütte hatte neben der braunen
Vergangenheit auch noch andere dunkle Zeiten. Nach 1945 residierte darin
ein Waisenhaus, in dem man alles andere als freundlich mit Kindern umging.
Auf Erziehungsheim und Tbc-Heilstätte folgte die Schullandheimära von 1982
bis 2012. Nach drei Jahren Leerstand gab es das Intermezzo als Unterkunft
für minderjährige Flüchtlinge.
## Eigenarbeit und Kontrolle
Viel Eigenarbeit und eine siebenstellige Summe will die Tochtergesellschaft
des Vereins in die Villa-Flaire investieren. Die Stadt Nürnberg hat sich
ein Rückkaufrecht gesichert. „Damit sind etwaige weitere Eigentumsübergänge
und die Nutzung für die historisch belastete Immobilie weiterhin unter
städtischer Kontrolle“, betont Wirtschaftsreferent Michael Fraas. Vom
Sanierungsstand und vom Reiz des Blätterrauschens können sich Neugierige am
15. Juli bei einem Tag der offenen Tür ein Bild machen.
9 Jul 2022
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig-Donau-Main-Kanal
[2] https://villa-flaire.org/
## AUTOREN
Jo Seuß
## TAGS
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