# taz.de -- Enorme Strahlkraft | |
> GENTRIFIZIERUNG Der Film „Buy Buy St. Pauli“ dokumentiert den Kampf um | |
> die Esso-Häuser und ergreift dabei Partei für den Stadtteil und seine | |
> BewohnerInnen | |
VON KATHARINA SCHIPKOWSKI | |
„Meine Tanke – ist weg“, singt der Megafonchor am Bauzaun, hinter dem die | |
Brache der abgerissenen Esso-Tankstelle liegt. Langsam bewegen sich die | |
schwarz gekleideten Frauen synchron durch den Regen. Ihre Performance ist | |
ein Requiem, ein Abgesang auf die Tankstelle und auf die Esso-Häuser. Das | |
war im Mai 2014, an dem Tag, als der Abriss der Häuser begann. „Es war | |
schon auch eine Beerdigung“, sagt Steffen Jörg, einer der Filmemacher von | |
„Buy Buy St. Pauli“, „und natürlich war es auch eine Niederlage“. | |
Über zwei Jahre haben Steffen Jörg, Irene Bude und Olaf Sobczak an ihrem | |
Dokumentarfilm über den Abriss der Esso-Häuser gearbeitet, am Sonntag | |
feiert er Premiere. Es ist ein sehr persönlicher Film über eine der | |
wichtigsten stadtpolitischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre in | |
Hamburg. Persönlich ist „Buy Buy St. Pauli“ nicht nur, weil die | |
ProduzentInnen selbst aus dem kreativen Protestumfeld kommen – in einigen | |
Szenen sind sie sogar zu sehen. Persönlich ist der Film deshalb, weil er so | |
nah an den BewohnerInnen der Häuser dran ist: Sie sind die eigentlichen | |
ProtagonistInnen. | |
Fast meint man, bei ihnen im Wohnzimmer zu sitzen, wenn die | |
Ur-PaulianerInnen erzählen, wie gern sie in den Häusern gewohnt haben und | |
was der Stadtteil für sie bedeutet. „Früher war es schöner hier“, erinne… | |
sich die 81-jährige Bewohnerin Ruth Oberdick. Seit 1961 wohnte sie in dem | |
Nachkriegsbau am Spielbudenplatz. „Als die Straßenbahn hier noch rauf- und | |
runterfuhr, und morgens kamen die Kutscher mit den Bierkästen zur Brauerei. | |
Es war romantisch!“ An jeder Ecke habe es damals eine Spelunke gegeben, | |
erinnert sich ihre Nachbarin Evi Madejski – heute sehe man das heute gar | |
nicht mehr. „Verrucht war St. Pauli damals“, sagt auch Evi: „Herrlich!“ | |
Dann überlegt die 68-jährige, im Fall eines Abrisses die Wohnungen zu | |
besetzen. „Ob das ein gutes Vorbild für meinen Lütten wär?“, grübelt si… | |
„Ich glaub schon“, sagt sie schließlich. | |
So bekommen die ZuschauerInnen nicht nur einen Einblick in die Wohnungen | |
der symbolträchtigen Häuser, sondern auch in das Leben der | |
Ex-BewohnerInnen. Und eine Vorstellung über die Dimension dessen, was der | |
Abriss bedeutet. „Die Auseinandersetzung ist in vielen Punkten exemplarisch | |
für St. Pauli“, sagt Steffen Jörg. „Man lässt Häuser in einem schäbigen | |
Stadtteil jahrelang vergammeln – bis das Viertel hip wird. Hier zeigt sich | |
dann, wie die Stadt mit Konflikten umgeht und welche Diskurse entstehen.“ | |
Es handele sich bei dem Esso-Grundstück um einen sehr aufgeladenen Ort, der | |
eine enorme Strahlkraft über den Stadtteil hinaus habe. Die Häuser stünden | |
für einen Prozess, der vielerorts stattfindet, meinen die Filmemacher: | |
„Gentrifizierung und der Widerstand dagegen.“ | |
In der Dokumentation bekommt man beides zu sehen: Zum Beispiel in einer | |
Einstellung, in der Bezirksamtsleiter Andy Grote (SPD) vor den Tanzenden | |
Türmen steht, jenem 85 Meter hohen Gebäude aus Stahl und Glas an der | |
Reeperbahn 1 – dem sprichwörtlichen Höhepunkt der Gentrifizierung auf St. | |
Pauli. Natürlich sei das eine recht massive Bebauung, gibt auch Grote zu. | |
Sowas könne man jedoch nur einmal machen, sagt er. Und Bernhard | |
Taubenbacher von der Bayerischen Hausbau GmbH, die das Grundstück, auf dem | |
die Esso-Häuser standen, 2009 gekauft hat, erklärt, dass das Unternehmen | |
seine Projekte schließlich nach betriebswirtschaftlichen Ziffern und nicht | |
nach sozialpolitischen Utopien auswähle. | |
Aber auch den Widerstand haben die Filmemacher, die schon 2009 den | |
gentrifizierungskritischen Film „Empire St. Pauli“ veröffentlichten, | |
dokumentiert: Mit der Kamera haben sie Demonstrationen und | |
Protestkundgebungen, einen Besuch der Esso-Initiative in Paris und anderen | |
Aktionen begleitet. „Wir machen immer weiter“, sagt Bewohnerin Monika in | |
einer Szene, in der die Häuser noch stehen: „Einfach abreißen – so läuft | |
das hier nicht!“ | |
Solche Äußerungen, die den Kampfgeist der BewohnerInnen und | |
Gewerbetreibenden der Esso-Häuser zeigen, lockern den Film immer wieder | |
auf. Auch die Solidarität, welche die Betroffenen erfahren, gibt Zuversicht | |
– auch wenn man von Beginn an weiß, wie der Kampf ausgehen wird. So endet | |
der Film mit einer hoffnungsvollen Aussicht: Die „PlanBude“ am | |
Spielbudenplatz hat den Auftrag, unter Beteiligung der AnwohnerInnen die | |
Neubebauung mitzugestalten. Ein richtiger Schritt – auch wenn man die | |
Geschichte nicht rückgängig machen kann. „Was weg ist, ist weg“, sagt der | |
ehemalige Bewohner Andreas Hofstetter, „und das kommt auch nicht wieder.“ | |
■ Premiere am So, 2. 11., 18 Uhr, Ballsaal, Südtribüne des | |
Millerntorstadions; weitere Aufführungen: 5. 11., Brakula; 6. 11., ella | |
Kulturhaus; 25. 11., Eidelstedter Bürgerhaus; 26. 11., Barmbek-Basch | |
1 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
KATHARINA SCHIPKOWSKI | |
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