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# taz.de -- Figurentheater im Westflügel Leipzig: Im Saal der Puppen
> Wo mal Ofenrohre lagerten, lässt man heute die Puppen tanzen. Im
> Westflügel Leipzig verbinden sich spielerisch Industriekultur und
> Unterhaltungskunst.
Bild: Ein Spiel mit den Puppen
Leipzig taz | Ein großes W lockt schon von Leipzigs Gastromeile auf der
Karl-Heine-Straße in eine kleine Seitengasse. Unter dem W öffnet sich ein
schweres, schmiedeeisernes Tor. Es war einst Zugang zu einem Festsaal,
später Eingang zu einer Lagerhalle eines Röhrenfabrikanten. Jetzt gelangt
man hier in das Internationale Produktionszentrum für Figurentheater
Leipzig hinein.
Der Name ist etwas sperrig. Er bezeichnet aber auch präzise, was [1][hier
im Westflügel] eines einstigen Tanzlokals geschieht: Figuren- und
Puppentheater wird produziert und vorgezeigt. Das Spiel mit Puppen und
Objekten ist im Osten Deutschlands traditionell [2][als eigenständige
Kunstform viel stärker verankert]. Und ganz selbstverständlich sieht man
hier im Treppenhaus, in der Bar, ja selbst im Hof Puppen als Kunstobjekte,
manchmal sogar als Wesen, die belebt scheinen, wenn ein Lufthauch die
Puppenmobiles in Bewegung setzt.
Viele stammen aus der Hand des Puppenbauers und Puppenspielers Michael
Vogel. Kurz nach der Jahrtausendwende weckten er und seine Partnerin, die
Musikerin Charlotte Wilde, den Westflügel aus seinem Dornröschenschlaf.
## Wände atmen Geschichte
Im Jahr 1975 schon hatte die Ofenrohr- und Blechwarenfabrik Frölich den
Betrieb hier eingestellt. Sie nutzte den im Jahr 1900 eröffneten einstigen
Festsaal als Lagerhalle. Noch heute sieht man an den Wänden
Größenmarkierungen, die anzeigten, welche Rohre welchen Kalibers hier
gelagert wurden. In Zeiten, in denen [3][Gasröhren zum Politikum werden],
laden sich solche Markierungen mit neuer Bedeutung auf.
Verblasst, aber noch erkennbar ist die ursprüngliche Pracht des
Jugendstilbaus, in dem sich vor mehr als 100 Jahren Leipziger*innen,
Plagwitzer*innen und Lindenfelser*innen zur Musik von Tanzkapellen
mit- und umeinander drehten. Golden schimmert manches Farbpigment, wilde
Schnörkel haben die schmiedeisernen Gitter und Geländer. Sie hielten viel
länger durch als das Entertainmentunternehmen, für das sie ursprünglich
angefertigt wurden. 1939 wurde das Gebäude von dem Ofenrohrfabrikanten
Bernhard Frölich erworben und für seine Zwecke umgebaut. Das kann man
bedauern, als Degradierung ansehen. Andererseits wurde ein Ort der
Verschwendungs- und Vergnügungsindustrie zu einem nützlichen Ort für Dinge
der Grundversorgung.
Jetzt sind im Westflügel Grundversorgung und Entertainment vereint, und
obendrauf liegt auch noch Lokalgeschichte. In der Bar Frölich & Herrlich –
benannt nach der Fabrikantenfamilie, von der ein Abkömmling sogar
gelegentlich den Barbetrieb schmeißt, hängt ein Blatt, das die
Familiengeschichte erzählt. 1885 wurde die Fabrik in Leipzig gegründet, von
einem gelernten Löffelschmied. Sie wuchs, weil Leipzig wuchs, zur
Industriestadt wurde, in der Eisen geschmolzen und dafür Kohle verbrannt
wurde. Fabrikgründer Bernhard Frölich war auch Erfinder, hielt unter
anderem ein Patent für einen Ofenrohrknie-Biegeautomaten.
Das Material Metall, das Frölich verwendete, taucht jetzt in den
Drahtfiguren des Puppenbauers Vogel wieder auf. Hoch oben im Gebäude hat
Vogel seine Werkstatt, die überquillt von Puppenleben, Puppenkörpern und
Werkzeugen, aus denen sie geformt werden.
## Leitung im Kollektiv
Zwei Puppentheaterensembles, neben Wilde & Vogel noch Lehmann und
Wenzel, arbeiten fest am Haus. Die Leitung ist kollektiv, besteht aus drei
Kuratorinnen und den Künstler*innen – in dieser Komposition eine
Seltenheit selbst für die freie Szene. Dem Trägerverein gehören Haus und
Grundstück. Gut angesichts der auch in Leipzig steigenden Mieten. Bespielt
wird oft das ganze Haus, vom Festsaal über Foyer und Bar bis hinunter in
den Keller, der sich sogar für Gespensterbahnarrangements eignet.
Viele Geister können hier hausen, ein echtes Kleinod im Schatten der
Gastromeile in Leipzigs Westen.
16 Aug 2022
## LINKS
[1] https://www.westfluegel.de/de/
[2] /25-Jahre-Schaubude-Berlin/!5502059
[3] /Energieversorgung-in-Deutschland/!5866532
## AUTOREN
Tom Mustroph
## TAGS
Schwerpunkt Stadtland
Puppentheater
Leipzig
Industrialisierung
Deutscher Kolonialismus
Müll
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