# taz.de -- Energieberg Georgswerder in Hamburg: Müll mit Ausblick | |
> Vom Energieberg Georgswerder schaut man schön auf Hamburg. Manche nennen | |
> ihn auch Monte Mortale. Ein Hinweis, dass man auf giftiger Altlast steht. | |
Bild: Mit Müll zum Berg. Obendrauf mit schöner Aussicht | |
HAMBURG taz | Immerhin 40 Meter hoch. Damit ist man in Hamburg ein Berg. | |
Den man begehen kann, was hier nicht immer so war. Man muss dazu in den | |
Stadtteil Wilhelmsburg, folgt dem Hinweisschild „Georgswerder“, biegt ab | |
in eine Straße mit einem rätselhaften Namen: Fiskalische Straße. Am Ende | |
eine Kehre, vor einem der Berg, und obendrauf gesetzt: ein sanft | |
geschwungener Rundweg, aber auf Stelzen. Ein Laufsteg aus Stahl und Holz. | |
Und die Großstadt liegt vor einem, und man weiß nicht, auf was man zuerst | |
blicken soll: auf den wie hingegossen liegenden Hafen. Auf die | |
Elbphilharmonie. Die Hauptkirchen, das Rathaus, die Bürotürme der Hamburger | |
Straße. Auf all das Umland, wie es sanft ausläuft ins unendliche Grüne. | |
## Der Müll der vielen Jahre | |
Dass man erhöht steht und geht, liegt daran, dass nur einige der unter | |
einem liegenden Grasflächen überhaupt betreten werden dürfen. Denn man | |
steht auf einer einstigen, zum Berg angewachsenen Deponie. Und was für | |
einer! | |
Also zurück in die 1950er bis 1980er Jahre. Da wurde hier Müll verklappt | |
und Schicht für Schicht aufgehäuft. Erst der solide Trümmer- und Bauschutt | |
der Nachkriegszeit. Bald der übliche Hausmüll der Wirtschaftswunderjahre. | |
Und schließlich Industriemüll, heftiges Zeug. | |
Immer wieder dabei: Dioxine. Konkret: 2,3,7,8-Tetrachlordibenzodioxin. | |
Mancher wird sich erinnern: das berüchtigte Seveso-Gift. Bis beim | |
benachbarten Chemieunternehmen Boehringer, bei dessen Insektizidproduktion | |
dieses anfiel, die Hütte brannte [1][und alles aufflog]. Bis nicht nur die | |
ortsansässigen Menschen von Georgswerder, vorneweg deren Kleingärtner, | |
Sturm liefen und gehört werden wollten. Bis schließlich ein | |
parlamentarischer Untersuchungsausschuss tagte und allmählich die Dimension | |
deutlich wurde: Flotte 200.000 Tonnen Giftmüll verteilten sich auf 25 | |
Hektar. | |
Da war die Deponie bereits geschlossen und wurde nach und nach umfänglich | |
versiegelt. Von nun an für die nächsten Jahrzehnte, und das wird nicht | |
reichen. 2,3,7,8-Tetrachlordibenzodioxin ist ein langlebiger, sehr giftiger | |
Schadstoff. | |
## Das Positive sehen | |
Dann kam ab 2006 die [2][Internationale Bauausstellung (IBA)], die Hamburgs | |
eher hafenindustriellen Süden mit Wilhelmsburg und der Veddel an den | |
wohlbürgerlichen Großstadtkern andocken sollte. Und die IBA sah den | |
abgesperrten Berg und wusste, dass man daraus etwas machen könne. | |
Etwas sowohl Plakatives, Kreatives wie vor allem Positives; etwas mit Stadt | |
und mit Natur, für dich, für mich und für alle. Auch fand man einen | |
agenturgemäßen Namen: [3][„Energieberg Georgswerder“]. Was besser klang a… | |
Monte Mortale, wie die Anwohner spöttisch sagten. „Aus alten Lasten neue | |
Energien machen“, so der dazu passende Slogan der damaligen Umweltbehörde. | |
Und der Berg: einerseits weiterhin eingezäunt, streng bewacht, mit | |
Messstationen überzogen, falls etwas austritt, was nicht austreten soll. | |
Und andererseits nun tagsüber bis 18 Uhr geöffnet, garniert mit | |
Wanderwegen, einem Info-Point, zwei Toiletten und jeder Menge Erklärtafeln, | |
weshalb immer wieder Schulklassen anzutreffen sind, die etwas lernen | |
sollen. | |
## Ist das hier schön | |
Die Bergkuppe ist nun mit einer Photovoltaikanlage besetzt, Windkrafträder | |
drehen sich, und was an Organischem unter einem im Inneren noch vor sich | |
hin gärt, wird als Deponiegas aufgefangen und in eine Kupferhütte | |
weitergeleitet, die man von hier oben in vollendeter industrieller | |
Schönheit vor sich liegen sieht. So wie die Autobahnen, die sich vor einem | |
kreuzen und die in die Stadt hineinführen wie wegführen. | |
Das und noch viel mehr liegt vor einem, wie man da steht über dem Gift auf | |
dem gestelzten Panoramarundweg und denkt: „Boah, ist das hier schön!“ Was | |
ein Blick! Und die Augen schließen sollte man. Um ihn zu hören, den Sound | |
der Stadt: ein nicht endendes Rauschen aus Verkehr und Arbeit und Wind und | |
Geschichte. | |
1 Aug 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Fruehere-Dioxin-Funde-in-Hamburg/!5549285 | |
[2] /Debatte-ueber-Bauausstellung/!5062671 | |
[3] https://www.stadtreinigung.hamburg/ueber-uns/energieberg/ | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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