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# taz.de -- Gedenken an Hanau: Türen zur Wahrheit suchen
> Wo die behördliche Aufklärung bei rechtsextremen Terror versagt, machen
> Initiativen weiter. Ihrer Arbeit gilt die Ausstellung „Three Doors“ im
> HKW.
Bild: Cetin Gültekin, der Bruder des in Hanau getöteten Gökhan Gültekin, be…
Ob eine Tür offen, geschlossen oder verschlossen ist, kann über Leben und
Tod entscheiden. Das galt auch für den Notausgang der „Arena Bar“ in Hanau.
Als am 19. Februar 2020 ein rechtsextremer Attentäter dort sechs Menschen
erschoss, war der Notausgang verschlossen.
Wie viele von ihnen hätten überlebt, wäre die Tür offen gewesen? Das ist
nur eine der Fragen, denen die Ausstellung „Three Doors“ im Haus der
Kulturen der Welt nachgeht. Die Ausstellung, die noch bis Ende des Jahres
zu sehen ist, ist eine Zusammenarbeit der [1][Initiative 19. Februar
Hanau], der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh und von Forensic
Architecture. Die Londoner Rechercheagentur untersucht weltweit Verbrechen,
die von staatlichen Institutionen nicht zufriedenstellend aufgeklärt werden
und macht die Ergebnisse im Kunstkontext öffentlich: Kriegsverbrechen,
Menschenrechtsverletzungen oder eben der rechtsradikale Anschlag in Hanau.
Im Fokus der Ausstellung stehen drei Türen, die jeweils für staatliches
Versagen stehen. In allen drei Fällen waren Behörden direkt oder indirekt
an Verbrechen beteiligt, konnten diese nicht verhindern oder behinderten
deren Aufklärung. Der Notausgang der Arena Bar etwa soll auf Anweisung der
Polizei verschlossen gewesen sein, wie Zeugen berichten. Damit sollte
verhindert werden, dass Gäste vor den häufigen Razzien flüchteten. Wer
häufiger Gast in der Bar war, wusste also, dass der Notausgang verschlossen
war. Auch Besucher:Innen am 19. Februar 2020.
## In die Falle geflüchtet
Zu erkennen ist das in einem digitalen Modell der Bar, das in der
Ausstellung gezeigt wird. Ausgehend von Aufnahmen der Überwachungskameras
werden darin die Laufwege der Gäste nachvollzogen. Als im Kiosk nebenan
Schüsse fallen, flüchten sie in den hinteren Teil der Bar, wo sie in der
Falle sitzen.
Wären sie stattdessen mit derselben Geschwindigkeit zum Notausgang gerannt
und diese wäre offen gewesen, hätten sie fliehen können. Das zeigt das
Modell von Forensic Architecture und widerspricht damit den Aussagen der
Behörden, wonach es keine Rolle gespielt habe, ob die Tür abgeschlossen
war. Die Berechnungen zeigen, dass das schlicht nicht stimmt.
Wie aufwendig es ist, die Arbeit der Behörden nachzuzeichnen, zeigt
folgendes Beispiel: Die Überwachungskameras in der Bar waren, wie übrigens
auch Kameras im eingesetzten Polizeihubschrauber, nicht auf die richtige
Uhrzeit eingestellt. Um den richtigen zeitlichen Verlauf darstellen zu
können, mussten die Aufnahmen daher mit einem Fußballspiel verglichen und
synchronisiert werden, das an diesem Abend in der Bar gezeigt wurde.
Auch die zweite Tür, die in dieser dokumentarischen Ausstellung beleuchtet
wird, befindet sich in Hanau. Sie führt in das Haus des Attentäters, wo er
in der Tatnacht seine Mutter und sich selbst erschoss. Einsatzkräfte, die
das Haus sicherten, wollen von den Schüssen nichts gehört haben. Waren sie
zu weit weg?
Mithilfe eines physischen Modells des Gebäudes, in dem aufgezeichnete
Schussgeräusche abgespielt wurden, konnte Forensic Architecture ermitteln,
wo die Schüsse zu hören gewesen sein müssen. Demnach hätten die Beamten die
Schüsse hören müssen, wenn sie das Haus rechtzeitig umstellt hätten.
Die Untersuchungsergebnisse der ersten beiden Türen werden in kurzen Filmen
präsentiert, durch die dritte Tür können die Besucher:innen der
Ausstellung „Three Doors“ tatsächlich gehen. Zumindest durch einen Nachbau.
Es ist die Zellentür von Oury Jalloh, der 2005 in Dessau in
Polizeigewahrsam verbrannte. Laut Darstellung der Polizei soll er seine
Zelle selbst in Brand gesteckt haben.
Dass das gar nicht möglich ist, haben seitdem mehrere Brandgutachten
nachgewiesen. Forensic Architecture stellt nun die Frage, ob die Zellentür
während des Brands offenstand. Rauchspuren an Wänden und Tür weisen darauf
hin. Das würde bedeuten, dass Beamte anwesend waren und den Brand gelegt
haben könnten.
## Kämpfe für Aufklärung
Auch wenn die Recherchen von Forensic Architecture im Mittelpunkt stehen,
bietet die Ausstellung auch Raum für all jene, die schon seit Jahren um
Aufklärung in beiden Fällen kämpfen. In Videobotschaften berichten die
Hinterbliebenen der Opfer von Hanau vom respektlosen Umgang der Behörden
und stellen Forderungen. In einem weiteren Video wird die [2][Initiative
Oury Jalloh] und ihre jahrelange Arbeit vorgestellt.
Hier wird deutlich, dass die drei Türen nicht nur ein Behördenversagen
eint. Sie stehen auch für eine Antwort darauf, für Initiativen und
Menschen, die sich mit offiziellen Versionen nicht zufrieden geben und
aktiv werden. „Three Doors“ zeigt, dass die Zivilgesellschaft nicht
machtlos ist, wenn staatliche Akteure an Verbrechen beteiligt sind oder bei
dessen Aufklärung versagen.
Was Forensic Architecture „Gegen-Forensik“ nennt, findet nicht nur in
Laboren und digitalen Modellen statt, sondern auch auf der Straße und jetzt
im Museum.
21 Nov 2022
## LINKS
[1] /Rechtes-Attentat-in-Hanau/!5858776
[2] /Fall-Oury-Jalloh/!5809374
## AUTOREN
Matthieu Praun
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Ausstellung
Schwerpunkt Rechter Terror
Haus der Kulturen der Welt
Schwerpunkt Rechter Anschlag in Hanau
Thalia-Theater
Politisches Theater
Klassismus
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