| # taz.de -- Klassismus-Performance in Hamburg-Altona: Die Tänzerin und ihr Wer… | |
| > Mutig: Die Performerin Verena Brakonier setzt sich mit dem Klassismus | |
| > auch des eigenen Betriebs auseinander – in einer Kfz-Werkstatt. | |
| Bild: Auto-Fiktion: Verena Brakonier geht an ihre eigenen Ursprünge | |
| Hamburg taz | Was hat eine Hebe- mit einer Theaterbühne zu tun? Was eine | |
| Autowerkstatt mit einem Ballettsaal? Nichts. Und dieses Nichts ist verdammt | |
| viel. Es erzählt von [1][Klassismus, Ausgrenzung und Chancenungleichheit]. | |
| Das alles sind – auch autobiografische – Beweggründe für [2][Verena | |
| Brakonier], diesen Themen einen Raum zu geben. „Es braucht mehr | |
| Aufmerksamkeit für unterschiedliche Lebensrealitäten“, bemerkt sie. Auch | |
| und vor allem in der Kunst. „Ich glaube, es wird zu wenig über Privilegien | |
| gesprochen, und das aufzuzeigen, ist total wichtig“, fährt sie fort, | |
| „Klassismus und die Vorurteile zum Beispiel gegenüber Menschen, die von | |
| Armut betroffen sind, das geht durch Leib und Seele. Das geht überall hin. | |
| Klassismus zeigt sich besonders stark in den Institutionen und im | |
| Kulturbetrieb. Das war so ein Aha-Moment für mich: zu merken, wie sich das | |
| Thema durch alles durchzieht. Welche Kunst als wertig gesehen wird, wie | |
| etwa zwischen E-und U-Musik unterschieden wird oder zwischen Cello und | |
| Blockflöte.“ | |
| ## Teil der eigenen Geschichte | |
| In und mit ihrem Solo „Auto-Fiktion: Der Struggle so real“ lädt die | |
| Hamburger Tänzerin und Choreografin in die Autowerkstatt Altona ein. Und | |
| offenbart damit einen Teil ihrer eigenen Geschichte: Brakoniers Eltern | |
| betrieben eine Kfz-Werkstatt, sie ist Arbeiterkind. „Lange Zeit habe ich | |
| versucht, meine Herkunft zu vertuschen“, erzählt sie, „und habe mich an die | |
| Codes, an die Haltung und den Habitus in meinem Umfeld angepasst. | |
| Irgendwann habe ich angefangen, damit zu kokettieren, dass ich in einer | |
| Autowerkstatt aufgewachsen und heute Tänzerin bin. Aber was es wirklich | |
| bedeutet, die Scham, die ich empfinde, wenn ich mich nicht am richtigen | |
| Platz fühle, was das mit mir macht – das habe ich nicht thematisiert.“ | |
| Mittlerweile stellt sie ihre Herkunft ihrer Biografie voran. | |
| Dafür braucht es Mut. Genauso wie für das Stück. Es ist, nach acht Jahren, | |
| in denen sie vor allem kollektiv gearbeitet hat – unter anderem mit dem | |
| [3][Schwabinggrad Ballett] und Sylvi Kretzschmars Megafonchor, einer | |
| politischen Performance [4][gegen den Abriss der Esso-Häuser] auf Sankt | |
| Pauli – ihr erstes Solo. Darin erzählt Brakonier von Erlebnissen und | |
| Erinnerungen aus ihrer Kindheit. | |
| Was wahr ist und was nicht, bleibt unklar: Es ist eine Autofiktion. Und | |
| doch steckt sehr viel Persönliches in der Arbeit von Verena Brakonier. | |
| Deren Bildungsbiografie keine stringente ist. Die von den Eltern einer | |
| Schulfreundin zum ersten Mal zu einem Pina-Bausch-Aufführung mitgenommen | |
| und von eben jenem Vater später ins Auto gepackt und zum Tanzgymnasium nach | |
| Essen-Werden gefahren wurde. „Das hat dann geklappt. Vielleicht wäre ich | |
| jetzt sonst Chemielaborantin“, konstatiert Brakonier ruhig. | |
| Da war jemand von außen, der Kapazitäten hatte und ein Verständnis für Tanz | |
| und Kunst. „Das ist einfach ein anderes Kapital“, erklärt sie. Das hätte | |
| ihre eigene Mutter gar nicht gekonnt. Dass die sie in frühen Jahren | |
| regelmäßig zur Ballettschule im Nachbarort fuhr, war keine | |
| Selbstverständlichkeit. „In anderen Familien ist es klar, da gehört es zum | |
| guten Ton, dass die Tochter gefördert wird.“ In ihrem Fall war das eine | |
| Ausnahme, auch geboren aus dem Wunsch der Mutter heraus, dass es ihrer | |
| Tochter mal besser geht. | |
| Politischen Aktivismus versteht Brakonier mittlerweile als Teil und Antrieb | |
| ihrer künstlerischen Arbeit. „Lange war ich auf der Suche nach dem Thema, | |
| was bewegt mich, wer ist mein Publikum, für wen mache ich das?“ Nach einem | |
| Workshop bei der Anthropolog*in und | |
| Antidiskriminierungstrainer*in Francis Seeck zum Thema Klassismus | |
| sei der Knoten geplatzt. | |
| „Ich bin ja selbst Arbeiter*innenkind und ich habe gemerkt, dass es zu | |
| diesem Thema eine Verbindung gibt, die mir künstlerisch Kraft gibt.“ 2019 | |
| war das. 2020 gründet sie den [5][Blog „class matters – immer noch“], | |
| organisiert einmal im Monat online das Austauschformat „Anonyme | |
| Arbeiter:innenkinder“ für Betroffene im Kunst- und Kulturbereich, | |
| realisiert 2021 mit Jivan Frenster und Greta Granderath den Kurzfilm | |
| „Hände“, der fragt, ob Klassenherkunft und -zugehörigkeit an den Händen | |
| abzulesen ist. | |
| ## Erforschung unterschiedlicher Milieus | |
| Ihr Stück ist eine Forschungsreise zwischen unterschiedlichen Milieus, | |
| männerdominierten Arbeitswelten und der sogenannten „Hochkultur“ – und es | |
| ist nicht zuletzt der Versuch, mit freiem Eintritt und dem Site-Specific | |
| „Autowerkstatt“ auch ein anderes Publikum zu erreichen. Auf die | |
| Zuschauer*innen warten Bierbänke und Getränke, auf die Tänzerin und ihr | |
| Team aus Hamburger Künstler*innen eine ungewöhnliche Bühne zwischen | |
| Reifen, Autoteilen und Waschpaste. | |
| „Dahin komme ich mit meinem eigenen Werkzeugkoffer, mit Tanz und Text, mit | |
| Musik, Gesang, mit performativen Abschnitten und mit einer Nebelmaschine. | |
| Das sind die Techniken und Mittel, die ich gelernt habe.,Auto-Fiktion: Der | |
| Struggle so real' ist ein Versuch, meine Klassenherkunft und meine jetzige | |
| Klassenposition zu zeigen und in Verbindung zu bringen.“ | |
| 10 Jun 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Klassismus/!t5027872 | |
| [2] https://verenabrakonier.hotglue.me/ | |
| [3] /!245185/ | |
| [4] /!273534 | |
| [5] https://classmatters534934411.wordpress.com/ | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Ullmann | |
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